KTM 690 Duke und 690 Duke R Test 2016

Ein Zylinder, tausend Features. Super Singles.

KTM 690 Duke /R 2016: 690 Kubik, 73 und 75 PS, 74 Nm, 148 kg trocken, WP Fahrwerk, (Kurven-)ABS, Traction Control, Motorschleppmomentregelung, Ride-by-Wire, 3 Fahrmodi, TFT-Display...nicht weniger als die komplettesten Einzylinder aller Zeiten.

Die Suche nach dem einen und einzigen Motorrad, das alle deine Bedürfnisse und Begehrlichkeiten befriedigt, endet meistens im Finden von fünf. Mindestens. Und führt vom perfekten Fuhrpark zu Traumgarage, Traumhaus und Traumleben…bis das Seifenblasenkartenhaus implodiert und man mit dem nackten Arsch wieder am kalten, harten Boden der Realität landet. Die Unmöglichkeit der Universallösung eines omnipotenten Glücklichmachers wollen wir heute nicht mehr so recht akzeptieren. Wir geben uns der Illusion hin, alle Umstände und Tatsachen der Welt uns anpassen zu können. Und so glauben heute viele, ein Motorrad kann nur dann das richtige sein, wenn es einem möglichst viel recht macht. Geländemotorräder und Scrambler müssen plötzlich gemütlich sein, Supersportler ungefährlich und starke Naked Bikes für jedermann fahrbar.

Universallösung KTM 690 Duke?

Die 690 Duke war meine Universallösung, obwohl auch sie nie alles konnte. Jetzt kann sie mehr und trotzdem noch nicht alles, was gut ist, denn könnte sie mehr, würde mir sie weniger gefallen. Alles klar? Dann wird es jetzt klarer.

1994: Kein Elektrostarter

Zunächst eine kurze Standortbestimmung. Die Wurzeln des Duke-Stammbaums reichen bis ins Jahr 1994 zurück, als der 609 Kubik große und 50 PS starke Einzylinder noch ohne Elektrostarter zum Poltern gebracht wurde. Wir sehen Speichenfelgen, eine insektoide Scheinwerfermaske und die erste orange KTM. 99 folgt die zweite Generation mit dem unverkennbaren Kiska-Strich, übereinandergestellten Scheinwerfer-Lichtern und Doppelrohrauspuff.

Duke III: Radikaler Höhepunkt

Mit der radikalen Duke III erreichte KTM 2008 den optischen Höhepunkt der Baureihe mit einem kompromisslosen wie einzigartigen Design. Der Auspuff wanderte nach unten, das Heck an der hohen Schulter spitz wie nie zuvor und die kantigen Verkleidungsteile wie scharfe, genial gesetzte Pinselstriche an der schlanken, sportlich-straffen Statur. 2012 der Bruch. Die Duke knickt am Buckel ein, die Supermoto-Gene verlieren sich und ein freundliches Naked Bike entsteht. Nun tritt die 5. Generation das Erbe von über 20 Jahren Modellgeschichte an und lässt erahnen, wohin es in den nächsten 20 gehen wird.

50% des Motors neu

Mehr als 1 PS pro Jahr hat der Motor der Duke seit 1994 zugelegt. Über 50% der Teile des 690er Aggregats wurden überarbeitet, um 73 bzw. 75 PS aus dem Einzylinder zu holen. Mit nunmehr 80 mm Hub dreht er um 1000 U/min. höher, mit exakterem Ventil-Timing im oberen Bereich. Der Zylinderkopf ist neu, 50 mm Drosselklappendurchmesser (statt 46 mm), Doppelzündung, weniger oszillierende Massen, Ride-by-Wire. Mit der zweiten Ausgleichswelle läuft der Motor so kultiviert und manierlich wie nie zuvor. Trotz Euro4 ist der Auspuff der Duke um 1 kg leichter, der Akrapovic der Duke R nochmals um einen Kilo. Kaum zu glauben ist die Angabe der Laustärke von 93 dB bei 4000 Touren auf einer Plakette am Rahmen. Der Sound ist satt, aber nicht laut und klingt jetzt voller als in vergangenen Tagen. Ich hätte den Lärmpegel der Husqvarna 701 höher eingeschätzt; die hatte allerdings nur 89 dB angegeben.

Datenvergleich Duke und Duke R

Neben 2 PS in der Spitzenleistung trennen die Duke und die Duke R auch 1 kg Trockengewicht (148,5/147,5), 30 mm an Sitzhöhe (835/865) und 15 mm an Federweg des Federbeins (135/150). Zudem lässt sich das WP-Fahrwerk der R-Version einstellen, die 320 mm Scheibe und Vierkolbenzange wird durch einen monobloc-Sattel von Brembo und eine Radial-Handpumpe deutlich aufgewertet. Beide Modelle laufen auf M7 RR von Metzeler in den Dimensionen 120/70-17 und 160/60-17, die auf Straße wie Rennstrecke hervorragend funktioniert haben. Bei diesen Straßen aber auch kein Wunder.

Polizei beendet Fotosession

Der Grip auf Gran Canaria war über weite Strecken besser als auf der von uns befahrenen Rennstrecke, die eine eigenartige Streckenführung aufwies, ähnlich einem Heizstab. Bis uns die Polizei am Fotopunkt aus dem Verkehr zog und freundlich darum bat, die Blödheiten auf den öffentlichen Straßen aus Rücksicht auf golfende Rentner zu minimieren, war ich ausschließlich auf der 690 Duke unterwegs, die ich in weiterer Folge als Standardversion bezeichnen möchte.

Zugänglich wie eine ER-6n

Schon auf den ersten Metern beschreibt man seine Eindrücke mit "Spielzeug", "lächerlich leicht", "druckvoll" und…"fahrbar". Noch vor wenigen Jahren hätte ich nur erfahrenen Piloten einen +65 PS starken Einzylinder empfohlen, die neue Duke bietet die Zugänglichkeit einer Kawasaki ER-6N. Die Vibrationen wurden stark reduziert, ohne den Einzylinder komplett glatt zu bügeln. Im Hintern spürt und in den Spiegeln sieht man sie noch. Der Sitz wurde übrigens neu designt, ohne dass ich gefühlsmäßig davon Notiz genommen hätte. Es ist aber auch nicht leicht, sich an die letzte Fahrt mit der alten Duke zu erinnern, wenn diese 8 Monate zurückliegt.

R: Das volle Programm

Der Motor dreht sogar aus untersten Touren sauber nach oben, ohne zu stottern oder sich zu verschlucken, was besonders innerstädtisch von Vorteil ist. Man erlebt aber keinen Tritt ins Kreuz, kein plötzliches Aufsteigen der Front, keinen echten Einzylinder Hammer. Man hat das Gefühl, die 74 Nm maximales Drehmoment stünden ab 4000 Touren konstant zur Verfügung. So merkt man auch oft nicht, wie schnell man eigentlich schon unterwegs ist. Neben Street stehen die beiden zusätzlichen Fahrmodi Sport und Rain serienmäßig nur dem R-Fahrer zur Verfügung, mit der Standardversion benötigt man das Track Pack, das auch die Motorschleppmomentregelung und den optionalen Supermoto-Modus (Hinterrad kann blockiert werden) des ABS beinhaltet. Die Traktionskontrolle regelt je nach Modus mehr oder weniger stark, in der R-Version sogar schräglagenabhängig, was auch für das ABS und die Motorschleppmomentregelung gilt, kurz als Motorrad-Stabilitätskontrolle - MSC bekannt. Verwirrt genug? Es ist noch nicht vorbei…

Buntes TFT-Display

Einzigartig in dieser Klasse ist das TFT-Display, das relevante (Uhrzeit, Temperatur, Tankinhalt..) und weniger relevante (Geschwindigkeit) Informationen anzeigt. Der kunterbunte Bildschirm verfügt über eine Tag- und Nachtanzeige, die sich automatisch umstellt. Die Balkenanzeige für die Drehzahl am linken und oberen Rand erscheint in den unteren Drehzahlen blau, ab 6000 Touren rot. Auf der linken Hälfte des Displays wird auf Knopfdruck das intuitiv zu bedienende Menü aufgerufen, das je nach Ausstattung vielfältige Einstellmöglichkeiten bietet. Hier werden Fahrmodi angewählt oder Traktionskontrolle und ABS de/aktiviert. Das Display steht nur etwas zu flach, wodurch bei direkter Sonneneinstrahlung nicht immer alle Infos ablesbar sind, besonders die unterste Zeile.

Braucht man das alles?

Das war die Elektronik der Duke in Kurzform, denn schließlich geht es darum, wie sich die beiden Schwestern fahren. Einerseits ist es bemerkenswert, wie hochwertig und modern ein Einzylinder heute ausgestattet sein kann, andererseits stellt sich heute immer öfter die Frage: Braucht man das alles? Ich für mich kann sagen: Nicht alles. Ich hatte beispielsweise sowohl auf der Straße wie auf der Rennstrecke ABS und Traktionskontrolle ausgeschaltet. Der Asphalt war hervorragend und ich mute mir zu, die Kraft eines so fein zu dosierenden Einzylinders gripgerecht abzurufen. Die Bremse der Standardversion war in Ordnung, bis es auf die Rennstrecke ging und der wahre Unterschied zwischen Duke und Duke R deutlich wurde.

Die Duke ist keine Rennmaschine

Sowohl Fahrwerk als auch Bremsen waren etwas zu wenig straff und transparent, in den ausschließlich engen Kurven der seltsamen Rennstrecke reichte mir teilweise auch die Schräglagenfreiheit nicht aus. Ich musste feststellen, dass es sich bei der Duke um ein schnelles Straßen-, aber kein Rennmotorrad handelt. Die R hingegen machte richtig Spaß und deutlich, wofür man den schmerzlichen Aufpreis zahlt. Auch mit einer Duke mit Track Pack hat man längst keine R. Die monobloc-Bremse und die Radial-Bremspumpe packen kräftiger zu, haben einen klaren Druckpunkt und verzögern unter hoher Belastung konstanter. Das einstellbare Fahrwerk arbeitet präziser und schickt viel mehr Informationen an den Fahrerhintern, der sich auf dem 865 mm hohen Sitz endlich fühlt wie im Rennsattel. Natürlich erhöht sich auch die Schräglagenfreiheit.

Größte Stärke: Agilität

Die größte Stärke der Dukes ist sicher ihre Beweglichkeit. Man muss sich mit den Lenkerimpulsen und Hüftbewegungen richtig zurückhalten, so leicht wie diese Mopeds in die Kurven kippen. Es ist unfassbar, mit welcher Dynamik sie schnelle Richtungswechsel vollziehen. Ebenfalls angetan war ich von der Bewegungsfreiheit im Sattel, obwohl nicht alle meine Begeisterung geteilt haben. Doch bei der extrem schlanken Gitterrohr-Taille der Duke ist das Hin-und-Her-Rutschen zwanglos möglich.

Auch optisch sind die beiden Versionen sofort zu erkennen. Die 'R' darf exklusiv den orangen Rahmen und orange Felgen tragen, spricht mich von der Farbgebung aber insgesamt nicht an. Die orange Version der Duke gefällt mir am besten, die weiße kann man mit schönen Decals aus den Power Parts verzieren. An Originalzubehör fehlt es selbstverständlich nicht und so kann man die Duke zu seinem ganz persönlichen Glücklichmacher machen. Alles kann die Duke noch immer nicht, doch sie kann jetzt tatsächlich schon der breiten Masse an MotorradfahrerInnen empfohlen werden. Man kann damit in sein Motorradleben starten (48 PS) und dann mit der offenen Leistung für immer glücklich werden. Bei all der irren Performance: Diese Fahrbarkeit geht ein wenig auf Kosten spektakulärer Sportlichkeit.

Fazit: KTM 690 Duke 2015

Unglaublich, wie kultiviert KTM den Einzylinder entwickelt hat, ohne auf Leistung zu verzichten. Es darf als Geniestreich gewertet werden, dass im Rahmen der EURO4-Norm die Laufkultur des Motors bei gleichzeitiger Leistungssteigerung gehoben wurde. Verantwortlich für den gleichmäßigen, druckvollen Vortrieb ist die flache Drehmomentkurve. Ab 4000 Touren schiebt die Duke kräftig an und dreht hoch bis 8500 Touren. Selbst bei niedrigen Drehzahlen stottert und schluckt der Motor nicht, was in der Stadt von Vorteil ist. Die größte Stärke der Duke ist neben der Fahrbarkeit aber ihre Wendigkeit, weswegen man sie auch getrost als Spielzeug bezeichnen kann. Nur im Einsatz auf der Rennstrecke und beim harten Attackieren wünscht man sich irgendwann die "R" unter den Hintern.


  • alltagstauglich
  • laufruhig
  • vibrationsarm
  • hochentwickelter Einzylindermotor
  • vielseitig
  • Track Pack aufpreispflichtig
  • für die Rennstrecke nicht sportlich genug

Fazit: KTM 690 Duke R 2015

Die 'R' knüpft dort an, wo die Standard-Duke aufhört, oder an ihre Grenzen stößt. Auf der Straße wird der Unterschied nur beim Hausstrecken-Duell auffallen, auf der Rennstrecke wird er aber besonders deutlich. Entscheidend sind hier die Bremsen, das einstellbare Fahrwerk und die Schräglagenfreiheit. Durch den um 30 mm höheren Sitz begibt man sich automatisch in eine vorderradorientierte Racingposition, bekommt mehr Feedback vom Fahrwerk und bringt mehr Druck auf die Bremse. Die 'R' hat schon alles an Board, was man mit der Standardversion nur über das Track Pack bekommt - und noch mehr. Nämlich das feine Fahrwerk und den Akrapovic-Auspuff. Dafür muss man im Alltag kleine Abstriche beim Komfort machen.


  • Top Ausstattung
  • Renngeometrie
  • Schräglagenfreiheit
  • starke Bremsen
  • einstellbares Fahrwerk
  • im Alltag unbequemer
  • hoher Sitz

Bericht vom 02.12.2015 | 72.952 Aufrufe

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