Ischgl Testwochenende

Ducati Multistrada 1200 S, BMW K 1300 R und Ducati Diavel aus der Sicht der Schwiegermutter. Pflichtlektüre!
High Bike Testcenter Paznaun
 

High Bike Testcenter Paznaun Ischgl

Die Schwiegermutter testet 3 Motorräder aus dem Traumfuhrpark in Ischgl.
   

Zugegeben, als ich das erste Mal von der Idee gehört habe, dass neueste Leihmotorräder um 80 Euro pro Tag hergeschenkt werden, um Sie im Paznauner Tal und darüber hinaus auf Herz, Nieren und Asphaltkontaktfreudigkeit zu prüfen, dachte ich an ein griechisches Unternehmen, das verrostete Unfall-Enduros mit durchgesägten Bremsleitungen samt Lebensversicherungen von Verstorbenen anbietet.  Herausgestellt hat es sich als die beste Erfindung seit der Babylon-Weihnachtsaktion Nimm zwei (her) - zahl nur für Eine. Den Freibrief für unlimitiertes Wetzen zu ermäßigtem Tarif verschiedenster Motorradrassen erlangt man, indem man Quartier im bestbewerteten Hotel im Paznauner Tal, dem Hotel Holiday in See (oder einem anderen Hotel im Paznaun) bezieht.

Im High-Bike Center in Ischgl stehen jeden Tag blank geleckte Modelle von BMW, Ducati, Triumph, KTM und Husqvarna zur Verfügung. Was von außen noch ausschaut wie ein weißes Zeltlazarett, entpuppt sich als kompetentes Motorradzentrum mit fachkundigen Leuten, die allesamt Punkt 1) biken können und wissen wovon sie reden und vor allem Punkt 2) bei der anschließenden Bewertung der Bikes nach dem Missbrauch sofort wissen, ob man selbst irgendeine Ahnung von Fahrwerksgeometrie, Fahrverhalten und sonstigen Features hat.
Damit beschränkt sich mein Reisebericht diesmal nicht auf das Beleidigen anderer Verkehrsteilnehmer, sondern auf meine Testerfahrungen von drei nicht herkömmlichen Bikes, deren Verwendung einfach zur unabdingbaren verkehrstechnischen Allgemeinbildung gehört, wie die Erfahrungen mit anderen weiblichen Kulturen und Farben. Bedacht wird vor allem darauf gelegt, einen für Normalverbraucher also nicht für hirnlose untalentierte Hobbyracer - nutzbaren Vergleichstest abzugeben.


High Bike Testcenter Paznaun

1. Tag: BMW K 1300 R (Ausstattung ABS, ESA, Schaltassistent)


Dieses Bike ist eine Motorradart sui generis, wo die Einordnung in Naked Bike, Nascar Bike oder Big Bike zu kurz greift. Ich würde Sie eher in die Kategorie: Zeig mir Deine mächtige Kanone und ich sage Dir, wer du bist subsumieren. Die Frage, wer ein solches Bike mit dem Radstand eines Sattelschleppers und dem Aussehen eines grobschlächtigen Zackenbarsches braucht, ist leicht zu beantworten: Niemand und Jeder. Alleine die polarisierende Optik spaltet in zwei radikalisierende Splittergruppen: Entweder es ist Liebe auf den ersten Blick, für die man über Leichen geht, oder man hasst Sie wie eine ungustiöse Frau schon von der Ferne. Die Frequenz von K 1300 R Bikes in homöopathischen Dosen in den Alpen gegenüber der tourentauglicheren S-Version scheint dies zu bestätigen.

Vorab deklariere ich mich als absoluter Befürworter dieser Spezies, gefertigt für Leute mit einem gesunden Selbstbewusstsein und angesichts der zur Verfügung stehenden Leistung notwendigen Maß an Selbstbeherrschung. Die erste Überraschung beim Anstarten ist der Sound am Stand, die zweite Überraschung ist der Sound beim Durchreißen. Für die Geräuschkulisse aus dem gewöhnungsbedürftigen schwülstigen Endtopf gebührt den BMW Technikern ein Innovationspreis. Gefährlich grummelnd, was einen Ersatzdämpfer vollkommen unnötig macht, und angesichts des hohen Einstandspreises ein bisschen Balsam ist. Wer sich ein solches Bike kauft, sollte im Übrigen bei den Zusatzausstattungen nicht geizen und lieber seine Frau kürzer halten.

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Einst das stärkste Nakedbike der Welt und momentan wieder das stärkste noch gebaute.

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ESA trifft den Geschmack jeder Bandscheibe.


Denn das hervorragende ABS und das leicht bedienbare ESA ,das in den Modi Comfort, Sport und Normal den Geschmack jeder Bandscheibe auf jedem Belag trifft, sind ein Muss bei diesem Bike, will man beim Wiederverkauf keinen Nervenzusammenbruch erleiden. Die BMW bietet von Anfang an ein einzigartiges aber auch eigenartiges Herrschaftsgefühl, wobei ich vormaligen Testberichten Recht geben muss, dass man eher die Rolle des Passagiers als die des Navigators zugeteilt bekommt. Souverän gestaltet sich die Elastizität des Motors, in jedem Gang steht bei jeder Drehzahl genügend Bumms zur Verfügung, um lästigen Supersportlern Paroli zu bieten.

Angesichts der auf Prüfständen bereits abgedrückten 176 PS bei 9600 Umdrehungen und verifizierten 144 Nm ist die Leistung bravourös, für mich in den unteren Drehzahlregionen für 1300 ccm ( im Gegensatz zu meiner zu Tode gepimpten XJR 1300) trotzdem etwas zu gesittet. Versuche absichtlich nervöser Gasgrifforgien quittiert die Einspritzung zwar nicht mit so einem psychopathischen Rucken wie das Vorgängermodell, ein mäßiges Lastwechselzucken ist trotzdem nach wie vor spürbar. Beim Abrufen der Nennleistung braucht es auch bei einem Gewicht von 250 kg (samt vollem Sprudel) ein wasserdichtes Hoserl, Leute mit grenzenlosem Hang zur Selbstüberschätzung können sich trotz den Sicherheitsausstattungen der BMW gleich den Holzpyjama dazu bestellen.

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Sondermodell K 1300 R in Ostragrau.

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2 Kilo am Silvretta Stausee. Mit Schaltautomat.


Absolut nicht bestätigen kann ich die oft kritisierte Unhandlichkeit in engen Kurven und Kehren, dieses Motorrad wurde gemacht für breitschultrige Männer, die es gewohnt sind, ihre Gebrauchsgegenstände hinunterzudrücken, wer ein überhandliches übernervöses Moped sucht, ist hier fehl am Platz. Die Sitzposition ist gemäßigt sportlich, der Sattel auch für meinen Sitzriesen angenehm geformt und absolut langstreckentauglich. Die Bedienungselemente sind allemanisch funktionell angeordnet, die Blinker sind nun ohne doppeltes Technikstudium zu bedienen, einzig die Armaturen strahlen nach wie vor leicht das Flair bulgarischer Landmaschinen aus. Das optionale Windschild bietet zumindest in Alpentälern gewissen Windschutz, begann aber ab 160 leicht zu schwingen an und ist somit entbehrlich, wer Windschutz braucht soll sich eine vom Boden bis zum Hals verkleidete S-Variante mit abstehenden Ohren kaufen. Ein absolutes Must Have ist der Schaltautomat, auch wenn vielerorts als unnötig, weil nicht schneller beschrieben. Das vom Schlupfomaten produzierte Geräusch der Zündunterbrechung gibt einem das Gefühl, dauernd auf der Rennstrecke zu sein. Wenn man mit 2 Kilo die Geraden auf dem Silvretta Stausee inhaliert und damit den zweiwöchigen Erholungswert der am Straßenrand wandernden Naturbelästiger zunichte macht, dann ist klar, dass solche Features jeden Cent wert sind.

Unterm Schlussstrich ist die BMW K 1300R eine absolute Kaufempfehlung für exzentrische, egomanische Nichtleichtgewichte, die keine Fahrtechnikkurse benötigen, um ein Bike über die Pässe zu prügeln. Wenn man Kleinigkeiten wie den Kaufpreis und eine leicht verzögerte Gasannahme verschmerzen kann, wird man mit der K 1300 R auf Dauer glücklich, kann auf dicke Hose machen und braucht sich vor nichts und niemandem fürchten. Amen.
Mother in Laws Benotung:
Motor und Fahrwerk sehr gut, Komfort passt, Optik polarisiert, Verbrauch wurscht
Gesamt-Milchmädchenrechnung: 2+


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2. Tag: Ducati Multistrada 1200S


Sehr gespannt nahm ich eine italienische Multistrudel in Empfang, die einweisende Erklärung durch die High Biker ist lebenswichtig und nicht zu belächeln, da die Bedienung der elektronischen Instrumente und Fahrwerkseinstellungen zum einen nicht so easy wie bei der BMW abgeht, zum anderen während der Fahrt durchaus ablenkend (Gas weg nach Verändern des Fahrwerksmodus, dann workt es) und die Bedienung durchaus geeignet ist, sich als Eintagsfliege in einer Hausmauer wiederzufinden. Die Armaturen der Multistrada sind in Form eines Superbike ähnlichen Mäusekinos ausgelegt, Gott sei Dank sehr gut lesbar, das theatralische Hochfahren der Elektronik ist so wie alles in Italien übertrieben und erinnert an die Eröffnungsfanfaren in einer Discokugel behangenen Bauerndisco.

Sehr viel Spass macht der dreistufige Startvorgang des Triebwerks, der ähnlich dem Abschuss eines Torpedos (Hoch mit dem Startschalter, Knöpferl frei, fertig zum Abschuss) funktioniert. Entweder haben die Techniker zuviel Top Gun geschaut oder diese Spielerei sollte das ohnehin schon angekratzte Ego der Italiener wieder ein bisserl stärken bzw. anatomische Defizite kompensieren. Vom Start weg zieht einen dieser Zwitter aus Enduro und Supersupersportler in den Bann, wie ich es selten noch erlebt habe. Perfekte Sitzposition zum Angreifen, ein breiter Lenker ohne Chance zum Lümmeln, der Motor fordert die volle Aufmerksamkeit das Fahrers.

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Die radikalste Bigenduro der Gegenwart. Kein Spielzeug für Krawattenträger und Bürohengste.

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Brembo Bremsen, Motor und Fahrwerk einstellbar. Bestes Package!


In den unteren Regionen ist der 2 Topfer noch unruhig, ohne jedoch ansatzweise an die hackenden und ruckenden alten Triebwerke von Ducati zu erinnern, ab 3-4000 Touren ein absolut druckvolles Ambiente, das nicht wie bei anderen Enduros wie ein Stiefmütterchen genauso schnell verblasst, sondern in eindrucksvoller, berauschender Manier bis in den Drehzahlbegrenzer stürmt. Die Beißer sind, wie von Ducati nicht anders gewohnt, aller erste Sahne, die in den einigen Testberichten beschriebenen teils unterschiedlichen Bremswege der ABS Anlage waren für mich, so wie für 99,9 Prozent der motorradfahrenden Erdbevölkerung, nicht bemerkbar. Fahrwerk und Motor sind in verschiedenen Modi einstellbar, wobei die Sportvariante durch ein giftigeres Ansprechverhalten beim Gasaufreißen auffiel, mir aber nicht wirklich einen gesteigerten subjektiven Unterhaltungswert bot.

Insgesamt frisst das Fahrwerk einfach alles, seien es Bodenunebenheiten oder die Bitumenexzesse auf den italienischen Landstraßen. Hollywoodschaukeln und Spurversetzungen sind ebenfalls Fremdwörter, die die Multikönnerin nicht kennt. In den Touring Modus geschaltet, bekommt man in den Alpen das aus meiner Sicht beste Gesamtpaket, das derzeit am Markt käuflich erwerbbar ist. Das Öhlins-Fahrwerk arbeitet mit der Präzision eines ukrainischen Folterspezialisten und erlaubt bisher nicht geahnte Kurvengeschwindigkeiten.

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Motorische Dominanz. Keine Gegner.


Aus den Kehren heraus verfügt man mit dem Einser über eine fast schon grausame und einsame Monopolstellung, die es anderen Bikes unmöglich macht, einen in den Graben zu drängen. Diese Übermacht und teilweise Langeweile mangels geeigneter Konkurrenten am Pass dürfen einen jedoch nicht übermütig und vergessen machen, dass an die 150 PS am Hinterrad ziehen und zumindest bei mir (lag es an meinem trägen Schwerpunkt?) die Multistrada vorne dauernd aufsteigen ließ, obwohl ich kein Stuntkünstler bin. Was die Optik anbelangt bin ich mit Ausnahme des BMW nachgebauten Rabenschnabels uneingeschränkt d àccord. Im Übrigen gehen die mit der 1200 GS herangezogenen Vergleiche vollkommen ins Leere, weil die Multistrada die BMW leistungsmäßig klar überstrahlt, auch die oftmals monierten Verarbeitungsmängel, wie klappernde Verkleidung und lieblose Verkabelungen konnten sich mir nicht erschließen. Hier musste offenbar irgendetwas gefunden werden, um von der motorischen Dominanz der Duc abzulenken. Wer sich wie einige Besitzer in Foren an wackelnden Kennzeichentaferln stößt, soll sich einen Bentley kaufen oder einen Nervenarzt aufsuchen.

Mein Fazit: Ein absolutes Muss für zahlungspotente, geübte Tourenfahrer, die nicht den Einheitsbrei des 2er VW-Golfs der deutschen Großraum-Enduros kaufen wollen. Ich bin nächstes Jahr auf jeden Fall dabei, sollte der Euro außer Kraft gesetzt werden.
Mother in Laws Benotung: Motor ein Traum, Fahrwerk auf höchstem Niveau, Komfort O.K., Optik bellissima, Verbrauch: nicht zu wenig bei ordentlicher Belastung
Gesamt-Milchmädchenrechnung: 1-


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3. Tag : Ducati Diavel Cromo Edition


Nach dem Motto vom Dessert "Das Beste zum Schluss" entschloss ich mich, das italienische Teufelsgerät zu testen. Anders als die Multistrada handelt es sich nicht um einen Zwitter, sondern um eine herrliche Triologie aus Choppersitzposition, Superbikemotor und ¼ Mile Showmonster-Streetfighter. Auch für die Diavel würde ich eine eigene Kategorie von Motorrad installieren. Sie verkörpert wie kein anderes Gerät am Markt meinen Lieblingsspruch: "Das Unvernünftigste ist das Notwendigste (Voltaire)".

Ein bombastischer 240er Schlapfen hinten, an dem ein 1198 Testastretta-Motor unaufhörlich Gummi herausreißt, ein farbiges TFT Display am Tank, selbes umfangreiches wie grenzgeniales Sicherheits- und Komfortpaket wie bei der Multistrada, eine Doppelrohrauspuffanlage, die den Fangarmen einer überdimensionalen Krake ähnelnd unverschämt röhrt. Dazu eine beeindruckende Reihe von Sondermodellen (Carbonara, Chrom, AMG Version) und ein Zubehörmarkt für Eisen und Fahrer, wo schnell einmal noch einmal der Kaufpreis investiert werden kann.

Wer auf diesem Bike Platz nimmt, wächst automatisch um 10cm, bekommt dank der breiten Suberbikehaltung ohne Steroide breite Schultern wie ein Schlächter, so erhaben und unantastbar müssen sich also Terminator oder Mad Max gefühlt haben. Der bremsende Notar, der übrigens eine Probefahrt aus nervlichen Gründen aussparte, meinte dazu nüchtern: Schener wirst net, wennst mit der Teufelssoße fahrst, aber definitiv stärker.

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Einfache Antwort: Nichts für Dich.


Zuerst einmal gewöhnen muss man sich an die Leichtigkeit des Seins, immer und überall Aufmerksamkeit zu erregen. Leider ist es keine Seltenheit, dass sich bei Pausen wie am Stelvio fotoblitzende Menschentrauben bilden und man blöd gefragt wird: Und wie ist sie? Einfache Antwort: Nichts für Dich. Diabolisch, ein Schub im Mittelbereich, wie man ihn sonst nur vom einmal jährlichen Abheben des Pauschalbombers in den Urlaub kennt. Dieses Bike macht nicht nur beim Beschleunigungsrennen in Punitz auch ohne Lachgaseinspritzung Spaß, sondern prügelt mit einer mit diesem Radstand zumindest für mich bis dato unbekannter Härte die Pässe rauf, dass einem das Lusttropferl hervorquillt. Der extrablade Hinterpneu will und muss natürlich in den engen Kurven und Kehren wie in ein Korsett gedrückt werden, dank des grenzgenialen Fahrwerks lassen sich äußerst passable Kurvengeschwindigkeiten schneiden, bei dem Knie, Schuhe und Fußrasten symmetrische Linien in den Asphalt zeichnen. Wer dieses Bike nicht einmal in seinem Leben gefahren ist, soll sein schnödes und unauffälliges Dasein in einer Hinterhofgarage weiterführen, bis ihn der Teufel holt. Die Bologneserin polarisiert, provoziert, lässt niemanden kalt und ist deshalb für mich bereits das Kultobjekt schlechthin.

Mother in Laws Benotung:
Motor siehe Multi, Fahrwerk für eine Blunze überdurchschnittlich, Komfort na ja, Optik einzigartig, Verbrauch: bei den unzähligen ¼ Mile Starts und Stopps ähnlich einem Nascar nicht berechenbar, der Umweltschutz ist zudem ein schwaches Argument
Gesamt-Milchmädchenrechnung: 1

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Interessante Links:

Text: Mother in Law
Fotos:
Mother, 1000PS

Bericht vom 03.09.2012 | 10.326 Aufrufe

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