19-Zoll Big-Enduro vs. 21-Zoll Reiseenduro - Multi V4 vs DesertX
Offroad-Test: Für Normalos zu schwer fürs Grobe?
Immer die gleiche Leier: Im Gelände kommt es aufs Gewicht an! Aber warum? Wo und wie beeinflussen die stählernen Kilogramm im Gelände die Performance des Motorrads? Wir haben das bei der Ducati Offroad Experience getestet.
Österreich und Deutschland machen es einem nicht leicht, wenn die Lust auf unbefestigte Wege und spritzenden Dreck aufkommt. Möchte man im legalen Bereich bleiben, so muss man fast auf dafür ausgelegte Offroad-Parks und Trainingsgelände zurückgreifen. So ist es auch bei diesem Test, der mich zu einem der größten Enduroparks Deutschlands nach Leipzig führt.
Ducati Offroad Experience - Offroad-Training mit neuesten Ducati Motorrädern
Nahe des kleinen sächsischen Ortes Meltewitz, ca. eine halbe Stunde östlich von Leipzig, befindet sich der 125 Hektar große Enduropark, auf dem die Vollprofis vom Enduro Action Team seit 13 Jahren unterschiedlichste Gruppen vom Sonderkommando bis zu blutigen Anfängern in der Kunst der Geländefahrt schulen. Ich reise an anlässlich der Ducati Offroad Experience. Mehrfach im Jahr bietet Ducati Deutschland Interessierten hier auf den breiten bis einspurigen Wegen des Geländes in Meltewitz an, die eigenen Offroad-Fähigkeiten auf den neuesten Gelände-tauglichen Ducati Modellen zu verfeinern. Zur Verfügung stehen Multistrada V4 S, Multistrada V4 Rally, DesertX und DesertX Rally, allesamt mit Pirelli Scorpion Rally und Scorpion Rally STR Reifen ausgestattet.
Zentral für diesen Test ist die Frage, wie viel der Gewichtsunterschied beim Motorrad für durchschnittliche Fahrer tatsächlich ausmacht. Dementsprechend fokussiere ich mich auf die leichteste verfügbare Maschine, die 223 kg wiegende DesertX Rally, und das Schwergewicht der Ducatis, die 260 kg schwere Multistrada V4 Rally. Erfahrene Offroad-Cracks werden hier die Nase rümpfen und meinen, dass doch beide bleischwer seien. Das mag aus der Enduro-Ecke kommend auch stimmen, doch die zwei Bikes verkörpern zwei große Motorradgattungen am Markt: Einerseits die um die 100 PS starken Reiseenduros mit 21-Zoll Vorderrad, und andererseits die voll ausgetstatteten Big-Enduros mit 19-Zoll Vorderrädern alá GS und Co. Die Ducati Multistrada V4 Rally und DesertX Rally liegen auch gewichtstechnisch nahe am Durchschnitt dieser Segmente, weswegen dieser Test eher als Konzeptvergleich gesehen werden kann. Wer detaillierte Testeindrücke zu den gefahrenen Eisen möchte, der findet hier den Ducati DesertX Rally Test und Multistrada V4 Rally Test.
19-Zoll oder 21-Zoll Reise-Enduro auf losem Untergrund - Welche ist besser auf Schotterstraßen?
Offroad ist ein sehr dehnbahrer Begriff und je nach Einsatzgebiet verändern sich auch die Unterschiede bei den Fahreigenschaften. Nach eine anfänglichen Fahrtechnikeinheit mit Enduro Action Team Gründer Robert geht es nach und nach durch verschiedene Szenarien, die Normalos mit ihrem Adventure Bike angehen können. Den Beginn macht wohl die Art von "Offroad", die die meisten Hobby-Abenteuerer unter die Räder nehmen, also eher breite, zweispurige Feldwege und Schotterstraßen.
Das ist auch der Bereich, bei dem die zwei Reiseenduro-Klassen am nähesten liegen. Egal ob an die 100 oder über 150 PS, als Durchschnittsfahrer bringt man eh nur einen Bruchteil davon auf den Boden und braucht obendrein noch einiges an Elektronik, um die starken Motoren zu bändigen. Diese Elektronik macht gerade die Big-Enduros äußerst performant auf leichteren unbefestigten Wegen, da die in dieser Klasse mittlerweile oft elektronisch regelnden Fahrwerke eine große Spreizung zwischen Komfort und Performance bieten können. Mit der Multistrada V4 Rally fliegt man regelrecht über die Piste, Unebenheiten werden souverän weggeschluckt und durch die höheren Fahrgeschwindigkeiten im offenen Gelände, fällt auch die höhere Masse weniger ins Gewicht. Wird die Schotterstraße aber welligre oder kurviger, ist Vorsicht gefragt. Den Schwung der großen Maschine muss man erst einmal einfangen bzw. um die Kurven lenken. Lässt man sich etwas zu flott oder mit suboptimaler Fahrtechnik in die Kurve, rückt recht bald ein Ausritt in den Bereich des Möglichen. Gewicht beim Bremsen nach hinten, nicht auf der letzten Rille verzögern und im Radius den Körper nach vorne und außen bringen, um dem Vorderrad maximalen Grip zu geben und das entlastete Heck per Gasstoß zu lenken. Das funktioniert auf den 21-Zoll Reiseenduros genauso, doch vor allem bei tieferem, weicherem Bodenbelag haben die einen Vorteil. Das 19-Zoll Vorderrad ist nämlich nicht nur kleiner, sondern mit meistens aufgezogenen 110er oder 120er-Reifen auch breiter. In Sand oder tiefen Schotter graben sich schmale Räder schneller zu den festen Bodenschichten durch, der breitere Pneu schwimmt auf und bietet weniger Grip.
Technische Offroad-Fahrten mit 21 und 19-Zoll Reiseenduros
Wir kommen zum anderen Ende des Offroad-Spektrums, zum technischen Gelände. Die Rede ist nicht von nahezu vertikalen Hillclimbs, glitschigen Bachläufen oder meterhohen Steinstufen, denn in solch ernstes Gelände trauen sich nur die Profis und Wahnsinnige mit über 200 kg wiegenden Bikes. In unserem realitätsnahen Fall fallen unter technisches Gelände schmale, einspurige Wege, mal auch tiefer geschottert, mal mit gröberen Steinen übersät oder mit höheren Bodenwellen gespickt. Hier ist die richtige Fahrtechnik: Vorausschauendes Fahren, falls Stabilität benötigt wird, mit den Knien das Motorrad zwicken und locker am Lenker bleiben, damit die Front sich frei bewegen und ihren Weg durch das Gerümpel suchen kann.
Auf der großen Multistrada V4 Rally zeichnet sich hier wieder das semi-aktive Fahrwerk aus. Butterweich rollt man über die Unebenheiten, gleichzeitig werden durch die permanente Anpassung der Dämpfung und Zugstufe die Nachteile der kürzeren Federwege und des kleineren Vorderrads entschärft. Werden die Bodenwellen aber doch einmal höher, dann kann die Elektronik das nicht mehr vertuschen und die Motorschutzplatte eckt wesentlich früher an Hindernissen an. Die höhere Masse zeigt sich auch bei Fahrfehlern weniger gnädig, vor allem bei solch einem großen 30-Liter Spritfass wie auf der Multi V4 Rally. Ein falscher Schlag oder eine etwas tollpatschig gewählte Fahrlinie können schnell in die Bredouille führen, da Kurskorrekturen nicht so schnell oder nur mit viel Kraftaufwand, was wiederum Präzision erfordert, möglich sind. Mit den längeren Federwegen und geringerem Gewicht, lässt sich die 21-Zoll Reiseenduro deutlich agiler und müheloser mit dem Körpergewicht über Fußrasten und Lenker am Trail dirigieren. Bei engem, kurvigen Streckenverlauf bietet außerdem das schmale Vorderrad einen rein physikalischen Vorteil: Nicht nur rollte es leichter über Hindernisse, durch die rundere Kontour des Rads lenkt das Motorrad bei gleichem Neigungswinkel enger ums Eck, als ein 19-Zoll Rad in der gleichen Situation.
Bergauf Offroad Passagen - 21 und 19-Zoll Reiseenduros im Vergleich
Im Offroad-Betrieb zählt auf bergauf Passagen: Am Gas bleiben und ja nicht den Schwung verlieren. Denn je schwerer die Maschine, desto mühsamer ist es, wieder Momentum aufzunehmen. Nicht nur, weil mehr Kilogramm wieder in Bewegung versetzt werden müssen. Das gleiche Prinzip wie beim Vorderrad gilt auch beim Hinterrad. Auf festen, griffigen Untergründen mag das kein Thema sein, doch auf grob geschotterten Auffahrten findet auch das breitere Hinterrad schwerer Traktion, als die schmaleren 150er Hinterreifen der 21-Zoll Adventure Bikes. Dafür holt das größere Gewicht durch mehr Druck am Hinterrad wieder etwas vom verlorenen Grip zurück.
Außerdem muss die Ergonomie des Motorrads genug Platz nach vorne hin bieten. Allzu aufrechte, "touristische" Stehpositionen haben den Nachteil, dass es bergauf schwer wird den Körper weit genug nach vorne in Balance zu brinden und nicht wie ein Klammeraffe am Lenker zu ziehen. Solch suboptimale Fahrzeuggeometrien findet man sowohl im 21 als auch 19-Zoll Segment, die großen Enduros haben aber eine Tendenz zu gemütlicheren Ergonomien und auch die besonders großen, breiten Tanks können hier erschwerend hinzukommen.
Downhill Offroad Passagen - 21 und 19-Zoll Reiseenduros im Vergleich
Bergab ist vor allem das schwungvolle, doch kontrollierte Abfahren das Ziel. Schwung bringt Stabilität, doch gerade auf schwereren Maschinen darf man es nicht übertreiben. Auf so gut wie jeder Abfahrt folgt recht bald eine Kurve oder Kehre, vor der man sich einbremsen muss. Durch die hohe Masse, die schon erwähnten, breiteren Räder und oft eher auf Straßenfahrerei ausgelegte, potente, doch bissige Bremserei, braucht es auf Big-Enduros besonders viel Feingefühl am Bremshebel. Das gilt allerdings nur bedingt für die modernsten Reiseenduros, die inzwischen fast durchgehend mit ausgereifter Elektronik inklusive "Jesus take the wheel" Offroad-ABS-Modus.
Auch bergab spielt die Ergonomie eine wichtige Rolle, denn bei Downhill-Sektionen sollte das Gewicht für maximale Bremsperformance und zugunsten der Gewichtsverteilung in Richtung Heck wandern. Im 21-Zoll Reiseenduro Segment sind die Sitzbanke oft schlichter, teils sogar einteilig und flach gehalten, was Offroad besser ist. Sieht man sich die ausschließlich zweigeteilten, stufigen Sättel der 19-Zoll Adventure Bikes an, erkennt man schon von Außen, dass hier weniger Platz zur Verfügung steht. Auf der Straße bieten die mit Sitzheizungen ausgestatteten Luxustourer zwar extrem viel Komfort, doch bergab können hoch aufgepolsterte Soziussitze, herausstehende Soziusfußrasten, oder breite Heckpartien die Abfahrt erschweren.
Fazit zum Offroad-Vergleich von 21 und 19-Zoll Reiseenduros
Zwischen einer Reiseenduro mit 21-Zoll Vorderrad und einer Big-Enduro mit 19-Zoll an der Front gibt es im losen Gelände ein paar banale Unterschiede, wie dass dich die höhere Masse in Kurven nach außen trägt, ein Schwung nehmen am Hang mühevoller wird, oder sich die Kiste nach dem Umlegen noch schwerer hochhieven lässt. Gleichezeitig haben aber auch die unterschiedlichen Federwege, die heutzutage verbreiteten und für leichten bis mittleren Geländeeinsatz hervorragend funktionierenden semi-aktiven Fahrwerke und die verschiedenen Reifenbreiten einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Fahrdynamik im Groben. Wer mit einer Reiseenduro ins Gemüse möchte, der sollte sich fragen, wie ernst es werden soll. Auf breiten Schotterstraßen, Waldwegen und unbefestigten Alpenpässen verzichtet man auf den dicken Maschinen nur auf wenig Offroad-Performance, gewinnt aber Komfort am Asphalt. Je gröber, tiefer, glitschiger, welliger, steiler, oder enger es aber wird, desto wichtiger wird ein niedriges Gewicht und aber auch eine passende Ergonomie, um das Motorrad über Stock und Stein zu steuern.
GREGOR
Weitere BerichteBericht vom 15.11.2024 | 8.086 Aufrufe