Minimum vs. Maximum - Yamaha Tenere 700 vs. Ducati DesertX 2023

Wie groß ist der Unterschied zwischen den Reiseenduro-Extremen?

Wie groß ist der Unterschied zwischen der Oberklasse und den Anfängen des Reiseenduro-Segments wirklich? Dieser Frage hat sich McGregor in Barcelona gewidmet. Anhand der üppig ausgestatteten Ducati DesertX und der puristischen Yamaha Tenere 700 versucht er zu erarbeiten, welche Qualitäten mit steigendem Preis hinzukommen, und in welchen Bereichen auch günstige Reiseenduros noch punkten können.

Selbst wenn man die gigantische Auswahl an Reiseenduro-Eisen einschränkt, die kleinen Tourer mit 48 PS oder weniger und die Big-Enduros mit 19-Zoll-Rädern und endlos Leistung weglässt, bleibt noch immer ein extrem breites Spektrum an Adventure Bikes. Solange die nagelneue Honda XL750 Transalp nicht endgültig unseren Markt erreicht, bleibt die Yamaha Tenere 700 mit 12.099 € in Österreich die günstigste der 21-Zoll-Reiseenduros. Am anderen Ende des Spektrums wartet die Ducati DesertX, die sich in Österreich mit 19.995 € zu Buche schlägt und damit, mit Ausnahme der Triumph Tiger 1200 Rally Pro & Explorer, die teuerste Reiseenduro markiert. In Deutschland und der Schweiz mag das Ranking der Bikes etwas anders ausfallen, DesertX und Tenere bleiben aber ziemlich gegensätzliche Motorräder.

Preisunterschied der Yamaha Tenere 700 & Ducati DesertX 2023

DeutschlandÖsterreichSchweiz
Yamaha Tenere 70011.374 €12.099 €11790 CHF
Ducati Desert X16.790 €19.995 €17790 CHF

Alle Angaben ohne Gewähr. Stand März 2023

Geld macht die Musik - Die offensichtlichen Unterschiede im Reiseenduro-Segment

Gewisse Unterschiede zwischen günstigen und teuren Motorrädern liegen natürlich auf der Hand. So hat die Ducati DesertX mit ihrem 937 cm³ V2-Motor deutlich mehr Leistung und mit voll einstellbarem Kayaba Fahrwerk und Brembo Bremserei auch edlere Hardware mit an Bord. Das spürt man deutlich im Fahrbetrieb. 110 PS bringen die Italienerin flott auf Tempo, der Quickshifter peitscht knackig durch die Gänge, rasant wedelt sie durch die Kurven und bleibt dort aufgrund des hochwertigen Fahrwerks auch bei Bodenunebenheiten in Schräglage stabil. Die Tenere kann mit soviel Performance logischerweise nicht mithalten. Da liegt sie gerade beim Motor gefühlt noch am nähesten an der Ducati, denn der drehmomentstarke CP2-Reihenzweizylinder mit 73 PS und 68 Nm liefert schon aus dem Drehzahlkeller schön Druck. Sobald man das Gas aber länger stehen lässt, ist der Unterschied deutlich spürbar. Bei höheren Geschwindigkeiten offenbart auch der Rest der Bauteile die geringere Güte. Das Fahrwerk taucht beim Bremsen am Kurveneingang tiefer ein, auch braucht es wesentlich mehr Bremskraft am Hebel, trotz längeren Bremsweges. In Schräglage kommt bei Unebenheiten auch schnell mal etwas Unruhe ins Heck.

Elektronik-Vergleich zwischen der Unter- und Oberklasse der Reiseenduros

Die Tenere hat aber auch am unteren Ende des Reiseenduro-Segments ein gewisses Alleinstellungsmerkmal, denn schließlich verzichtet sie als Puristin fast vollständig auf elektronische Assistenzsysteme und andere digitale Features. 2023 besitzt sie zwar inzwischen ein TFT-Display und drei Modi für das ABS, doch das war es. Die Ducati DesertX spielt mit 5-Zoll TFT-Display, 6-Achsen Schräglagensensor, acht-stufiger Traktionskontrolle, drei-stufigem Kurven-ABS, sechs Fahrmodi, vier-stufiger Wheelie Kontrolle, drei-stufiger Motorbremskontrolle, vier Power-Mappings und Quickshifter in einer ganz anderen Liga. Abgesehen von einem abstandshaltenden Tempomat hat die Duc State-of-the-Art-Technik mit dabei. Doch bei den klar spürbaren Limitationen der Hardware, fällt dann dieser eigentlich große Unterschied zwischen der Unterklasse und der Oberklasse gar nicht mehr so auf. Denn bei 73 PS braucht es nur in den wenigsten Situationen eine Traktionskontrolle und auch auf das Fehlen von Quickshifter und Fahrmodi hat man sich schnell eingestellt. Wie viel Elektronik man im Sattel haben möchte, entscheidet sowieso jeder Zweirad-Pilot für sich, aber vom Fahrspaß nehmen fehlende elektronische Systeme nicht viel weg. Im Zweifelsfall können sie aber Mensch und Maschine vor teuren und schmerzhaften Hoppalas bewahren, auch bei nur 73 PS.

Mehr Geld => mehr Komfort? - Ducati DesertX vs. Yamaha Tenere 700 im Konzeptvergleich

Je mehr Geld investiert wird, und in Österreich reden wir hier von immerhin knapp 8.000 €, desto mehr werden auch die Komfort-Features im Sattel, würde man zumindest meinen. Aber selbst bei vielen teureren Motorrädern sucht man Heizgriffe, verstellbare Windschilder oder Sitzheizungen im Serienzustand vergeblich. Auch ist bei der DesertX z.B. die Sitzhöhe von 875 mm nicht verstellbar, genauso wie bei der günstigeren, 880 mm hohen Tenere. Auch Befestigungsmöglichkeiten oder Bügel zur Montage von Gepäck, Navigation und weiterem Zubehör fehlen auf der Italienerin, während die Japanerin zumindest Verzurrpunkte am Heck und einen Navi-Bügel über dem TFT-Display besitzt. Bei der Ergonomie und Sitzposition bedienen beide das Klischee der aufrechten, entspannten Reiseenduro und schenken sich dementsprechend nichts. Das gilt auch für Beifahrer, die auf der Yamaha Tenere genauso gut sitzen, wie auf der DesertX. Sozia und Gepäck müssen aber bei günstigeren Reiseenduros mehr auf ihre Linie achten, denn mit steigendem Budget und größeren Dimensionen muss beim Rahmen nicht mehr so stark gespart und auf das Gewicht geachtet werden. Deshalb besitzt die Yamaha Tenere 700 nur einen angeschweißten Heckrahmen, der 190 kg Zuladung aushält und die DesertX einen geschraubten Heckrahmen mit 240 kg maximaler Zuladung. Mehr Geld mag also nicht unbedingt mehr Komfort bedeuten, kann aber eine stabilere Basis für Zubehör und Co. bieten.

Leiwand im Herzen - Ducati DesertX vs. Yamaha Tenere 700 im Konzeptvergleich

Es gibt aber auch einige Aspekte bei Motorrädern, die nicht immer besser werden, je weiter der Kaufpreis steigt. Der erste dieser kostenunabhängigen Punkte ist sogar das Herz unserer Motorräder: Der Motor. Und zwar meine ich hier nicht die Endleistung, sondern die Charakteristik an sich. Welche Motorcharakteristik einem gefällt, ist eine sehr subjektive Sache. Fakt ist aber, dass viele Motoren, die von vielen Zweirad-Piloten geliebt werden, nicht in den teuersten Bikes stecken. Der CP2 der Tenere ist hier das beste Beispiel. Seit Jahren erfreuen sich sämtliche Modelle mit dem Crossplane-Zweizylinder einer großen Beliebtheit und ein großer Faktor dabei ist der drehmomentstarke und gleichzeitig zugängliche Charakter des Motors, verfeinert mit einer räudigen Rabauken-Note, die sich im Klangbild äußert. Auch die Akustik eines Motorrads wird mit steigendem Budget nicht zwingend besser. Andere Motoren, die man als "günstig, doch leiwand" bezeichnen kann, wären zum Beispiel noch der K5-Reihen-Vierzylinder von Suzuki, der inzwischen auch in relativ günstigen Bikes zum Einsatz kommt, der 765er Reihendreier von Triumph aus den Street Triple Modellen und der 1000er V2-Motor von Suzuki, der schon in der SV1000 für Aufsehen sorgte und heute in der ebenfalls im Vergleich zu anderen großen Enduros recht günstigen V-Strom 1050 zum Einsatz kommt.

Zugänglicher Motorradfahren - Ducati DesertX vs. Yamaha Tenere 700 im Konzeptvergleich

In anderen Segmenten des Motorradmarktes sieht es vielleicht anders aus, aber bei den Reiseenduros steigt mit dem Preis meist auch das Gewicht. Die Ducati DesertX bringt zum Beispiel fahrfertig 226 kg auf die Waage, die Tenere nur 204 kg. Das ist nicht nur für Offroad-Cracks relevant, sondern wirkt sich auch auf ganz alltägliche Situationen aus. Die schmalere, leichtere Tenere ist wesentlich einfacher zu rangieren, und das obwohl sie höher ist und generell einen recht hohen Schwerpunkt hat. Maßstäbe setzt beim Punkt des einfachen Handlings die neue und ebenfalls recht günstige Honda XL750 Transalp, die sich mit ihrem niedrigen Schwerpunkt und 208 kg Gewicht kinderleicht bewegen lässt. Bei großen und teuren Adventure Bikes muss man fast ausschließlich mit 220+ kg und breiten Tanks klarkommen. Je kleiner man selbst ist, desto wichtiger werden umgängliche Dimensionen beim Motorrad. Ist der Motor auch noch auf Sportlichkeit getrimmt, wie bei der DesertX, dann sind durch den unruhigeren Motorlauf bei niedrigen Drehzahlen auch Fahrten bei langsamer Geschwindigkeit mühsamer, als mit den "Einsteiger-Enduros". Daily-Driver und pragmatische Pendler tun sich mit den günstigeren Maschinen vermutlich leichter. Nicht umsonst ist z.B. die Suzuki V-Strom 650 seit Jahren so beliebt als Alltagsgerät.

Kostensparender in jeder Hinsicht - Ducati DesertX vs. Yamaha Tenere 700 im Konzeptvergleich

Natürlich ist die Yamaha Tenere 700 viel günstiger, als die Ducati DesertX, das sieht man schon mit dem ersten Blick auf den Kaufpreis. Doch damit hört es noch lange nicht auf. Günstigere Motorräder sind aufgrund ihrer kleineren Hubräume oft auch verbrauchsärmer. 4,3 Liter braucht die Tenere 700 auf 100 km, 5,6 Liter säuft die DesertX auf gleicher Strecke. Es gibt zwar auch große Enduros mit passablem Treibstoffverbrauch, doch die Tendenz stimmt und gipfelt in der 170 PS starken und 30.000 € teuren Ducati Multistrada V4, die sich auch mal fast 8 Liter auf 100 km genehmigt. Hinzu kommen noch weitere Kosten, wie Versicherungen. Die Versicherungsprämien hängen von einer Unzahl an Faktoren ab, doch zur Veranschaulichung habe ich deutsche Versicherungen für Ducati DesertX und Yamaha Tenere 700 unter Berücksichtigung der gleichen Basisdaten miteinander verglichen. Je mehr von der Versicherung abgedeckt sein soll, desto größer wird auch der Kostenunterschied zwischen den zwei Motorrädern. Eine Haftpflicht-Versicherung für die Tenere 700 gibt es schon um 162 €, für die Ducati erst um 313 €. Teilkasko schlägt sich mit 207 € bei der Japanerin und 547 € bei der Italienerin zu Buche und Vollkasko kostet bei der Ducati mit 1.815 € mehr als 1.000 Euro mehr, als die 855 € teure Vollkasko-Versicherung für die Yamaha. Hinzu kommen Service-Kosten, die sich Premium-Marken auch gerne gut bezahlen lassen. In Summe kostet eine große Reiseenduro also nicht nur anfangs, sondern auch durchgehend deutlich mehr Kohle.

Fazit: Ist das teurere Motorrad auch das bessere Motorrad?

Nein, das teurere Motorrad muss nicht zwingend das bessere Bike sein. Selbst wenn man sich alle Bikes am Markt locker leisten kann, lohnt es sich vor der Kaufentscheidung innezuhalten und die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu hinterfragen. Was möchte ich mit dem Motorrad machen? Was ist mir beim Zweirad wichtig? Wenn die Antwort in Richtung Performance, Sportlichkeit, oder edler Hardware geht, dann kann man guten Gewissens tief ins Portemonnaie greifen. Wenn das Bike aber auch in Alltagssituationen bewegt werden soll, man es sich in der Handhabung möglichst einfach machen möchte, oder auf losem Untergrund Abenteuer erleben möchte, dann gibt es auch viele günstigere Maschinen, die am Ende vielleicht den breiteren Grinser unter den Helm zaubern. Es ist natürlich schwer, sich bei ausreichendem Budget und vielleicht im Angesicht des bisherigen Traumbikes auf das Wesentliche zu fokussieren, doch der alte Gaul oder die leichte Gazelle können in manchen Situationen die bessere Wahl sein, als das hochpreisige Eisen. Und bleibt dadurch noch etwas Kleingeld übrig, geht sich vielleicht noch ein kleines Tuning oder die erste mächtige Tour mit der neuen Maschine aus. Spätestens nach den ersten gemeinsamen und prägenden Erinnerungen weint dann niemand mehr dem ehemaligen Traumbike nach.

Fazit: Yamaha Tenere 700 2023

Die Tenere 700 ist auch im Jahr 2022 noch konkurrenzlos. Sie bietet den besten Kompromiss aus Preis, Geländegängigkeit und Fahrkomfort auf der Straße. Sie fährt ins Herz, macht super viel Spaß und ist ein Motorrad für einen breiten Einsatzbereich. Die fehlenden Elektronikfeatures werden ihr die harten Fans verzeihen. Die etwas lasche Bremse sowie den nervigen Tankdeckel vermutlich nicht.


  • Sehr robuster und zuverlässiger Auftritt
  • sportliche und schlanke Optik
  • spielerischs Fahrverhalten
  • Erstaunlich sportlicher und spaßiger Motor
  • Gute Verarbeitung
  • gutes Fahrwerk mit einem praxistauglichen Einstellbereich
  • vergleichsweise geringes Gewicht
  • Sehr hart im Nehmen
  • ABS abschaltbar
  • Sehr geländegängig
  • mangelnder Sitzkomfort auf längeren Touren
  • Bremse wirkt etwas billig - lascher Druckpunkt und magere Bremsleistung
  • Tankverschluss unpraktisch
  • Ausstattungsliste in Sachen Elektronik sehr Kurz

Fazit: Ducati DesertX 2023

Die erste echte Enduro der Neuzeit von Ducati ist gelungen - und wie! Ein herzerwärmendes Design im Look der glorreichen 90er Dakar-Bikes aber vollgepackt mit edlen Komponenten und modernster Technik. Das hochwertige und stabile Chassis-Konzept spielt im On- wie Offroad-Betrieb voll seine Vorzüge aus. Die DesertX vermittelt auf Anhieb ein unglaublich souveränes und sicheres Fahrgefühl. Bewundernswert auch die Grätsche, welche Ducati mit den Federelementen hinbekommen hat, egal ob Straße oder Gelände, es fühlt sich einfach gut an.


  • tolles Chassis mit voll einstellbarer Federung
  • ausgeklügelte Fahrmodi
  • kräftiger Motor
  • starke Bremse
  • durchdachte Detaillösungen
  • umfangreiche Serienausstattung
  • Laufkultur des Motors im unteren Drehzahlbereich
  • Ansprechverhalten Federbein leicht hinter dem der Gabel
  • Sehr hohe, nicht verstellbare Sitzhöhe
  • Wenig Platz und keine Haltegriffe für Sozia

Bericht vom 02.04.2023 | 23.141 Aufrufe

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