Honda CRF1100L Africa Twin DCT Offroad-Test in Island
Nie wieder abwürgen! DCT als Gamechanger im losen Gelände
Wo lässt sich die Offroadtauglichkeit eines Motorrads besser überprüfen, als auf der vulkanischen Enduro-Spielwiese die sich Island nennt. Wie gut die Honda Africa Twin und das DCT Getriebe mit Flussdurchquerungen, tiefen Sandpassagen und mittelmäßigem Fahrkönnen klarkommen, erfahrt ihr in diesem Testbericht.
"Offroad" ist ein sehr dehnbarer Begriff und echte Sportenduristen belächeln die von mir befahrenen Pisten Islands sicher als Schotterautobahn. Echtes Offroad, Single-Trails und steile Hillclimbs sind in Island eher schwer zu finden, da die Isländer auf ihre Natur achten und das Fahren abseits der Pisten strengstens verboten ist. Aber auch anderswo auf der Welt traue ich mich zu behaupten, dass mit großen Adventure-Bikes jenseits der 250 Kilogramm nur selten härteres Gelände in Angriff genommen wird. Sowieso gilt wie immer, und gerade im Offroad-Bereich doppelt, dass immer der Mensch im Sattel das Limit setzt und nie das Motorrad. Was auch mit schweren Reiseenduros möglich ist, zeigen uns Profis wie Pol Tarres, Tony Bou oder Bernd Hiemer. Doch wie gut funktioniert die Africa Twin mit dem DCT Doppelkupplungsgetriebe für den durchschnittlichen Abenteurer?
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40 Africa Twins machen Island unsicher - Honda Adventure Roads 2022
Die Möglichkeit die Africa Twin ausgiebig auf losem Untergrund zu testen, gibt mir die Honda Adventure Roads Reise. Mit dieser Premium-Tour lädt Honda alle zwei Jahre ausschließlich Africa Twin Besitzer zum ultimativen Abenteuer auf der neuesten Generation von Hondas Adventure Bike ein. Nach dem Nordkap 2017 und Süd Afrika 2019 stand Island schon 2021 auf dem Programm, nur funkte die Covid-Pandemie dazwischen. Heuer schaffte es der gigantische Tross aus über 40 Motorrädern aber endlich auf die größte Vulkaninsel der Welt und ich war die zweite Hälfte der 10-tägigen Reise mit an Bord. In diesen vier Fahrtagen fuhren wir von der Nordküste Islands einmal quer durch die Mitte nach Süden und schließlich entlang der Küstenregion westlich nach Reykjavik. Alle Details zur Reise gibt es demnächst im Island-Video dazu. Die gefahrenen Routen könnt ihr euch hier über Calimoto ansehen und herunterladen (Island HAR 2022 Tag 1, Tag 2, Tag 3). Weitere Informationen zu den Honda Adventure Roads findet ihr hier. Für mehr coole Bilder von der Island-Reise empfehle ich das Instagram-Profil der Honda Adventure Roads.
Die neue Africa Twin - Was kann sie?
Wie bereits erwähnt, stellt Honda für die Adventure Roads die neueste Generation an Africa Twins zur Verfügung. Das 2022er Update für die CRF1100L war zwar nur ein kleines, die neuen Grafiken und Designs machen aber optisch Eindruck. Zusätzlich besitzt die Africa Twin nun serienmäßig ein Alu-Rack mit Haltegriffen hinter dem Soziussitz. Die größte Neuerung ist die Überarbeitung des DCTs, wodurch vor allem die Schaltvorgänge der ersten zwei Gänge optimiert wurden. Verfeinerte Einstellungen sollen ein noch besseres Handling in den ersten beiden Gangstufen beim Anfahren bis zu niedrigen Geschwindigkeiten bieten. Äußerst wichtig, gerade bei schwierigen Offroad-Passagen. Doch bevor wir uns überhaupt in Bewegung setzen, muss die Ergonomie stimmen.
Ergonomie, Sitz- und Stehposition der Honda Africa Twin im Offroad-Test
Enduros sind nicht gerade ein zugängliches Motorrad-Segment für Piloten mit kurzen Beinen. Die Africa Twin bildet dank ihrer zwischen 850 und 870 mm verstellbaren Sitzhöhe und der schmalen Taille aber die Ausnahme. Selbst Leute um die 1,70 m gelangen noch zum Boden und können sich souverän auf ihr bewegen, wie unser kurzgeratener isländischer Guide Oli eindrucksvoll beweist. Gleichzeitig bietet die Africa Twin aber auch genug Platz im Sattel, um Großgewachsenen ausreichend Spielraum zu lassen. Mit meinen 1,85 m ist der Lenker im Sitzen auf unterer Bursthöhe angenehm positioniert, aber auch im Stehen regt sich bei mir nicht der Wunsch nach einer Lenkererhöhung. Dafür sind die Fußrasten für das stehende Fahren etwas weit vorne platziert. Bei Stücken bergauf oder härterer Beschleunigung tue ich mir schwer, die richtige Position zu finden, um locker zu fahren und mich nicht zum Lenker ziehen zu müssen. Dafür ist der Kniewinkel im Sitzen sehr entspannt.
Unzerstörbar und spaßig - Der Motor der Honda Africa Twin im Offroad-Test
Der 1084 cm³ Reihenzweizylinder mit 270° Hubzapfenversatz produziert nicht nur einen himmlisch bollernden Klang, der vom SC Project Endtopf auf meiner Maschine noch verstärkt wird, sondern schafft auch jede Menge Drehmoment ans Hinterrad. Die Leistung von 102 PS liegt bei 7.500 U/min, das maximale Drehmoment von 105 Nm schon bei 6.250 U/min an. Diese Power wird sehr sauber und linear ans Hinterrad geliefert, die Dosierung der Gashand gelingt auch ohne viel Erfahrung im Gelände. Selbst steilere Auffahrten in tieferem Schotter bewältigt die Africa Twin ohne viel Tamtam. Der dritte Gang und konstantes Gas bei niedrigen Drehzahlen reichen schon aus, um mit dem bauchigen Drehmoment hinauf zu tuckern. Wenn es mal sportlicher sein darf und man unter durchdrehendem Hinterrad und mit umherfliegenden Steinen über die Piste brettern will, dann erfreut einen das Aggregat der Honda durch die berechenbare Leistungsentfaltung, wodurch es sich herrlich mit der Traktion spielen lässt. Bevor man es hier aber übertreibt, greift die üppige Elektronik als letzte Absicherung noch ein. Um die richtigen Einstellungen für Offroad-Abenteuer zu finden, braucht es allerdings etwas Zeit und eine anständige Auseinandersetzung mit der modernen Technologie.
Funktioniert, braucht aber das richtige Setting - Elektronik der Honda Africa Twin im Offroad Test
Dabei ist es wichtig sich mit den Systemen und ihren Einstellungen ordentlich auseinanderzusetzen, denn sonst können diese gerade im Offroad-Bereich mitunter sogar kontraproduktiv sein. So wichtig sind die Einstellungen, dass uns Head-Guide Dave Thorpe, 3-facher 500cc Motocross-Weltmeister, bei jedem Briefing in der Früh sogar die notwendigen Einstellungen für die Tagesetappe ansagt. Hinzu kommen dann noch persönliche Preferenzen, wodurch die Einstellung schon einiges an Zeit beanspruchen kann. Hondas Bedienkonzept zählt auch nicht gerade zu den intuitivsten, was die Sache noch erschwert. Zum Glück ist diese Studie der Elektronik aber nur einmal notwendig, später sind die gewünschten Settings und der Pilot selbst eingespielt. Gerade im vulkanischen, sehr weichen Sand Islands muss zum Beispiel die Traktionskontrolle oft ausgeschaltet werden, um sauber durchzukommen. Das funktioniert schnell und einfach. Vergisst man allerdings darauf, dann wird die Power beim Durchdrehen des Rades zu sehr gedrosselt und selbst Profis wie Dave Thorpe versinken chancenlos im Schlamm.
Die bessere Wahl für 90 % der Fahrer - Das DCT der Honda Africa Twin im Offroad-Test auf Island
Das DCT Getriebe bietet einen Riesenvorteil für das Offroadfahren: Der Motor kann nicht abgewürgt werden. Gerade bei den zahlreichen Flussdurchquerungen Islands zeigt sich der Wert dieses Features. Unter der Wasseroberfläche warten große Steine, die aus dem nichts das Vorderrad versetzen können. Das fließende Wasser drückt mit nicht zu unterschätzender Kraft von der Seite, man kämpft um die Balance und konzentriert sich auf den Weg, da vergisst man in der Hektik etwas aufs Gas und der Motor stirbt ab. Äußerst unangenehm im eiskalten Fluss und mehr als nur ein Pilot geht bei der Honda Adventure Road nach so einem Hoppala unfreiwillig schwimmen. Die Teilnehmer mit DCT-Maschinen kämpfen sich zwar auch durch die Furten, haben aber selbst bei schweren Hindernissen und ungewollten Stopps immer einen laufenden Motor, der sie souverän weiterträgt.
Abseits der Flüsse macht das DCT auch eine gute Figur, hier empfiehlt sich aber ganz klar der Sportmodus. Im klassischen D-Modus schaltet das Getriebe zu früh hoch und nicht flott genug wieder herunter. Auf der Straße kann man so gemütlich unterwegs sein, aber im Gelände braucht es bei Sandfeldern oder Steinstufen manchmal einen schnellen, kraftvollen Gasstoß. Im Sportmodus, den es in drei Stufen gibt, werden Gänge länger gehalten, ausgedreht und später wieder zurückgeschalten. Sportmodus 1 mausert sich in Island zu meinem Standard-Fahrmodus. Möchte man am Kurvenausgang sportliche Drifts hinlegen, so wird man vermutlich Sportmodus 2 oder sogar Stufe 3 bevorzugen. Selbst einem 08-15 Offroad-Fahrer wie mir gelingen mit dem DCT im richtigen Modus und der mehrstufigen, schräglagenabhängigen Traktionskontrolle schöne Slides. Offroad-Profis werden eine Kupplung für fortgeschrittene Manöver vermissen, aber für den Großteil der Adventure-Fahrer bietet das DCT Getriebe auch Offroad fast nur Vorteile und ein rundum Sorglos-Paket. Der Kopf bleibt ohne das ständige Schalten und Kupplung bedienen einfach freier und man kann der Straße oder der Landschaft mehr Aufmerksamkeit schenken.
Bremsen und Fahrwerkt der Honda Africa Twin im Offroad-Test
Noch ein schnelles Wort zu den Bremsen und dem Fahrwerk. Mit 230 mm Federweg vorne und 220 mm hinten verkraftet das voll einstellbare Fahrwerk der Africa Twin auch Sprünge und stärkere Schläge, braucht dafür aber eine härtere Abstimmung wie im Serientrimm. Richtig eingestellt liegt sie sehr satt auf der Straße und gibt ein gutes Gefühl für den Untergrund. Die Bremsen sind auch passend dimensioniert, wobei Offroad oft die fein dosierbare Hinterradbremse ausreicht, um sich am Kurveneingang gefühlvoll einzubremsen und die Geschwindigkeit zu regulieren. Erfahrene Offroad-Fahrer können sich das ABS am Hinterrad komplett deaktivieren, das Offroad-ABS funktioniert aber auch in sehr losem Gelände gut und lässt genug Blockieren am Rad zu, um auch bei rutschigen Abfahrten genug Verzögerung zu ermöglichen.
Fazit zur Offroad-Performance der Honda Africa Twin DCT 2022
Die Honda Africa Twin macht auch abseits der geteerten Straßen einen sehr souveränen Eindruck. Die Ergonomie ist für Groß und Klein geeignet, Fahrwerk, Chassis und Bremsen verrichten ihren Job mehr als nur passabel und DCT plus Elektronik machen das Leben des Fahrers, nach einer kurzen Eingewöhnungsphase, deutlich leichter. Echte Offroad-Profis und Hobby-Lettenbichlers werden das klassische Getriebe mit Kupplung bevorzugen, doch der Großteil der Adventuristen, der sich hin und wieder auf den Schotter wagt, kann sich mit dem DCT entspannter und konzentrierter fortbewegen. Sobald man die für einen optimalen Einstellungen gefunden hat, steht dem genussvollen, oder sportlichen, Fahrspaß im losen Terrain nichts mehr im Weg.
GREGOR
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Fazit: Honda CRF1100L Africa Twin DCT 2022
Die Africa Twin ist für mich eine Reiseenduro wie eine Reiseenduro sein soll. Das galt schon fürs Vorgänger-Modell und änderte sich auch mit dem Anwachsen von Hubraum und Leistung nicht. Weil diese mit 102 PS zum einen überschaubar blieb und es Honda dabei sogar schaffte, ein paar Kilo gegenüber der CRF1000L abzuspecken. Also blieb ihr die Vielseitigkeit, funktioniert sie auf der Autobahn genauso wie im Gelände. Das Fahrwerk schluckt so ziemlich alle Unebenheiten, der Motor bleibt in jeder Lebenslage souverän, Ergonomie und Sitzkomfort sind beispielhaft. Ein Motorrad für alle Tage genauso wie für die große Reise – wo immer die auch hingehen mag.- durchzugsstarker Motor
- ausgereifte elektronische Fahrhilfen
- wunderbar funktionierendes DCT
- Touch-Screen-Farbdisplay
- gute Ergonomie
- Langstreckentauglichkeit
- Windschild perfekt für Offroad
- Serien-Handguards für Offroad-Einsatz wenig robust
- Elektronisches Bedienkonzept braucht Eingewöhnung und genaue Auseinandersetzung - Stichwort: Schalterflut
- Windschild bietet überschaubaren Schutz
Bericht vom 21.07.2022 | 22.636 Aufrufe