Die neue Ténéré 700 im On- und Offroad-Test
Hat sich das lange Warten gelohnt?
Über Jahre mussten sich potentielle Interessenten für das jüngste Kind der Ténéré Familie mit Prototypen, Vorserienmodellen und Lieferverzögerungen zufrieden geben. Vergraulte Kunden waren die Folge. Doch nun ist es so weit - Yamaha schiebt für die Saison 2019 endlich die Ténéré 700 an den Start. Schafft sie es die Mittelklasse unter den Reiseenduros neu zu definieren? Kann sie auch ohne elektronische Helferlein überzeugen? Um das zu klären, haben wir sie für unseren Test über 500 Kilometer auf und abseits von befestigten Wegen im sonnigen Spanien bewegt.
Die Geschichte der Yamaha Ténéré
Im Jahre 1983 ließ Yamaha erstmals die Erfahrung aus der Rallye Dakar in die Entwicklung von Serienmotorrädern einfließen. Die XT 600 Z Ténéré wurde aus der Taufe gehoben. Damals mit mächtigem 30 Liter Spritfass, langen Federwegen und optisch stark an die Wüstenrenner der Dakar angelehnt. Bis 1991 wurde der legendäre Einzylinder gebaut und trug einen wesentlichen Teil zur Schöpfung des Mythos Ténéré bei.
2019, also mehr als 35 Jahre später, versucht man mit neuen Wegen aber gleichbleibenden Tugenden an Ruhm und Ehre aus vergangenen Tagen anzuknüpfen. Gute Servicierbarkeit, lange Wartungsintervalle, langlebige Komponenten und nicht zuletzt auch ein leistbarer Preis standen auf der To-Do-Liste der Entwickler. Sie war von vorne herein niemals als Hightech-Rakete geplant. Vielmehr soll sie ihren Wurzeln treu bleiben und als unkomplizierter, treuer Begleiter für Adventuristent dienen.
Ergonomie und Handling der Yamaha Ténéré 700
Besagte Abenteurer wollen die neue Reisenenduro aus Japan aber erstmal erklimmen. Mit dem langen Radstand von 1.590 Millimetern, einer stattlichen Sitzhöhe von 875 Millimetern und dem hochgezogenen Cockpit im Rallye Stil ergibt sich ein stattlicher Anblick. Hat man sich aber mal in den Sattel geschwungen, fällt sofort der erfreulich kompakte Schrittbogen auf, welcher die Maschine auch für kleinere Piloten noch gut fahrbar macht. Ob das dementsprechend schlank gezeichnete Sitzpolster auch auf langen Tagesetappen genug Komfort bietet, wird der weitere Verlauf zeigen.
Direkt vom Start weg überrascht die Maschine dann mit einem sehr spielerischen Handling. Wieselflink und mit nur kleinsten Lenkimpulsen lässt sich die Ténéré aus der Mittellage heraus in den Radius werfen. Der breite und im Enduro-Stil hoch angebrachte Lenker liegt perfekt in der Hand. Die Ergonomie weiß vor allem für großgewachsene Fahrer auf Anhieb zu gefallen, sowohl im Sitzen als auch im stehenden Fahrbetrieb. Das geringe Fahrzeuggewicht von nur 204 Kilogramm im fahrfertigen Zustand tut sein Übriges um aus der Ténéré eine zugängige Handlingrakete zu machen.
Solche ein agiles Bike will natürlich auch gut versichert sein, dafür kann man bei der Allianz ganz einfach die Motorrad-Prämie berechnen!
Produkttipps
Yamaha Ténéré 700 - der CP2 Motor ist und bleibt ein Sahnestück
Was sich ebenfalls schon auf den ersten Metern positiv bemerkbar macht, ist der wohlbekannte 689ccm Zweizylinder. Seit Jahren verrichtet er in der MT-07, XSR 700 und Tracer 700 mit Bravour seine Dienste. Sowohl mit der drehmomentstarken Charakteristik als auch mit seiner Japan-typischen Problemlosigkeit hat er sich auf den Landstraßen Europas viele Freunde gemacht.
Der Twin mit 270 Grad Hubzapfenversatz wurde für die Verwendung im aktuellen Adventure-Bike nur minimal angepasst. Geändert wurde am Motor selbst im Wesentlichen nur das Einspritzungs-Kennfeld. Zusammen mit einer modellspezifisch angepassten Auspuffanlage und einer kürzeren Sekundärübersetzung (46:15) schaffte Yamaha es dennoch spürbar mehr Drehmoment von unten heraus an´s Hinterrad zu liefern. Die Leistungsdaten selbst liegen mit 73 PS nur knapp unterhalb von jenen der MT-07. Hinsichtlich der Drehmoment-Spitze bleibt es am Papier bei den 68 Newtonmetern.
Egal ob in steilen Offroad-Passagen oder beim Beschleunigen aus Spitzkehren - die Charakteristik passt und wird niemals langweilig. Sogar das Vorderrad steigt im ersten und zweiten Gang mit etwas Nachdruck gut dosierbar in luftige Höhen. Schaltfaule Piloten werden übrigens im fünften Gang einen guten Allrounder für die Landstraße finden. Dank des wohlerzogenen und elastischen Laufverhaltens kann man damit in der Praxis von 50 bis 140 einen sehr breiten Bereich abdecken. Mit einem Top-Speed von über 200 Km/h am Tacho werden in der relativ lang übersetzten Sechsten zudem auch flotte Autobahn-Etappen locker genommen. Sucht man das Haar in der Suppe, so können einzig die leichten Lastwechselreaktionen der Motor-Getriebe-Einheit angekreidet werden. Diese fallen - wie auch an den Schwestermodellen mit selbiger Motorisierung - im Stadtbetrieb ein wenig negativ auf.
Fahrwerk und Bremsen der Yamaha Ténéré 700
Glänzten am Prototypen noch mächtige Wettbewerbsteile im Fahrwerk, ist es an der Serienmaschine doch "nur" eine 43mm Upside-Down-Gabel geworden. Grund zur Sorge? Keineswegs! Die Entwickler haben bei der Abstimmung sehr viel richtig gemacht. Straff und linear sprechen die Federkomponenten, sowohl an der Front als auch im Heck, an. Bieten nahezu immer genug Reserven und spenden auch im Straßenbetrieb mit transparenter Rückmeldung gutes Vertrauen. Die 210 mm Federweg an der Gabel und 200 mm am Stoßdämpfer sorgen mitsamt einer Bodenfreiheit von 240 mm für sehr gute Geländetauglichkeit. Ebenfalls erfreulich: Das Dämpfungsverhalten kann an beiden Enden des Fahrzeugs in Zug und Druckstufe eingestellt werden. Am hinteren Federbein gibt es darüber hinaus noch ein Handrad, mit welchem die Vorspannung auf den jeweiligen Beladungszustand adaptiert werden kann.
Trotz steilem Lenkkopfwinkel und allgemein agilem Fahrverhalten liegt die neue Ténéré dank des relativ langen Radstandes samt ausgeklügelter Rahmenkonstruktion auch auf sehr flotten Schotterpassagen ruhig und treu in der Spur. Selbiges gilt für die ambitionierte Hatz durch schnelles, langgezogenes Kurvengeläuf auf der Landstraße. Generell kann an dieser Stelle erwähnt werden, dass das Konzept zwar mit großem Augenmerk auf optimale Offroad-Performance entwickelt wurde, aber auch im Straßenbetrieb wunderbar funktioniert und es stets versteht Freude zu bereiten.
Die Bremse an der Front der Ténéré 700 kommt nun vom Zulieferer Brembo. Der initiale Biss fällt zusammen mit den 282 mm Scheiben, passend zum Einsatzzweck, etwas weniger kräftig aus, Dosierbarkeit und Transparenz sind aber auch hier wieder auf tollem Niveau.
Ist die Yamaha Ténéré 700 trotz mangelnder Elektronik eine volle Empfehlung?
Tatsächlich ist an der neuen Ténéré kaum Schnick-Schack zu finden. Alles ist auf´s Wesentliche reduziert, ganz gegensätzlich zum allgemein herrschenden Trend am Markt. Die spartanische Displayeinheit, welche sich hinter der hohen Frontscheibe verbirgt, informiert übersichtlich und in großen Lettern über die wichtigsten Parameter. Auch die Armaturen am Lenker sind überschaubar, halten neben dem üblichen Pflichtprogramm gerade mal einen Knopf für das durchschalten der Cockpit-Infos parat. Einen Menü-Button, Schalter für Leistungs-Modi oder gar einen Joy-Stick sucht man vergebens. Wozu auch? Traktionskontrolle gibt es keine, Driving Modes ebenso wenig. Elektrisches Fahrwerk - Fehlanzeige. Nur das (abschaltbare) ABS unterstützt den Fahrer bei knackigen Bremsungen. Letzteres funktioniert übrigens auch im Gelände für weniger erfahrene Piloten sehr gut.
Klar wäre ein Tempomat eine feine Sache um lange Geradeaus-Etappen zu überbrücken, auch eine Traktionskontrolle als Backup für Regenfahrten käme gut. Ist man den Luxus eines Schaltautomaten gewohnt, will man auch diesen möglicherweise nicht mehr missen. Doch über eines muss man sich dabei im Klaren sein: Diese Features treiben sowohl den Fahrzeugpreis wie auch die Fehleranfälligkeit in die Höhe. Hier hat Yamaha bewusst "Nein" gesagt. Die Ténéré war niemals als Technologieträger oder Hightech-Rakete gedacht. Dieses Feld überlässt man bewusst und souverän den diversen, hochpreisigen Marktbegleitern und erfreut sich eines harmonischen Gesamtkonzepts, welches alles mitbringt um im Sattel Spaß zu haben.
Fazit: Yamaha Tenere 700 2019
Abgesehen vom modernen Design gibt es an der Ténéré kaum Ecken und Kanten. Alles ist perfekt dosierbar, linear in der Auslegung und selbst im Grenzbereich absolut transparent. Stellt sich die Frage ob es in der Mittelklasse nun tatsächlich mehr bräuchte? Wir glauben nicht. Sie glänzt mit gewohnt sauberer Verarbeitung, guter Servicierbarkeit, langen Wartungsintervallen und einem superben Preis-Leistungsverhältnis. Eine Vielfalt an Zubehör - inklusive Kit für die Tieferlegung - wird ebenfalls ab Werk angeboten.- spielerisches und transparentes Handling
- toller Motor
- saubere Verarbeitung
- gut abgestimmtes Fahrwerk
- geringes Gewicht
- Servicefreundlichkeit
- durchdachte Detaillösungen
- ABS für ernsten Offroad-Einsatz abschaltbar
- fairer Preis
- abgesehen von ABS keine Elektronik
- spartanisches Cockpit
- vibrierende Display-Halterung
- überschaubarer Windschutz
- leichte Lastwechselreaktionen
Bericht vom 26.05.2019 | 101.520 Aufrufe