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Das Handling ABC |
Die Zeitschrift PS verglich sieben verschiedene Motorradkonzepte beim
großen Handlingtest. Das Ergebnis findest du in Heft 8 / August 2010.
Die Erklärung der Grundbegriffe bei uns. |
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DAS LENKMOMENT wird aus den Kräften in Griffmitte errechnet, die
der Fahrer am Lenker einbringt. Es sorgt dafür, dass das rotierende
Vorderrad aus der stabilen Mittellage (Geradeausfahrt) gebracht wird und
nach links oder rechts kippt. Je nach Lenkerbreite (siehe technische
Daten) erzeugen diese Kräfte ein Drehmoment an der Lenkachse (Lenkrohr
der Gabel). Das verdreht die Lenkung aus der Geradeausstellung
(Lenkwinkel-Impuls). Die tatsächliche Kraft, mit der Fahrer am Lenker
ziehen, bzw. drücken, ist etwa dreimal so hoch, wie das messbare
Lenkmoment, das sich immer auf einen Hebelarm von einem Meter Länge
bezieht (Newton pro Meter). |
HANDLING UND LENKKRAFT sind subjektiv sehr
eng miteinander verbunden. Allerdings kann eine leichtgängige Lenkung
auch ein gutes Handling vortäuschen. Unterm Strich zählt immer das
Resultat, sprich der möglichst auf kurzem Weg machbare Richtungswechsel.
Und der lässt sich auch mit Motorrädern erreichen, die zwar eine hohe
Lenkkraft erfordern, diese jedoch sehr effizient in den Richtungswechsel
umsetzten. Speziell Supersportmotorräder mit verwindungsarmen
Telegabeln, steifen Fahrwerken und Reifen sowie einem kompakten
Schwerpunkt können die Lenkbefehle trotz der verhältnismäßig schmalen
Lenkerstummel am besten umsetzen. Breite Lenker erleichtern in jedem Fall den
Richtungswechsel, da die Lenkkraft des Fahrers über den langen Hebelarm
ein hohes Lenkmoment an der Drehachse erzeugt. Solange der Fahrer eines
Supersportlers die notwendige Lenkkraft jedoch aufbringt, hat er in
schnellen Schikanen und Schräglagenwechseln keine Nachteile bei
Kurvengeschwindigkeit und Rundenzeiten zu befürchten.
LENKIMPULS UND LENKWINKEL
Der Lenkimpuls ist jene Kraft, die der Fahrer über den Lenker auf
das Vorderrad einbringt, um es aus der Mittellage zu bringen. Durch
diesen Impuls wird das Motorrad in Schräglage gedrückt. Je größer der
Lenkausschlag (Lenkwinkel), desto schneller kippt die Maschine in die
Kurve, natürlich immer in gegensätzlicher Richtung. Zum Einleiten einer
Linkskurve wird der Lenkimpuls nach rechts gerichtet und umgekehrt.
Daher der wichtige Lehrsatz: Rechts drücken, rechts fahren links
drücken, links fahren! Während der Kurvenfahrt ist die Lenkung mit rund
ein bis drei Grad (Lenkwinkel) nach innen eingeschlagen. Je geringer die
Geschwindigkeit und die Schräglage, desto größer der Lenkwinkel.
Über den Lenkwinkel kann die Schräglage während der Kurvenfahrt
korrigiert werden. Dreht der Fahrer den Lenker zur Kurveninnenseite,
richtet sich das Motorrad auf und vergrößert den Kurvenradius. Lenkt der
Fahrer gegen die Kurvenrichtung, klappt die Maschine mehr in Schräglage,
der Kurvenradius verkleinert sich. |
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270 Kilogramm in 1 Sekunde um 54
Grad von links nach rechts. |
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DIE KREISELKRÄFTE der rotierenden Massen, speziell bei den
Rädern, sträuben sich gegen einen Richtungswechsel und brechen nur mit
einer entsprechend hohen Kraft aus ihrer Drehebene aus. Da zur
Kurvenfahrt Vorder- wie Hinterrad ihre Drehebene von vertikaler
Position in die Schräglage ändern müssen, tragen beide zur
Massenträgheit bei. Wobei das Hinterrad durch den deutlich größeren
Anteil an rotierenden Massen (Reifen, Kettenblatt und Felgenring)
entsprechend etwas mehr Widerstand leistet als das leichtere Vorderrad.
Dieses muss zwar den Lenkimpuls durch eine Drehbewegung einleiten, doch
ist diese so langsam, dass dabei die rotierenden Massen eine eher untergeordnete Rolle spielen. So wird die Lenkung beispielsweise in
den schnellen Schikanen des Rheinrings für abrupte Schräglagenwechsel
mit einer Winkelgeschwindigkeit von 3,7 Grad/Sekunde bewegt. Eine Triumph Street Triple R mitsamt Fahrer und den rotierenden Massen von
Rädern und Motorbauteilen (Kurbelwelle, Getriebe, etc) legt dagegen eine
deutlich rasantere Bewegung zurück. In einer Sekunde schwenkt die
komplette Masse von rund 270 Kilogramm um 54 Grad von Links- in
Rechtsschräglage. Drehen sich die Motormassen in der
Motorradlängsrichtung (zum Beispiel Guzzi-V2, BMW-Boxermotoren), haben
sie einen deutlich geringeren Einfluss auf das Handling, da nur noch das
Rückdrehmoment auf eine Änderung der Schräglage einwirkt. |
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Neutrale und tatsächliche
Schräglage. |
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DIE SCHRÄGLAGE errechnet sich aus dem durch das GPS aufgezeichneten Kurvenradius und der Geschwindigkeit. Diese sogenannte neutrale
Schräglage gibt nicht die tatsächliche Schräglage der Maschine
wieder. Je nach Reifenbreite und Schwerpunkthöhe vergrößert sich die
tatsächliche Schräglage. Beispiel: Reifenbreite, im Mittel aus Vorder-
und Hinterradreifen: 150 Millimeter (außermittige Aufstandsfläche).
Schwerpunkthöhe, mit Fahrer: 650 Millimeter. Diese Konstellation ergibt
bei 45 Grad neutraler Schräglage eine tatsächliche Schräglage von
51,6 Grad. Also über sechs Grad mehr.
Faustformel: Je breiter die Reifen und je tiefer der Schwerpunkt, desto
höher die tatsächliche Schräglage. Wären bei diesem Beispiel nur 100
Millimeter schmale Reifen aufgezogen, müsste der Fahrer bei gleicher
Kurvengeschwindigkeit nur 49,3 Grad tatsächliche Schräglage fahren.
Läge bei der 150er-Reifenbreite der Schwerpunkt nicht bei 650, sondern
auf 750 Millimetern, betrüge die notwendige Schräglage nur 50,7 Grad.
DIE RÜCKMELDUNG ist ein ganz entscheidender subjektiver Punkt beim Handlingtest. Fühlt sich das Motorrad schwammig oder schwerfällig an,
kommt der Fahrer zwar mit hohem Einsatz auf nahezu dieselbe
Geschwindigkeit, spürt dabei aber kaum den Grenzbereich. Mit zu wenig
Luftdruck beispielsweise bleibt er deutlich unter der möglichen
Lenkkraft, da er sich nicht sicher ist, ob das gefahrene Manöver auch
gut geht. |
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Das Einmaleins
der Rahmengeometrie. |
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RADSTAND: je länger, desto unhandlicher und umgekehrt. Die Ursache liegt
darin, dass ein Fahrzeug mit langem Radstand mit einem größeren
Lenkeinschlag um Kurven fahren muss. Dieser größere Lenkeinschlag kostet auf dem Motorrad mehr Kraft und
beeinflusst in Wechselkurven die Agilität. Ein
zu kurzer Radstand macht das Motorrad anfällig für Störeinflüsse und
steigert die Neigung für Wheelies und Stoppies.
LENKKOPFWINKEL: Ein steil angeschweißter Lenkkopf setzt die Lenkbewegung
relativ direkt in eine Kurvenfahrt um. Ein zu flacher Lenkkopfwinkel
bewirkt beim Lenken mehr eine Veränderung des Sturzes, also der
Schrägstellung des Vorderrads aus der vertikalen Ebene als eine
Lenkbewegung und benötigt dazu eine hohe Gegenlenkkraft.
NACHLAUF: Führt man die gedachte Linie durch den Lenkkopf bis zum Boden
weiter, trifft diese vor der Radaufstandsfläche auf den Boden. Das Rad
läuft also der Drehachse der Lenkung hinterher, was Nachlauf genannt
wird. Durch ihn verlagert sich beim Einschlagen der Lenkung der
Aufstandspunkt des Reifens aus der Mittelachse des Motorrades. Durch den
Rollwiderstand des Reifens und den entstandenen Hebelarm wird das
Vorderrad mit einer bestimmten Kraft, der sogenannten Rückstellkraft,
in die Geradeausstellung zurückgeführt. Sie sorgt dafür, dass sich die
Lenkung beim Fahren automatisch in Geradeausstellung bringt und das
Motorrad stabilisiert. Für den Lenkimpuls zur Kurvenfahrt muss diese
Rückstellkraft überwunden werden. |
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Schwerpunkt und Radstand
müssen aufeinander abgestimmt sein. |
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SCHWERPUNKT: Das Zentrum aller Fahrzeugmassen bildet den Schwerpunkt.
Anders als bei Autos darf der Schwerpunkt beim Motorrad nicht maximal
niedrig angeordnet sein, denn dann reagiert das Motorrad träge auf
Lenkimpulse und benötigt bei breiten Reifen eine zu große Schräglage,
um Kurven zu fahren. Ist der Schwerpunkt zu hoch, wird das Motorrad
instabil, kippelig und neigt zu Wheelies und Stoppies. Schwerpunkthöhe
und Radstand sollten immer aufeinander abgestimmt sein, da beide
Faktoren die dynamische Achslastverteilung bestimmen. Bei den meisten
Rennmaschinen liegt der Schwerpunkt deutlich über dem einer
Serienmaschine.
MASSENKONZENTRATION: Um ein möglichst gutes Handling zu erreichen,
werden die schweren Bauteile bei Sportmaschinen möglichst nahe am
Schwerpunkt konzentriert.
ROTIERENDE MOTORMASSEN: Diese erschweren, wie die Räder auch, den
Richtungswechsel. Vor allem die Kurbelwelle baut mit steigender Drehzahl
enorme Kreiselkräfte auf, die das Motorrad träge machen. Allerdings
wirken sämtliche gegensätzlich rotierenden Bauteile wie Kupplung,
Getriebe- und Ausgleichswellen den rotierenden Massenkräften der
Kurbelwelle entgegen. Kleiner Trick: schnelle Schikanen und
Wechselkurven mit möglichst geringer Kurbelwellendrehzahl durchfahren. |
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PS 8/August 2010 Handlingtest: Konzeptvergleich
Wer swingt am elegantesten übers Parkett, sprich den Parcours? Streng
nach objektiven Gesichtspunkten versuchte PS, Licht in das komplexe
Thema Handlichkeit zu bringen, und ging mit verschiedenen
Motorradkonzepten an den Start.
Weitere Themen im Heft:
- Test: K-Maxx-KTM 990 Superduke Road Hero
- Vergleichstest: Ducati 1198 S gegen Ducati Multistrada 1200 S
auf der Nordschleife
- Vergleichstest: Power-Tourer, Triumph Sprint GT und BMW K 1300
GT
- PS Tuner-GP: Racebike, Yamaha-R6 von Motorradtke
- Rallye-Extrem-Test: Werks-Dakar-KTM 690 Rally
- Reportage: Fluch und Segen der MotoGP-Reifen
- Homestory: Kevin Schwantz
Link
Motorrad Handling Test |
Verglichen wurden BMW R 1200 GS, KTM 690 SMC, Kawasaki Z1000, Aprilia
RSV4R, Triumph Street Triple R, Suzuki Gladius und Honda CBR600RR. |
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Interessante Links:
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Text:
WERNER KOCH
Fotos:
Jörg Künstle, PS, Honda, KTM, Triumph |