Kawasaki Z900 on Tour

Wie schlägt sich der Naked-Dauertester auf großer Reise?

Reisemotorräder halten unangenehme Umwelteinflüsse vom Fahrer fern. Wind, Regen und Insekten mit viel Verkleidung, Kälte mit Griff- und Sitzheizung, Fahrbahnunebenheiten mit langen Federwegen. Außerdem bieten sie meist viel Stauraum für Gepäck. Auf dem Papier hat die Kawasaki Z900 nichts davon zu bieten. Sie ist nackt, kompakt und ohne viel Schnickschnack. Kann sie trotzdem auf der sechstägigen Tour durch Österreich, Italien und Slowenien überzeugen?

In Wiener Neustadt wartet sie schon auf uns. Die Z900 aus dem 1000PS Dauertest-Fuhrpark wird von den Redakteuren in allen Bereichen eines Motorradlebens gecheckt - von Fabian und mir auf der ausgedehnten Alpen-Tour. Zusammen mit der 890 Duke R führen wir sie über hohe Pässe und weniger hohe Weinberge, gute und weniger gute Straßen.

Reiseausstattung der Kawasaki Z900

Noch vor dem Start kann die Kawa angenehm überraschen: Wider Erwarten ist sie doch nicht ganz nackt, sondern hat ein GIVI Windschild montiert -  kein Augenschmaus, aber in Hinblick auf die Distanz von rund 2000 Kilometern ein gern angenommenes Schmankerl.

Neben zwei Rucksäcken haben wir für frische Unterwäsche und Kameraequipment eine Hecktasche von GIVI, die Fabian zunächst auf der KTM mit Klettbändern befestigt. Fairerweise wird nach zwei Tagen durchgetauscht, da die Universal-Hecktasche auch auf dem Sozius-Sitz der Kawa Platz findet.

Reisetauglichkeit der Z900

Der große Erfolg der Z900 lässt sich leicht erklären: seidiger, kraftvoller Motor, leichtes Handling und ein Preis, dem die Bezeichnung fair kaum gerecht wird. Attribute, die auch auf langen Touren gefallen. Besonders die lineare Leistungsentfaltung. Die Z900 gibt immer genau so viel Power frei wie gewünscht und das macht Reisen grundsätzlich entspannt. Wenn sie gebraucht werden, stehen aber launige 125 PS Spitzenleistung bei 9.500 Umdrehungen und stattliche 98,6 Nm bei 7.700 Touren bereit da geht was! Das starke Drehmoment kann der Motor besonders auf Serpentinenstraßen ausspielen und drückt die 212-Kilo-Kawa spielerisch locker von Spitzkehre zu Spitzkehre. Sogar im dritten Gang hackt der 948-Kubik-Vierling in den Haarnadelkurven des Vršičpasses nicht unkultiviert auf die Kette, sondern zieht ganz smooth voran.

Als es beim Erklimmen eben jenes Passes anfängt zu regnen schalte ich in den Rain-Modus, bei dem die Traktionskontrolle früh eingrätscht und die Leistung auf 69 PS reduziert wird. Die seit 2020 endlich in der Z900 verfügbare TC erspart Stress-Pickel in solchen Situationen. Sonst passt der Road-Modus mit voller Leistung und später regelnder Traktionskontrolle, der Sport-Modus lässt sogar noch mehr Schlupf zu. In allen Fahrmodi wird das Vorderrad auf dem Boden gehalten, es sei denn, man deaktiviert im Rider-Modus die TC.  Wenn das Ding jetzt noch einen Quickshifter hätte…

Wobei, eigentlich auch kein Drama. Die Kawa-Kupplung ist schließlich leichtgängig und ihr Hebel wie der der Bremse fünffach in der Weite einstellbar. Das Getriebe arbeitet unauffällig und die Gänge klicken einwandfrei rein. Und wer keine Lust hat, runterzuschalten, dem verzeiht der Vierzylinder das gerne.

Das Fahrwerk der Kawasaki Z900 kann bei der Sechstagestour richtig punkten. Es ist komfortabel, aber lässt auch sportliches Fahren zu. Außerdem passt die Rückmeldung und der Federungskomfort ist durchaus tourentauglich. In uneinsichtigen Kurven schenkt die Z900 viel Vertrauen. Sie ermöglicht jederzeit Kurskorrekturen und lässt sich willig auf engere oder weitere Linien manövrieren.

Minuspunkte gibt´s natürlich auch. Vor allem der Sitz bekommt Abzüge beim Komfort. Grundsätzlich ist das Polster nicht zu hart, aber es zwingt den Fahrer durch die Form in eine Sitzposition nahe am Tank und schränkt die Bewegungsfreiheit stark ein - obwohl das Motorrad sie eigentlich hergeben würde. Für kurze Trips nicht relevant, auf Tour aber eben schon.

Allgemein ist die Sitzposition nicht zu sportlich, aber auch nicht inaktiv. Mit 1,69 Metern passen die Dimensionen und Abstände gut und auch Fabian hat mit 1,83 Metern bis auf das Sitzpolster nichts auszusetzen. Der breite Lenker macht das Einlenken zum Kinderspiel. Die Standard-Sitzhöhe liegt bei 820 mm (optional ist ein niedriger Sattel erhältlich) und dank des nach unten schmal zulaufenden Tanks finden auch kleinere Personen damit schon einen sicheren Stand. Der Tank selbst qualifiziert die Z900 übrigens weiter zum guten Tourenbike. 17 Liter fasst er und ermöglicht bei einem Verbrauch von durchschnittlich 4,7 Litern auf 100 Kilometern theoretisch 362 Kilometern ohne Tankstopp. Daumen hoch dafür.

Und für die Reisetauglichkeit insgesamt? Auch. Ich würde mich sofort wieder auf eine Tour mit der Z900 begeben. Sie überzeugt durch ihren starken und samtweichen Motor, das gute Fahrwerk und ihre Agilität und spielt damit die bekannten Stärken voll aus. Im Zubehör sind zudem verschiedene Gepäcksysteme erhältlich, die den Reisekomfort weiter steigern würden. Einziges wirkliches, aber korrigierbares, Manko: man tut gut daran, sich vor der Reise einen bequemeren als den Standardsitz zu organisieren.

Sechs Tage MoHo-Tour im Überblick

Die Tour, auf der die Kawasaki Z900 getestet wurde, möchten wir an dieser Stelle gerne weiterempfehlen. Sie führt durch drei Länder und von Motorrad Hotel zu Motorrad Hotel, oder kurz: von MoHo zu MoHo. Von diesen Hotels gibt es eine ganz Menge. 54 Gastgeber erwarten uns Biker in insgesamt sechs verschiedenen Ländern. Fabian und mich auf der hier empfohlenen Tour in drei davon: wir kurven erst durch Österreich, wohin wir nach drei Reisetagen über Italien und Slowenien auch wieder zurückkehren.

Dass uns unzählige Kurven, Kehren und beeindruckende Panoramen erwarten, versteht sich von selbst. Von Wiener Neustadt über die Kalte Kuchl geht´s auf engen Sträßchen nach Obertauern. Kühe, Pferde und Ziegen grasen links und rechts des grauen Pfads und zeigen bei einem kurzen Stopp sogar neugieriges Interesse an uns und den Bikes. Ob es an der KTM oder der Kawasaki liegt? Da lässt sich drüber streiten. Im Hotel Solaria angekommen bekommen wir an der Bar nicht nur Bier und selbstgebrannten Schnaps (ja, das Augenlicht haben wir behalten), Gastgeber Christian gibt uns haufenweise Routenempfehlungen. Er kennt vermutlich jede asphaltierte Straße im Umkreis von 300 Kilometern. Die besten spielt er per GPX-Datei direkt auf unser Navi. Wunderbar, ab jetzt nur noch den Anweisungen folgen und genießen.

Über Nockalmstraße und Nassfeldpass führt uns das TomTom am nächsten Tag nach Bella Italia. Von der Terrasse des Hotels Bellavista genießen wir abends den Ausblick auf das im Tal des Monte Zoncolan gelegene Ravascletto. Der Sonnenuntergang ist inklusive. Wie auch Werkzeug für den losen Spiegel der Kawa. Wir können den Zoncolan also mit gefestigtem Rückblick erklimmen.

In der Früh ist dort zum Glück noch nicht viel los und Gegenverkehr bleibt uns meist erspart. Schon eine Reiseenduro à la GS wird auf diesem Pass zum Reisebus, ein Wohnmobil nimmt gar die komplette Straßenbreite und mehr in Beschlag. Augen also immer schön nach vorn, was beim tollen Blick ins Tal auf dem oberen Teil des Passes durchaus schwerfällt. 

Nach dem nicht weniger anspruchsvollen Abstieg geht´s weiter in Richtung Slowenien. Genauer gesagt in das grenznahe Weinbaugebiet, wo MoHo Gastgeberin Vesna uns schon im Hotel San Martin erwartet. Den heimischen Wein sollte man hier auf keinen Fall ausschlagen, auch wenn er nach einer Tagesetappe weniger isotonisch ist als das (im besten, aber seltensten Fall, alkoholfreie) Bier. Natürlich bekommen wir auch hier Tourentipps. Das Soča-Tal solltet ihr unbedingt anschauen, schwärmt die motorradbegeisterte Vesna und zeigt uns dabei die Route ganz analog auf der Karte. Erfrischend, denn eine Geschichtsstunde ist inklusive. Welche Stadt im ersten Weltkrieg eine Rolle spielte, wo Grenzen verliefen und was die Burgen auf den Gipfeln für eine Funktion hatten - Vesna erzählt´s und macht Lust, die Orte dann auch anzufahren. 

Wir genießen erst die Kehren und Ausblicke des Monte Matajur und erklimmen dann den Vršičpass. Diesen hatte Vesna uns als das slowenische Stilfserjoch beschrieben. Anschließend folgen wir, wie empfohlen, dem Soča-Fluss mit spaßigen langgezogenen Kurven. Die Kombination aus humidem Klima, tiefgrünen Pflanzen und türkis-blauem Wasser erinnert etwas an die Tropen. Allerdings nicht die Temperatur des Flusses. Ein Fußbad kommt als Abkühlung ganz gelegen, weiter trauen wir deutschen Sissis uns aber nicht rein.

Nach einer weiteren Nacht im San Martin steht die letzte Etappe zurück nach Österreich an. Zum Berghotel Brunner in Bad Eisenkappel. Schon die Anreise durch enge Täler - vorbei an Felswänden, die hunderte Meter neben uns in die Höhe ragen - ist ein würdiger Abschluss. Im Berghotel selbst verwöhnt dann zuerst die top sortierte Biker Werkstatt samt Waschstation und ein paar Minuten später der Ausblick von der Terrasse auf Täler und Berge. Nach dem Essen wird auf eben jener Terrasse die Lautstärke der Rockmusik aufgedreht und die Après-Bike-Party könnte beginnen. Unter den aktuellen Umständen bleibt es aber beim gemütlichen Bier auf Abstand.

Auf den Navi-Fauxpas der finalen Verbindungsetappe, der uns durch die Grazer Rushhour leitet, die drückende Hitze und den sintflutartigen Regen, der 20 km vor Ankunft einsetzt, gehe ich an dieser Stelle nicht weiter ein. Wir nehmens auf jeden Fall mit Humor. Am Ende stehen KTM und Kawa wieder vor der 1000PS Redaktion. Das Putzen am Morgen hätten wir uns aber sparen können.

Bericht vom 20.09.2020 | 28.707 Aufrufe

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