Motorradfahren lernen - Fahren bei Kälte

Am Motorrad ist es durch den Fahrwind um Dimensionen kälter als stehend oder sitzend am Straßenrand. Der Fahrtwind drückt dir die umgebende Außentemperatur derartig schnell, unbarmherzig und massiv gegen deinen Körper, dass alle thermischen Regulierungskreisläufe eines Warmblütlers binnen kürzester Zeit überfordert sind. Dein Körper versucht seine Systemtemperatur von ungefähr 36° Celsius zu halten. Er hat dafür einige Organe zur Verfügung. Die Haut, deine Haare, eventuell wärmespendende Muskelaktivitäten oder er nutzt in der anderen Richtung zur Kühlung die Verdampfungsenergie von ausgeschiedenem Schweiß. Dass die Wärmebedingungen der Umgebung über unsere Haut auch zu anderen Organen gelangen, darum kümmert sich vor allem unsere Wärmepumpe im Körper: Das Herz pumpt und verteilt Wärme oder Kühle dorthin, wo sie gebraucht wird.

Durch den Fahrtwind kommen all deine anderen Organe gar nicht mehr mit, darauf wärmetechnisch zu reagieren. Diese Größenordnung der ständigen Zufuhr von kühleren Außentemperaturen wird zum Beispiel bei Bergsteigern als Chill-Faktor beschrieben. Dort heißt es vereinfacht: Je mehr Wind, desto kälter kommt es dem Menschen vor. Nun sind wir aber alle am Motorrad grundsätzlich höheren Windgeschwindigkeiten in Form von Fahrtwind ausgesetzt, deswegen ist uns viel früher kalt, als anderen, die sich nicht so schnell an der freien Luft bewegen.

Ein großes Projekt verlangt nach großen Partnern - weshalb wir uns entschieden, für unsere Berichteserie Motorradfahren lernen mit hochwertigen Herstellern wie Honda, Metzeler, Stadler und SW-Motech zusammen zu arbeiten. Für einen feinen Querschnitt durch die aktuellen Motorradkategorien haben wir von Honda eine einsteigerfreundliche CB500 Hornet, eine sportliche CBR650R sogar mit E-Clutch (muss man mal probiert haben!) und als Referenz für das Adventure-Segment eine CRF1100L Africa Twin Adventure Sports mit elektronisch verstellbarem Fahrwerk gewählt. Bestückt wurden alle Bikes mit Taschen oder Tankrucksäcken von SW-Motech, damit wir diverse Utensilien, die wir bei unseren Fotofahrten brauchten, gut verstauen konnten. Da wir natürlich nicht wussten, wie das Wetter wird, vertrauten wir bei der Kleidung auf Highend-Ware von Stadler Bekleidung, die dank GoreTex-Material und innovativen SASS-Belüftungsöffnungen sowohl bei nasskaltem als auch bei heißem Wetter ausgezeichnet funktionieren. Schließlich wollten wir auch bei den Reifen nichts dem Zufall überlassen, für unsere Vorführ-Fahrten wurden auf allen drei Maschinen Qualitäts-Pneus von Metzeler aufgezogen. Und ja, richtig vermutet, natürlich hat mit allen vier Herstellern alles problemlos funktioniert!

Das ist der klassische Temperaturbereich in der Zwischensaison, also Frühling und Herbst. Hier punkten die Vorteile der Gore-Tex Schutzausrüstung. Zumindest eine langärmelige Schicht solltest du zusätzlich anziehen. Dicke Lederhandschuhe über den dichten Ärmelabschluss deiner Jacke angezogen könnten ausreichen, manche schwach durchblutete Menschentypen brauchen da schon Heizgriffe. Bei 15° und weniger sind dichte Stiefel und ein dichter Hosenbeinabschluss erforderlich. Ebenso wirst du deinen Jackenkragen komplett schließen und ein Halsschlauch hilft dir dabei. Bei feuchten Verhältnissen beschlägt dein Visier höchstwahrscheinlich. Hast du dich für eine Lederschutzausrüstung entschieden, sollte es eine dichte Variante ohne Belüftungslöcher sein, die so geschnitten ist, dass du darunter noch genug Platz für Innenhose und zumindest eine wärmende langärmelige Textilschicht am Oberkörper hast.

Das ist der Temperaturbereich, bei dem eher nur vollblutige Tourenfahrer oder Zweckfahrer im Alltag längere Strecken zurücklegen. Viele Menschen empfinden 10° bereits als zu kalt zum Motorradfahren. Machst du es trotzdem, musst du dich umfangreich ausrüsten! Viele Textilschichten unter der wärmeren Gore-Tex Ausrüstung, an allen Enden komplett dicht, auch im Nierenbereich (Nierengurt!). Ungefütterte Lederhandschuhe wirst du bei 10° ohne Heizgriffe nicht mehr verwenden, es sei denn, du hast windstoppende Überhandschuhe zusätzlich an oder du verwendest batteriebetriebene Handwärmer. Prüfe vor Abfahrt, ob du damit deine Handhebel uneingeschränkt bedienen kannst! Am Hals wirst du bereits einen wärmenden Halsschlauch verwenden, manche Menschen nehmen eine Variante mit Gesichtsmaske. Dein Visier wird beim Stehenbleiben beschlagen, wenn du keine Gegenmaßnahmen setzt. Zieh dir definitiv dicke Socken unter wintertauglichen Stiefeln an! Nur wenige Menschen fahren bei dieser Temperatur längere Strecken im Leder. Du müsstest dir in diesem Fall sehr viel unter deiner größer geschnittenen Lederausrüstung anziehen, was deine Beweglichkeit sehr einschränken wird. Oder du greifst zu technischen Hilfsmitteln, z.B. zu einer stromgespeisten Wärmeweste. Solltest du ungeplant in eine solche Situation kommen, kann eine Regenkombi über das Leder als Windstopper funktionieren, deine Temperatur wird dann darunter eher gehalten.

Das ist eine Wettertemperatur, bei der nur die härtesten Hunde unter den Motorradfahrern unterwegs sind, oder jene, die müssen. Ab jetzt müssen definitiv Kompromisse zwischen Aufprallsicherheit und Wärmesicherheit gemacht werden. Lederhandschuhe alleine sind definitiv zu wenig. Selbst Wintermotorradhandschuhe mit partiell angebrachten Protektoren stoßen bei längeren Strecken schon an ihre thermische Grenze. Unter der Gore-Tex Ausrüstung musst du sehr viel oder sehr wärmende Schichten anlegen. Am Motorrad nutzt du jede Möglichkeit, den Fahrtwind von den Extremitäten abzuweisen, also Handprotektoren etwa für die Finger. Jetzt sehnst du dich nach Heizgriffen und einer Sitzheizung. Es ist die Zeit, wo du nur noch weit geschnittene Stiefel und zwei Paar Socken oder großzügig gefütterte Stiefel anziehst.

Bei dieser Temperatur fährt man freiwillig weitere Strecken nur auf das Elefantentreffen oder weil man sich und anderen etwas beweisen will. Du solltest vorher deine Kleidung bei 5° ausprobiert haben und dann überlegen, wie du jetzt noch eine wärmende Schicht hinzufügen kannst. Es ist die Zeit der Überziehstiefel, der Kniewärmer, der Spezialhandschuhe und der individuellen Lösungen. Dein Visier könnte bereits außen vereisen, du musst es regelmäßig während der Fahrt abwischen.

Die verschärften Bedingungen für die wärmende Wirkung deiner Bekleidung kannst du nur noch mit Spezialteilen bewältigen. Du musst bereits auf Schutzfunktionen für Fälle des Aufpralls verzichten. Es kommen jetzt nämlich noch andere sicherheitsrelevante Aspekte dazu. Irgendwann wird es ohne beheizbares Visier nicht mehr gehen, weil du während der Fahrt das Eis nicht mehr oft genug wegwischen kannst, bei noch tieferen Temperasturen kann es auch innen vereisen! Manche Hebel des Motorrads musst du womöglich extra adaptieren, damit du sie auch mit klobiger Wärmekleidung bedienen kannst. Außerdem musst du mit winterlichen Straßenbedingungen rechnen, dementsprechend muss dein Fahrkönnen und dein Motorrad diese bewältigen können. Winterexpeditionsfahrer raten dazu, steigeisenartige Applikationen über die Winterstiefel zu ziehen, da ein Stehenbleiben und Abstützen auf Eis nahezu unmöglich ist, selbst wenn du vorher darauf gefahren bist.

Bei der Entwicklung eines Reifens wird darauf Wert gelegt, dass er in einem bestimmten Temperaturfenster optimale Performance, also in erster Linie guten Grip, erzielt. Er funktioniert also am besten, wenn er eine bestimmte Temperatur erreicht hat. Diese Wärme erreicht er durch Walkenergie, im Prinzip Reibung und durch Wärmetransfer der umgebenden Medien, also von der Asphaltwärme und der Luftwärme. Ist es nun kalt, dann braucht er viel länger, um dieses Temperaturfenster zu erreichen. Bei sehr kalten Bedingungen kann es sogar sein, dass er diese Mindestwärme gar nicht erreicht. Das hängt von den Eigenschaften deines Reifens ab!

Es gibt im Rollersegment tatsächlich spezielle Winterreifen mit Lamellentechnologie. Bei Motorradreifen würden wir das anders formulieren. Vor allem offroad-taugliche Reifen können auch dahingehend entwickelt worden sein, dass sie auch bei niedrigen Temperaturen und winterlichen Fahrbahnbedingungen gut funktionieren. Nur wenige gelten aber als Winterreifen im Sinne der gesetzlichen Regelungen.

• Prüfe rechtzeitig, wie sich dein Visier bei niedrigen Temperaturen verhält, es darf nicht beschlagen oder gar vereisen!
• Schütze vor allem exponierte Gliedmaßen, also besonders deine Hände und Füße, gegen die Kälte!
• Finde die richtige Lösung für deinen Hals und Gesichtsbereich!
• Denke auch an deine Gelenke, besonders deiner Arme und Beine, und an deine Nieren- und Blasengegend. Du bist dort besonders kälteempfindlich!
• Nutze die Möglichkeiten eines effektiven Windschutzes!
• Lieber zu warm als zu kalt angezogen! Ausziehen kannst du dich immer noch.
• Fahre vorausschauender oder langsamer, wenn deine Reifen auf Grund der Kälte nicht die volle Performance liefern können!
• Studiere den Wetterbericht vor Abfahrt!
• Plane deine Tour rechtzeitig und denke auch an die Temperaturbedingungen in höheren Lagen, etwa bei hohen Alpenpassquerungen.
• Bewegst du dich am Motorrad viel, wie etwa beim offroad Fahren oder im Rennsport, musst du natürlich weniger anziehen, da deine Muskeln mehr Eigenwärme produzieren und dein Blutkreislauf diese besser in deinem Körper verteilt!

• Im Alltag. Nutzt du dein Motorrad oder deinen Roller als Transportgerät, das dich zu, in oder von der Arbeit oder beim Einkaufen bewegt, wirst du auch bei tieferen Temperaturen, speziell in der Früh, am Abend oder in der Nacht unterwegs sein.
• Auf Touren. Da du bei längeren Touren das Wetter vorher nicht 100% wissen kannst, musst du mit allem rechnen. Außerdem können im Alpenland die Bedingungen oft auf wenigen Kilometern stark wechseln. Zusätzlich sinkt die Temperatur mit steigender Seehöhe, also oben am Bergpass kann es bekanntlich kalt werden.
• Expeditionen. Manche Abenteurer wollen auch in kältere Gegenden mit dem Motorrad fahren. Das sind aber meistens ohnehin wache Geister, die sich dementsprechend vorbereiten.
• Das Elefantentreffen. Es ist das bekannteste Motorradtreffen Mitteleuropas im Winter. Das Elefantentreffen findet traditionell am ersten Wochenende im Februar im bayrischen Wald statt. Bei den tausenden Teilnehmern findest du allerhand kreative Lösungen, was den Kälteschutz und das Fahren auf Schnee und Eis betrifft.

Auch wenn das 1000PS Nachschlagewerk nicht auf einmal sondern bis Ende des Jahres immer weiter ergänzend erscheint, ist es am Ende eine große, einem Lexikon ähnliche, Database, in der man nach Kapiteln und Absätzen geordnet auf die häufigsten Fragen, die in den 1000PS-Foren in den letzten Jahren gestellt wurden, eine Antwort findet.

Entdecke unsere umfassende Serie "Motorradfahren lernen" auf 1000PS, in der wir alle Aspekte des Motorradfahrens behandeln. Von der Wahl des richtigen Motorrads, über die korrekte Bedienung von Kupplung und Bremsen, bis hin zur optimalen Körperposition und Kurventechnik. Wir zeigen dir, wie du moderne Fahrassistenzsysteme nutzt, bei Nacht oder auf nasser Fahrbahn sicher fährst und sogar wie du Notmanöver meisterst. Egal ob du Anfänger bist oder deine Fähigkeiten verbessern möchtest, unsere Serie bietet wertvolle Tipps und Ratschläge für jeden Fahrer. Tauche ein in die Welt des Motorradfahrens mit 1000PS!