Im Herzen des Klangs – mein Besuch in den Cardo Sound Labs

Reportage aus den Cardo Sound Labs im bayrischen Straubing.

Straubing. Normalerweise denkt man hier an das Gäubodenvolksfest, an Bierzelte und endlose Felder entlang der Donau. Doch diesmal parke ich nicht vor dem Festzelt unsere edle Harley-Davidson CVO Road Glide Dauertestmaschine, sondern vor einem unscheinbaren Gebäude im Osten der Stadt. Von außen wirkt es fast wie ein normales Industriegebäude – drinnen aber, so viel sei verraten, verbirgt sich ein kleines Paradies für Klangfetischisten: die Cardo Sound Labs.

Schon beim Betreten fällt mir auf: Hier wird nicht einfach nur gearbeitet, hier wird geforscht, probiert, gemessen, verworfen und wieder probiert. Die Atmosphäre erinnert eher an eine Mischung aus Uni-Labor und Tüftler-Werkstatt. An den Wänden hängen Helmprototypen, daneben Kabel, Lautsprecher, Dummy-Köpfe bzw. Kopfteile. Die zehnköpfige Mannschaft grüßt freundlich, wirkt entspannt, aber man merkt sofort: Jeder weiß genau, was er tut, trotz der vielen Dinge um einen herum. Und irgendwie wirkt alles klein, überschau und etwas inmprovisiert. Doch was man auch spürt: Hier gibt es keinen Druck, hier wird nicht gearbeitet um Deadlines zu schaffen oder Quartalszahlen zu meistern, nein, hier gibt es nur einen Antrieb: Leidenschaft. Heutzutage nicht mehr ganz so üblich - irgendwie erquickend.

Reportage Cardo Sound Labs
Daten, Zahlen und Fakten werden gesammelt, gemessen und anschließend analysiert. Alle das, für den richtigen Sound im Ohr.

Erste Schritte ins Klanglabor

Der Standort ist kein Zufall. Schon seit über 25 Jahren tüftelt hier ein weitgehend unverändertes Kernteam an Soundlösungen für Luxusautos, Airbus-Flieger, Kopfhörer und seit 2022 eben auch Helmkommunikation für Motorradfahrer für Cardo Systems. Über 1.550 Patente gehen auf das Konto der Truppe. Ich lasse mir erklären, dass sie für Maybach ein spezielles Noise-Cancellation-System gebaut haben. Und während mir das erzählt wird, schmunzelt der Ingenieur, als wäre es das Normalste der Welt. Man muss sich vorstellen: Hier sitzen Jungs zusammen, die nichts anderes machen, als ganz tief in die Geräusche des Alltags zu hören und zu versuchen diese so angenehm wie möglich zu gestalten. Ein Zugang, der in einer Welt, wo viele glauben, dass laut gut ist, ein sehr beruhigender ist. Denn es gibt einen feinen Unterschied zwischen Klang und Krach. Jeder spürt ihn, jeder nimmt ihn wahr, aber nicht jeder besitzt die Fähigkeit den Unterschied so klar zu differenzieren und herauszufiltern wie die Sound Labs-Jungs.

Reportage Cardo Sound Labs
Hier wird die Schwingung eines neuen Prototypen-Lautsprechers via Laser gemessen.
Reportage Cardo Sound Labs
Die Schwingungskurven sagen den Profis, wo man noch optimieren muss und wo der Klang schon passt.

Mein erstes Mal im schalltoten Raum - wo du dein Blut rinnen hörst

Der nächste Halt ist ein Raum, der sich anfühlt wie eine andere Dimension: der schalltote Raum. Ich trete hinein und es ist sofort gespenstisch still. Kein Echo, kein Hintergrundrauschen, nur absolute Ruhe. Man hört plötzlich Dinge, die man sonst nie wahrnimmt: das eigene Schlucken, das Rascheln der Kleidung. Genau hier testen die Entwickler neue Mikrofone, Lautsprecher und DSP-Einstellungen (DSP = Digitale Signalprozessoren). Für mich ein Aha-Moment und ein Zeichen, wie ernst es die Straubinger mit Präzision meinen. Kosten des Raumes: ungefähr siebenstellig. Das Besondere: Sogar der Boden ist entkoppelt vom Rest des Raumes. Ungefähr so muss es sich im Weltall anfühlen: ruhig... unfassbar ruhig. Als wäre man in einem Vakuum. Mir wird erzählt, dass es Leute gibt, denen diese Stille förmlich Angst macht, ja sogar panisch werden. Mir geht es nicht so, aber ich kann es nachvollziehen. Vollkommene Stille - sowas kennen wir einfach nicht. Nicht einmal unter Wasser ist es so ruhig.

Von absoluter Ruhe in den Sturm - der Windkanal

Nicht weniger spektakulär wird es im firmeneigenen Windkanal. Ein Motorrad steht vor einem riesigen Gebläse. Wenn die Ventilatoren aufdrehen, tobt ein Sturm mit bis zu 75.000 Watt durch den Raum. Der Lärm ist brachial, der Windruck enorm, aber nur so kann man - ohne den Führerschein zu riskieren, austesten, wie sich Kommunikationssysteme bei weit über 140 km/h anhören. Hier, im simulierten Fahrtwind, zeigt sich, warum Straubing für Cardo so wichtig ist. Hier wird nicht hochgerechnet oder geschätzt, nein, hier wird von Praktikern praktisch gearbeitet. Der Windkanal wurde mehrmals überarbeitet und kann mit speziellen Aufsätzen sogar noch deutlich höhere Windgeschwindigkeiten erzeugen. Dann wird mit speziellen Mikrofonen im Dummykopfohr gemessen und ausgewertet. Realistisch wäre es nur, wenn man selbst am Motorrad mit Mikrofon im Ohr unterwegs wäre - aber wer will das schon? Vermutlich nur die Sound Labs Jungs. Niemanden würde es wundern, wenn sie es nicht regelmäßig machen würden.

Reportage Cardo Sound Labs
Im Windkanal werden praxisbezogene Tests gemacht - hat sonst kaum jemand im Keller stehen.

Vom Tüftlergeist zur Hightech-Schmiede

Was mich beeindruckt: Trotz all der Hightech-Geräte spürt man überall den Tüftlergeist. Standortleiter Gerhard Pfaffinger erzählt mir, dass sie am Anfang einfach ihren eigenen kleinen Windkanal gebaut haben, mit modifizierten Aufblasgeräten für Hüpfburgen, weil der große noch nicht fertig war. Improvisieren, anpacken, Lösungen finden diese Mentalität zieht sich durch das gesamte Team. Man merkt: Hier geht es nicht um Prestige, sondern um Leidenschaft. Die Leidenschaft, den guten Sound, den richtigen Sound in den Gehörgang der Motorradfahrer zu bekommen. Aber schlussendlich sind es alle auch richtige Soundgeeks - und das ist bitte nicht abwertend gemeint. Diese Truppe eint ein Bekenntnis zum Thema Klang und ihn so gut als möglich hör- und genießbar zu machen. Und dafür werde eigens entwickelte Dummyköpfe gedruckt, mit eigenen Mikrofonen ausgestattet, eigene Mess- und Prüfszenarien entwickelt. Ungefähr so stellt man sich die Endstufe von Entwicklung vor. Jedes noch zu kleine Detail wird betrachtet, durchdacht und zur Not versucht zu entwickeln, sollte es für Messungen oder einen Versuch notwendig sein. Hands on-Mentalität in Reinkultur.

Reportage Cardo Sound Labs
Der Windkanal in Kleinformat: Eine Versuchsanordnung mit einem Luftbläser.

Sound am Motorrad - eine Herausforderung

In speziellen Testarmaturen werden die Schwingenungen von Lautsprechermembranen gemessen und deren Schwingungskurven geben Aufschluss darüber, ob wir eben Klang oder Krach wahrnehmen. Die Messeinheiten sind so dermaßen gering, dass nur spezielle Laser den unterschied dokumentieren können. Tausendstelmillimeter entscheiden hier. Ganz generell ist das Thema Sound am Motorrad aber selbst die Klangprofis eine Herausforderung, da es viele Variablen in der Gleichung gibt. Da wäre einmal die Kopfform des Fahrers, dazu der Helm und dessen Passform auf des Fahrers Kopf. Weiters spielt es eine Rolle, wo im Helm die Lautsprecher von den Kommunikationssystemen platziert werden können. Das gibt aber der Helmhersteller vor - immerhin muss jeder neue Helm die ECE 2206-Prüfnorm schaffen. Heißt: Im Zweifel ist die Platzierung des Lautsprechers (= Ohrausschnitt) nicht auf besten Sound sondern höchste Sicherheit ausgelegt. Dann kommen noch die Windgeräusche dazu, nämlich jene um den Helm (von Fahrtwind) und jene, die in dem Helm kommen, inklusive der Helmbelüftung. Und da der Fahrtwind von Geschwindigkeit und Motorradtypen abhängt (jedes Motorrad hat eine unterschiedliche Aerodynamik), kommen weitere nahezu unberechenbare Faktoren zur Gleichung für guten Sound hinzu.

Reportage Cardo Sound Labs
Eigens entwickelte Dummyköpfe aus dem 3D-Drucker in verschiedenen Größen simulieren den menschlichen Kopf.
Reportage Cardo Sound Labs
Im Ohr ist ein Mikrofon verbaut, um dort zu messen, wo auch wir Menschen wirklich hören.
Reportage Cardo Sound Labs
Im inneren des Dummykopfs steckt Hightech.

Viel Forschung, viel Aufwand, viel Hightech

Wenn wir heute ins Geschäft gehen und ein neues Kommunikationssystem für unseren Helm kaufen, ist all dieser Aufwand nicht sichtbar. Wenn man man Pech hat, der Helm (aus Sicht des Akustikers) nicht zum eigenen Kopf passt und die Lautsprecher ungünstig platziert sind, kann man den vollen Hörgenuss gar nicht wahrnehmen. Ich konnte mir selbst ein Bild davon machen, als im im Labor verschiedene Helme aufgesetzt habe mit unterschiedlichen Qualitäten von Lautsprechern und verschiedenen Passformen. Bei guter, enger Passform und hochwertigen Lautsprechern, hat man ein komplett anderes Klangerlebnis. Wir sprechen hier von kleinen Änderungen bei den Lautsprechern und einer um ein paar Millimeter besseren Helmpassform und zack: Stimmen die Rahmenbedingungen, ist der Klang hörbar besser.

Reportage Cardo Sound Labs
Die Dummyköpfe für die Soundmessungen sind eine eigene Erfindung des Sound Labs-Teams.
Reportage Cardo Sound Labs
Dieser Testdummy kostet mehr als ein schmucker neuer Sportwagen.

Ausblick in die Zukunft

Und was heißt das nun? Zum Beispiel, dass wir davon ausgehen können, dass der Sound unterm Helm in den nächsten Jahren nochmals besser wird. Uns wurde eine Technologie gezeigt, die vielleicht sogar die akustische Wahrnehmung für die Zukunft unter Helm für immer verändern könnte. Mehr dazu gibt es auf der diesjährigen EICMA im November zu sehen und kurz danach bei uns zu lesen. Versprochen.

Reportage Cardo Sound Labs
Gerhard Pfaffinger, Director Audio Engineering bei Cardo Systems und Standortleiter der Cardo Sound Labs in Straubing.

Bericht vom 27.09.2025 | 1.968 Aufrufe

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