Harley-Davidson Road Glide Test - der Haifisch, der hat Zähne!
Erster Test der neuen Harley Road Glide!
Zusammen mit der Zwillingsschwester Street Glide markiert die neue Road Glide Harley-Davidsons Aufbruch in eine massiv modernisierte Zukunft! Vor allem an der Front hat sich bei der Road Glide mit der neuen Sharknose einiges getan - aber wie fährt sich der neue Grand American Touring Hightech-Bomber eigentlich?
Wie bereits beim Test der neuen Harley-Davidson Street Glide, die ja zum Großteil baugleich mit der Road Glide ist, durfte ich auch beim Haifisch unter den großen Baggern Harleys Wandel in die Moderne sehen und erfahren. Es ist also auch bei der Road Glide eine gelungene Mischung aus Tradition und Moderne, die insgesamt wie aus einem Guss wirkt - und gerade dadurch eine glaubwürdige Evolution darstellt. Etwas mehr Festhalten an den alten Traditionen? Hätte gewiss zu Unkenrufen geführt, dass sich Harley unverständlicherweise an den vermeintlich guten alten Zeit festgebissen hat. Noch mehr futuristische Formen und noch radikalere Umstürze bei Technik und Technologie? Hätte wohl auch zu einem Aufschrei bei den Harley-Fans geführt, dass eine Harley doch bitte ihren Werten treu bleiben soll und muss! Und so werden mit der neuen Road Glide, wenn alles nach Plan läuft, sowohl alteingesessene Harley-Fans und -Besitzer befriedigt, aber auch Neukunden gewonnen, die auf ein gewisses Maß an Technologie nicht verzichten wollen.
Assistenzsysteme der neuen Road Glide auf Augenhöhe mit der Konkurrenz – oder sogar besser!
Und von diesen Hightech-Features hat die neue Road Glide tatsächlich erstaunlich viele - nicht nur für eine Harley sondern auch im Vergleich mit vielen Mitbewerbern. Neben dem Kurven-ABS und der Traktionskontrolle ist nun sogar das Motorschleppmoment schräglagenabhängig ausgeführt, da darf man durchaus von einer mehr als zeitgemäßen Ausstattung sprechen. Hinzu kommt die Möglichkeit, aus vier verschiedenen Leistungsmodi zu wählen, wobei mir persönlich der Rain-Mode sogar im Regen nicht notwendig erschien, weil eben der Road-Mode bereits sanft genug die ordentliche Leistung von 109 PS bei knapp 5000 Touren und das exorbitante Drehmoment von 175 Newtonmeter bei nur 3500 Umdrehungen auf die Straße bringt. Auf trockener Fahrbahn tendiere ich ohnehin zum Sport-Mode, der zwar etwas vehementer zur Sache geht, damit aber auch sehr gut den dynamischen Charakter des V-Twins hervorkehrt.
Der souveräne Motor der Harley-Davidson Road Glide macht Lust auf Dynamik
Ja, ich spreche absichtlich nicht von sportlichem Charakter, weil es ein Grand American Tourer mit 380 Kilo fahrfertig vermutlich gar nicht wünscht, als sportlich bezeichnet zu werden. Aber dynamisch kann es die Road Glide dafür richtig gut, der 1923 Kubik große Milwaukee-Eight 117er-Motor macht als teil-flüssiggekühltes Triebwerk einen äußerst souveränen Eindruck und stört keinesfalls mit lästigem Abbeuteln. Man darf ihn sogar bis rund 5500 Touren ausdrehen und bekommt dabei tatsächlich Kraft und nicht nur Vibrationen und Lautstärke geboten. Einen Mode bin ich noch schuldig geblieben, wem die drei anderen Modi nicht zusagen, kann sich im frei konfigurierbaren Custom-Mode alle Parameter so einstellen, wie sie ihm gefallen.
Harley-Davidson als Vorreiter bei der Elektronik - willkommen in der Zukunft!
Einen richtig großen Schritt in die Zukunft macht Harley bei den Bedienelementen und vor allem bei den Anzeigen. Mit einem 12,3 Zoll großen Farb-TFT-Touchscreen haben die Amis nun wohl den größten serienmäßig verbauten Screen am Markt - und der wird auch richtig gut genutzt. Drei verschiedene Anzeigenmodi können sehr intuitiv gewählt werden, Classic entspricht am ehesten den Anzeigen, die man bisher gewohnt war, Sport reduziert die Infos sehr elegant auf das Nötigste und Tour bietet vor allem der Navigation viel Platz, das serienmäßig per Apple Carplay auf das Display gespielt werden kann. Die getrennten Blinker links und rechts will ich schon gar nicht mehr groß bemängeln, Harley meint eben, dass das so gehört. Ich finde, dass man mit der Gashand möglichst wenige Zusatzarbeiten erledigen sollte und der Blinker NUR auf der linken Seite funktioniert doch seit Jahrzehnten bereits richtig gut. Reicht doch schon, dass die gesamte Bedienung der Musikanlage auf der rechten Seite liegt. Der Frust darüber ist aber schnell verflogen, wenn die 200 Watt starke Anlage die Wunschtitel herrlich klangvoll an die Ohren des Piloten leitet.
Schwungvolles Handling, aber Schwächen beim Fahrwerk der Harley Road Glide 2024
Es mag schon sein, dass ein Motorrad, das in die Kategorie Grand American Touring fällt, vorrangig über Landstraßen und Highways mit bestenfalls langgezogenen Kurven gleiten muss. Aber wenn Harley-Davidson die neue Road Glide schon mal im engen und kurvigen Frankreich rund um Marseille präsentiert, darf man sich nicht wundern, wenn das Dickschiff im engen Winkelwerk an seine Grenzen stößt. Wobei man ohnehin sagen muss, dass die Road Glide erstaunlich wendig ist, was zu einem nicht unerheblichen Teil auf das Konto des hoch positionierten Lenkers geht. Vor allem im direkten Vergleich mit der Zwillingsschwester Street Glide fällt auf, dass die Road Glide trotz 12 Kilo mehr (die bei der hohen Masse der beiden Bagger ohnehin nicht allzu stark ins Gewicht fallen) spürbar handlicher zu bewegen ist. Allerdings stößt auch bei der Road Glied das Fahrwerk an seine Grenzen, wenn man es wirklich wissen will. Immerhin ist die fette 49er-Gabel an der Front gar nicht einstellbar, die beiden hinteren Federbeine kann man wenigstens in der Vorspannung justieren. Grundsätzlich würde das bei einem Ami-Cruiser auch reichen, allerdings ist es etwas schade, denn die Road Glide könnte wegen ihres dynamischen Handlings selbst in engeren Radien mit schlechtem Asphalt weitaus mehr bieten. Die Bereifung fällt dabei am meisten durch Unauffälligkeit auf: Die Dunlop-Pneus in den Dimensionen 130/60-19 vorne und 180/55-18 hinten funktionieren im Trockenen gut, sorgen im Nassen für Vertrauen und sorgen für ein weitestgehend neutrales Einlenkverhalten.
Die Bremse der Harley Road Glide dürfte etwas leichtgängiger sein
Durch ihr dynamischeres Benehmen fällt an der Road Glide weiters auf, dass sich die Amerikaner vehement weigern, eine leichtgängigere Bremsanlage zu verbauen. Die Funktion ist tadellos und das Kurven-ABS verrichtet ausgezeichnete Dienste, allerdings ist die aufzubringende Handkraft nicht ohne. Okay, man kann die Road Glide (und die Street Glide) ausgezeichnet mit der Hinterradbremse verzögern, durch das Combined Braking System ist bei Betätigung der hinteren Bremse unwillkürlich auch die vordere Bremse im Einsatz und bei gemütlicher Fahrerei reicht diese Verzögerung tatsächlich aus. Wer aber die Dynamik der Glides kennengelernt hat und ausnützen möchte, wünschte sich wohl eine etwas leichtgängigere Vorderradbremse. Auf die Tradition pochen die Amerikaner im Übrigen auch beim Getriebe, vor allem beim lauten Klonk, das ertönt, wenn man den ersten Gang einlegt. Da sich das Getriebe aber sonst (für eine Harley) ausreichend präzise schalten lässt, werten wir auch diese Eigenheit als sympathisches Festhalten an der Tradition, sozusagen das letzte Aufbäumen gegen die immer weiter fortschreitende Weichspülung und Gleichschaltung moderner Touring-Maschinen.
Komfort auf der Harley-Davidson Road Glide - wenn es sein muss, mit Jethelm
Die Sitzposition ist wiederum als sehr gemütlich zu bewerten, der neue Sattel ist tatsächlich besser gepolstert als bei der Vorgängerin und die aufrechte Sitzposition ist komfortabel und dennoch fahraktiv. Wie bereits erwähnt ist die Road Glide sogar etwas dynamischer zu bewegen als die leichtere Schwester Street Glide. Der höhere Lenker macht es möglich, hat aber einen, bei besonders kalten Temperaturen entscheidenden Nachteil: Die Hände ragen über die ansonsten sehr effiziente, massige Frontverkleidung hinaus und sind nicht so gut geschützt wie auf der Street Glide, deren Lenker sich eben direkt hinter der Batwing-Verkleidung befindet. Die Beine sind aber auch auf der Road Glide ausreichend geschützt und dass bei ambitionierter Geschwindigkeit in Kombination mit niedrigen Temperaturen ein Jethelm auf einem Bagger mit niedriger Scheibe nicht die beste Wahl ist, sei auch noch erwähnt. Wer cool sein will, muss bekanntlich leiden (können).
Die Preise der neuen Harley-Davidson Road Glide 2024
Wer zwischen Harley-Davidson Road Glide und Street Glide 2024 wählen möchte, kann grundsätzlich abgesehen vom höheren Lenker der Road Glide und den damit einher gehenden Vor- und Nachteilen durchaus nach der Optik entscheiden - denn die Kosten sind bei beiden exakt die gleichen. In Deutschland beginnt der Einstieg in die Welt der Road Glide bei knapp 32.000 Euro, in Österreich sind es dank deftiger NoVA über 38.000 Euro und in der Schweiz rund 31.000 Franken. Wählt man eine andere Farbe als die Basis und will statt der verchromten Teile ein schwarzes Finish, stehen bereits knapp 2000 Euro mehr am Preisschild, womit man in Österreich dann auch schnell die 40.000 Euro-Marke überschreitet. Das Motto, das die Harley-Davidson-Mitarbeiter aber immer wieder gerne hervorheben, ist bei der Road Glide nicht anders als bei der Street Glide und allen anderen Baureihen der Amerikaner: Man kauft sich mit einer Harley eine Lebensphilosophie, das Motorrad bekommt man gratis dazu!
Die Harley-Davidson Road Glide 2024 im direkten Vergleich mit der Street Glide:
Die beiden Modelle Road Glide und Street Glide sind Zwillingsschwestern mit völlig identem Motor, Chassis, Fahrwerk, Bereifung und Elektronik - und fahren sich dennoch unterschiedlicher und individueller, als man erwarten würde. Das liegt vor allem an den unterschiedlich hoch positionierten Lenkern, während die Street Glide den Lenker gut geschützt hinter der Batwing-Verkleidung untergebracht hat, ragt er bei der Road Glide viel weiter nach oben. Das bringt zwar Nachteile beim Windschutz auf der Road Glide, weil die Hände der Fahrerin / des Fahrers im Fahrtwind liegen, fahrtechnisch allerdings spürbare Vorteile. Durch die höhere Position hat man auf der Road Glide mehr Gefühl für das Vorderrad und die Kontrollierbarkeit ist besser. Interessant ist dabei, dass sich die knapp 12 Kilo mehr Gewicht, die vorrangig wegen der massigeren Verkleidung auf der Front lasten, nicht negativ auswirken. Vorteil ist dabei natürlich auch, dass die Road Glide-Verkleidung am Chassis angebaut ist, während bei der Street Glide das Gewicht der Batwing-Verkleidung auf der Gabel lastet. Damit macht die Road Glide also den etwas souveräneren Eindruck beim Fahrverhalten, wobei sich die beiden ja in allen anderen Belangen nicht unterscheiden. Wer also eines der beiden Modelle wählen möchte, um damit tatsächlich Grand American Touring ohne ausgeprägte Kurvenhatz zu betreiben, darf seine Wunsch-Glide getrost nach der Optik wählen.
VAULI
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Fazit: Harley-Davidson Road Glide FLTRX 2024
Die neue Harley Road Glide verrät sich bereits durch ihre massiv geänderte Optik als neue, viel modernere Version des Baggers mit cooler Sharknose. Die Verkleidung ist grundsätzlich auch effektiv, lediglich bei sehr tiefen Temperaturen merkt man, dass die Hände nicht optimal geschützt sind. Umso erfreulicher ist, dass diese Lenkerposition zu einem erstaunlich agilen Fahrverhalten für ein 380 Kilo schweres Motorrad führt, die Road Glide lässt sich selbst in engem Winkelwerk sehr präzise und intuitiv steuern. Lediglich das Fahrwerk könnte dabei sensibler werken, um den Preis hätten sich mehr Verstellmöglichkeiten als lediglich die Federvorspannung hinten einfinden dürfen und auch die Bremse könnte etwas weniger Handkraft verlangen. Der kräftige und souveräne Motor passt aber wieder äußerst gut zum Charakter der Road Glide, hammermäßig ist nun die umfangreiche Ausstattung mit Assistenzsystemen und der riesige Touchscreen.- traditionelle und doch neu gezeichnete Sharknose-Optik
- kräftiger 117er-V2-Motor
- komplette schräglagenabhängige Fahrassistenzausstattung
- riesiges Farb-TFT-Display
- Tempomat Serie
- guter Sound, angenehme Vibrationen
- Soundanlage Serie
- langstreckentauglicher Sattel und Komfort
- Bremse braucht viel Handkraft
- Fahrwerk schluckt nicht alle Unebenheiten
Bericht vom 15.02.2024 | 14.650 Aufrufe