Ducati Panigale V4 2020 Test
Das gezähmte Beast?
Mit der 2020er Panigale V4 brachte Ducati das Nachfolgemodell der 2018er V4 heraus. Diese solle jetzt zugänglicher denn je sein. „Einfacher schnell zu fahren“ wirbt Ducati mit ihren Worten. Um das herauszufinden und der Sache auf den Grund zu gehen, flog Matthias Meindl für 1000PS ins ca. 5000km entfernte Bahrain.
Die erste ersichtliche Veränderung durch die optische Anpassung der Front mit Verkleidungsteilen der V4R inkl. Wings, sollte nicht nur mehr Komfort mit weniger Fahrtwind und mehr Anpressdruck auf die Vorderachse bringen, sondern auch eine um 15°C geringere Motortemperatur. Wenn ich die V4 zum Zeitpunkt des ersten Eindrucks beschreiben hätte sollen: aggressiv, majestätisch und geradezu furchteinflößend. Naja, ob das so zugänglicher sein soll wie beschrieben?!, dachte ich mir. Anpassungen der Elektronik in Bezug auf Motormanagement und Traktionskontrolle sollten in Verbindung mit einer abgeänderten Geometrie und einer niedrigeren Federrate am Heck das Bike stabiler, ruhiger und schneller machen. Eine tolle Kombination, auch wenn ich mir das anfangs nicht ganz vorstellen konnte. Wer die 2018er Panigale je auf einer Rennstrecke gefahren ist, weiß, wie kundig man sein musste, um beim Beschleunigen aus den Ecken heraus nicht nervös zu werden. Die vorgefundenen Wetterverhältnisse in Bahrain stimmten mich nicht wirklich hoffnungsvoll, die Verbesserungen erfahren zu können. Es gibt in diesem Land 5 Regentage im Jahr, einen davon hatte ich abbekommen.
Die ersten Turns auf der neuen Ducati Panigale V4 2020
Wie dem auch sei, natürlich machte ich meinen Job, indem ich mich trotz strömendem Regen auf die nagelneue Panigale setzte und diese erkundete. Ich muss gestehen, dass ich trotz vieler Rennstreckenkilometer schon einen sehr großen Respekt hatte und mir vorstellen könnte, dass ein unerfahrener Fahrer womöglich nicht einmal für viel Geld unter diesen Bedingungen auf einem solchen Beast fahren würde. Suggeriert die radikale Optik doch Angst und Schrecken.
Die ersten Runden zog ich eher langsam und etwas unsicher. Teils liefen richtige Bäche über die Strecke, was das Fahren wirklich zu einer Herausforderung machte. Nach zwei bis drei Turns allerdings, baute ich zu dem Motorrad eine Verbindung auf. Ich erkannte die Bereiche, in denen ich samt Reserven schneller fahren konnte. Dies verdankte ich der neuen Abänderung des Front-Frames von der Panigale V4R, das ein Verbindungsstück am vorderen Teil des Rahmens ist, an welchem sich Gabel und Gabelbrücke befindet. Dieser erhöht die Steifigkeit im vorderen Teil des Bikes, was somit die Gabel besser ansprechen lässt und ich als Fahrer mehr vom Vorderrad spürte.
Sitzposition auf der neuen Panigale V4
Quasi zwei Fliegen mit einer Klappe! Trotz mehr Steifigkeit eine bessere Transparenz? Scheint tatsächlich so zu sein. Dies erlaubte mir von Runde zu Runde schneller zu fahren, obwohl es nach wie vor regnete. Mit dieser Sicherheit bestätigte sich ein altes Leiden zwischen mir und der Panigale: Die Ausformung des Tanks, dieser ist für meinen Geschmack etwas zu klein bzw. zu rundlich geraten, ähnlich wie bei der Vorgängerin. Die phänomenal transparente Bremse erlaubt enorme Verzögerungswerte. In solchen Situationen bevorzuge ich einen etwas, eckigeren bzw. größeren Tank, um mein Körpergewicht mehr mit Beinen und Rumpf zu kompensieren und nicht mit den Handgelenken. Die Folge waren schmerzende Handgelenke am Tag danach.
Vielleicht könnte man die Problematik mit Stompgrips in den Griff kriegen. Den Lesern verpflichtet, testete ich natürlich weiter und kam schön langsam in Geschwindigkeitsbereiche die es erlauben, die Elektronik in Verbindung mit Motorleistung und Management zu erproben. Der Leistung dieses V4 Motors gerecht zu werden, ist ohne Elektronik kaum möglich, selbst im Trockenen. Dadurch lassen sich diese Komponenten nur kombiniert beschreiben. Die Leistung beträgt nach wie vor 214 PS und das ist mehr als ausreichend. Schön langsam bemerkte ich, dass ich für den Test der Elektronik eigentlich die perfekten Bedingungen hatte, denn was ich beim späteren voll Öffnen der Drosselklappen vom Scheitel weg an bemerkte, war kaum zu glauben.
"Ich hatte regelrecht das Gefühl, als wäre die Elektronik immer einen Schritt voraus."
Bei Motorrädern in diesem Leistungsbereich, ist es grundsätzlich so, dass das konsequente Öffnen des Hahns ab dem Scheitelpunkt zum Grip Verlust führt und die Elektronik einen dann wieder ziemlich ruckartig einfängt. Bei der Panigale V4 ist das anders. Zum einen erlaubt die Geometrie schon einen viel höheren Ausgangsgrip als man erwartet, zum anderen hat man das Gefühl in ständiger Kommunikation mit dem Hinterrad zu sein. Ein Beispiel: Wenn man am Scheitelpunkt das Gas mit dem von einem selbst erwarteten möglichen Öffnungswinkel aufdreht, hat man sofortigen Vortrieb ohne jegliche Unruhe. Somit öffnet man das Gas weiter und stellt fest, dass der Vortrieb nur minimal stärker wird, allerdings nicht im Vergleich mit dem von einem gewollten Schub, sondern deutlich weniger. Daran kann man bemerken, dass die Traktionskontrolle hervorragend arbeitet und man bekommt ein wahnsinniges Vertrauen. Jegliche Veränderung von Gasstellung oder Schräglagenwinkel wird rasend schnell von der TC erkannt und unmittelbar verarbeitet. Ich hatte regelrecht das Gefühl, als wäre die Elektronik immer einen Schritt voraus.
Auf den schnellen Geraden, wo ich trotz schlechter Wetterverhältnissen bis auf knapp 300km/h beschleunigen konnte, hatte ich doch so meine Zweifel. Ich merkte deutlich, dass ab dem 4ten Gang die Elektronik wenig eingriff und der Motor seine volle Leistung hatte. Hier wurde das Bike ab ca. 250km/h sehr unruhig und fing trotz ebener Asphaltfläche sehr stark an zu lenken. Dies verursachten mit hoher Wahrscheinlichkeit die weichen Regenräder. Leider konnte ich das nicht überprüfen, da sich die Verhältnisse nicht änderten und ich die V4 nicht auf Slicks im Trockenen testen konnte. Mir blieb nichts anderes übrig, als so gut wie möglich in den Rasten zu stehen und den Lenker trotz starken Wackelns locker zu lassen, damit dies nicht schlimmer wurde. Ich freute mich, wenn der Bremspunkt näher kam.
Autor: Matthias Meindl
Fazit: Ducati Panigale V4 2020
Das Fazit fällt mir sehr leicht. Ducati hat ein „schon fast perfektes Motorrad“ noch besser gemacht, ohne dabei irgendwas ins Negative zu verändern. Obwohl das Fahren auf der Straße mit dieser radikalen Verkleidung wohl schon für Aufsehen sorgt und der ein oder andere Fahrer das wohl unangenehm findet, fühlt er sich mit ihr auf der Rennstrecke hingegen ersichtlich wohler. Man bekommt ein Motorrad „out of the box“, welches einem Superbike WM Motorrad mehr ähnelt denn je. Ich glaube außerdem, dass der V4 2018er Besitzer mit der 2020er Version durchaus in der Lage ist, seine Rundenzeiten zu verbessern. Mein Tipp: Wenn man dafür Sorge trägt, den Tank zu vergrößern oder griffiger zu machen, könnte man noch mehr mit seinem Rumpf übers Zentrum fahren.- Clevere Elektronik
- Spürbares Upgrade zum Vorjahresmodell
- Zugänglicher als je zuvor
- Tank ist ergonomisch gesehen zu klein
- Geradeauslauf ab 250km/h bei Nässe
Bericht vom 27.01.2020 | 45.600 Aufrufe