Enduroparadies Piemont
Piemont:
Kirschen und kerniges Endurowandern |
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Bei dem Namen Piemont denkt Ottonormalbürger erfahrungsgemäß ja zuerst einmal an die beliebte Likörpraline mit eingegossener Kirsche. Doch nicht nur Naschkatzen kommen im Piemont auf ihre Kosten. Auch für Endurowanderer jeder Könnensstufe bietet das Grenzgebiet zwischen Italien und Frankreich nahe Bardonécchia unzählige Möglichkeiten vor einer gewaltigen Bergkulisse überschüssige Energien abzubauen. Die Berge in diesem Teil der Alpen sind einfach gewaltig und überwältigend, die Straßen fast ausschließlich unasphaltiert. Wers gern etwas härter mag und sich als mehr sieht als nur Offroadwanderer, der wird trotzdem nicht enttäuscht: Von den breiten Schotterstraßen zweigen immer wieder extrem enge, unglaublich steile und vor allem endlose Eselspfade ab, die auf keiner Karte zu finden sind. Da heißt es: Einfach ausprobieren und bei Abzweigungen mit dem Stollenreifen schöne Kratzer auf den Boden malen, damit man im Notfall den Rückweg auch wieder findet. Zu zweit wollten wir die Klassiker des Piemonts vielleicht ein letztes Mal besichtigen, bevor uns die regionalen Behörden die Tür vor der Nase zuknallen. Also brachen wir im August zu einem viertägigen Enduromarathon durch die vielleicht wildeste Bergwelt Italiens auf das Programm reduzierten wir auf das wirklich Wesentliche: Offroad fahren von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Wer die Beschreibungen eines kulinarischen Streifzugs erwartet, kann hier aufhören zu lesen. Für alle anderen habe ich die schönste Enduro-Runde um Bardonécchia genauer beschrieben. Aber Achtung: Its hard, man! |
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Nach zwölf langen Stunden Fahrt in
unserem völlig überladenen 80PS-Kastenwagen quer durch Österreich und weiter
über brettlebene, schnurgerade Autobahnen zwischen Mailand und Turin
schlagen wir unser Zelt auf dem Campingplatz Gran Bosco nahe Salbertrand
auf. Er ist idealer Ausgangspunkt für einige Tage Fahrspaß ohne lästigen
Quartierwechsel. |
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Mit im Gepäck sind zwei Suzukis, eine DR350SE und eine DRZ400E. Nach unseren gewichtsoptimierenden Einsparmaßnahmen an Blinker, Bremslicht und Lichtanlage wären wir in Österreich ein gefundenes Fressen für die Polizei, in Italien interessiert sich für solche Details genau niemand. Diese leichten Bikes sind ideal zum Endurowandern im Piemont, der größte Teil der Strecken ist aber mit etwas Können auch mit einem Motorrad der Transalp-Klasse zu bewältigen mit Spaßeinbußen muss man dann allerdings vereinzelt rechnen. Um sich ein wenig warm zu fahren und die Vorfreude auf den Urlaub zu steigern, empfiehlt sich als sanfter Einstieg ins Enduroparadies Piemont ein Besuch auf dem Aussichtspunkt Madonna di Cotolivier. Die ca. 13km lange Stichstraße hat ihren Ursprung nur wenige Meter nach der Tankstelle in Oulx, der Wegweiser Richtung catalovier ist kaum zu übersehen. Bis zur Mini-Ortschaft Pierremenaud noch asphaltiert, beginnt sehr bald der Schotterbelag. Das Sträßchen windet sich durch einen Nadelwald immer höher hinauf, kurz vor dem Aussichtspunkt wird es erdiger und ausgewaschener mit tiefen Spurrillen. Die Kapelle am 2105m hohen Gipfel des Berges ist Endpunkt der Straße. Von hier hat man wohl die beste Aussicht über das ganze obere Susatal. Im Südwesten ist sogar das Felsmassiv mit der Wehranlage des Mont Chaberton zu sehen, den man mittlerweile leider nicht mehr befahren darf (Um allen Gerüchten endgültig ein Ende zu machen: ein Schranken mit Verbotstafel verbietet ausdrücklich das Befahren der teilweise abgerutschten Schotterstraße, die einst echte Mutprobe und fahrtechnische Herausforderung war. Wer es trotzdem versucht, kann mit einer saftigen Strafe der Polizia Forestale rechnen, die extrem oft kontrolliert!) |
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Blick auf das Örtchen Fenils und das Massiv des Mont Chaberton. Die Auffahrt ist leider strengstens verboten und abgeschrankt, die Polizei kontrolliert. |
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Madonna di Cotolivier ist nicht nur relativ einfach zu erreichen, es ist auch einer der schönsten Aussichtspunkte mit Blick auf Jafferau, Chaberton und das ganze Susatal. |
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Die wohl schönste, aber auch längste und anstrengendste Tagestour rund um Bardonécchia startet man idealerweise früh am Morgen. Sie umfasst beinahe alle enduristischen Gustostückerln der Region, verlangt dem Fahrer aber vor allem sitzfleischmäßig alles ab. Das erste Highlight der Tour heißt Monte Jafferau. Auf der Bundesstraße Nr. 335 geht es bis nach Savoulx (10km). Rechts abbiegen in den Ort und immer bergauf (Richtung Clots, Coustaus), bis man in eine staubige Schotterstraße mündet (Fahrverbot mit Zusatz auf eigene Gefahr). Von hier an heißt es für mich erstmal kilometerlang ungestört Gas auf, kurz Bremsen, Kurve hinaufsurfen, Gas auf, usw. Der Untergrund ist teils Schotter, teils Erde, die engen Serpentinen haben griffige Anlieger und können dementsprechend flott gefahren werden. Bei den wenigen Abzweigungen immer bergauf in Richtung Monte Pramand abbiegen. Wir passieren das Ein-Haus-Dorf Gouthier und merken erst jetzt, dass Bäume immer seltener werden und die Temperatur empfindlich abnimmt. Die Straße ist hier steiler, steiniger und im Vergleich zum unteren Teil anspruchsvoller. Nachdem wir die letzte Kehre hinter uns lassen und auf einen ebenen Zugweg entlang des Bergkammes einbiegen, eröffnet sich eine hochalpine Landschaft. Vor uns erhebt sich der oberste Teil des Jafferau-Massives. Nur noch drei Serpentinen über uns thront die Ruine eines ehemaligen italienischen Gipfel-Forts. Mit etwas Anlauf kürze ich mit meiner 400er auf einem extrem steilen, sehr steinigen Singletrail das letzte Kurvengeschlängel ab und stehe direkt am Fuße der Ruine. Piloten größerer Maschinen sei geraten auf die erwähnte Abkürzung zu verzichten und von der Abstellfläche 50 Meter unterhalb der Verteidigungsanlage zu Fuß weiter zu gehen ein Sturz über die zwei folgenden, künstlich aufgeschütteten Erdwälle oder in der extrem engen letzten Kehre hinauf auf das Dach des Forts könnte die Ersatzteilkosten im Fall des Falles in dramatische Höhen treiben. Für einen Transalp-Fahrer und einen KTM-Adventure Piloten kommt diese Warnung leider zu spät. Sie detonieren vor meinen Augen mit ihrem Sportgerät zwischen den Hügeln. Geschlagen vom Berg traf ich sie abends am Campingplatz beim Zurechtbiegen ihres Bocks. Mit unseren leichten Hardenduros sind solche Hindernisse natürlich eine leichte Übung. Nur ein paar Dreher am Gasgriff später stehen wir direkt auf dem Dach der verfallenen Festung in 2801m Höhe und fühlen uns wie auf dem Dach der Welt. Gewaltige Bergmassive egal wohin man schaut. Greifvögel kreisen über unseren Köpfen. Fast schon kitschig schön. Erinnerungen an Sepp Forchers Klingendes Österreich kommen auf. Nur schnell wieder weg damit, sonst beginne ich noch lauthals Volkslieder zu grölen. Noch ein paar Fotos geknippst, um den
Nils daheim neidisch zu machen, und weiter gehts auf unserem Tagesplan
steht zu viel, um eine lange Pause einlegen zu können. Leider untersagt
ein Fahrverbot die serpentinenreiche Westabfahrt entlang des Sessellifts
hinab nach Bardonécchia, unserem nächsten Routenpunkt. Also wieder auf
demselben Weg hinunter vom Berg. Wir fahren nicht durch den Wald nach
Savoulx ab, durch den wir hinaufgekommen sind, sondern halten uns nach
wenigen Kilometern immer rechts in Richtung Bardonécchia, vorbei an den Bacini
Jafferau, den Soldatenunterkünften unterhalb 2000m Seehöhe. Die
Schotterstraße ist hier wieder leicht zu befahren, nur auf dem letzten
Stück wurde eine Hangrutschung gerade mal lenkerbreit ausgebessert
bestimmt eine kleine Mutprobe für Enduristen mit Höhenangst (auch das soll
es ja geben…). |
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Zwei Auffahrten führen auf den Monte Jafferau: Die eine von Salbertrand/Exilles durch einen 850m langen, unbeleuchteten Tunnel; Die längere und fahrtechnisch schönere Auffahrt über Savoulx. |
Mit leichten Enduros kann man bis auf das Dach des Jafferau Gipfelforts fahren und das unbeschreibliche Panorama in alle Richtungen genießen. |
Als wir beim Örtchen Gleises wieder Asphalt unter den Reifen haben, biegen wir (nach Unterführung der Straße nach Frejus) in Bardonécchia rechts nach Rochemolles ab. Nächstes Ziel ist der höchste legal anfahrbare Punkt der gesamten Alpen: Colle Sommeiller. Nach dem Bergdörfchen Rochemolles beginnt die 26km lange Schotterstraße. Wir bringen die erste Gruppe von neun Kehren hinter uns und folgen dem Sträßchen entlang dem Ostufer des gleichnamigen Stausees. Nach weiteren zwei Kehren weitet sich das Tal. Vor uns liegt das wildromantisch gelegene Rifugio Scarfiotti. Von den Felswänden stürzen Wasserfälle ins Tal. Hier wird der Schotterweg etwas rescher. Sechzehn enge Serpentinen hinauf zum Pian dei Morti mit teilweise felsigem Bodenbelag schütteln das Blut müder Sitz-enduristen gewaltig durch gut, wenn man hier noch Kraft genug zum Stehen auf den Rasten hat. Übersteht man das Geschepper ohne Bandscheibenvorfall, trennen einen nur noch die letzten 13 Kehren von dem 3050 Meter hohen Gipfelplateau. Nach insgesamt 38(!) Kehren sind wir am Ziel angelangt, weiter geht es nicht mehr. Ein Gletscher versperrt den Weg in Richtung Gipfel - auf 3333m ist der höchstens für Wanderer und angeblich für gute Trialfahrer erreichbar. Das Panorama ist aber schon hier grandios. Wir stehen auf dem höchsten legal anfahrbaren Punkt der Alpen, und trotzdem türmen sich um uns herum noch gewaltigere Bergmassive auf. Frustrierend und gleichzeitig wunderschön. Sepp Forcher lässt wieder grüßen. Unsere Abfahrt ist mit einem Wort zu beschreiben: staubig. Vor uns quälen sich 9 holländische Geländewagen die Serpentinen hinunter, reversieren in jeder Kehre mehrmals und stauben uns auf den Geraden mörderisch ein. Super. Wer nach Jafferau und Sommeiller
genug für einen Tag hat, kehrt am besten zu einem köstlichen Essen in der
Trattoria von Rochemolles ein und rollt dann gemütlich über die
Bundesstraße zurück zum Quartier. |
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Der Colle Sommeiller ist der höchste legal anfahrbare Punkt der Alpen. 38 Kehren trennen Biker vom Plateau unterhalb des Gipfels. Beim Rifugio Scarfiotti gibt es die beste Polenta con Funghi. |
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Nimmersatte Endurofahrer mit falschem Ehrgeiz und voller Selbstüberschätzung - wie ich - nützen lieber die Zeit und fahren ohne Pause bis nach Bardonécchia ab, um sich dort nach einem Tankstop sofort wieder in die Büsche zu schlagen. Bei der Sportanlage Campo Smith biegt man in Richtung Skipiste ein und fährt ca. 200m direkt am Fluss entlang bis zum inoffiziellen FKK-Badestrand der Einheimischen. Weiß nicht wer sich mehr erschreckt hat: Sie oder ich. Nach der Lichtung mit den Freizügigen rechts in den Wald und nach wenigen Metern wieder rechts auf den steilsten Wanderweg einbiegen. Hier geht es für einige Kilometer richtig zur Sache: Extrem enge Kehren im Unterholz lassen sich nur bewältigen, wenn man die Erdkanten des Trails in den Kurven als Anlieger für das Vorderrad benutzt. Die Steigung dürfte teilweise sogar knapp über 30 Prozent betragen. Macht aber mit dem richtigen Gerät unter dem Hintern gewaltig Spaß wenn mans kann. Weniger diffizil geht es weiter nach dem Wegweiser Pian del Sole (nicht Forte Bramafam!) über eine unglaublich griffige Erdstraße quer durch den Forst steil bergauf zur Punta Colomion. Der Weg ist gespickt mit Erdhügeln, an denen Regenwasser vom Weg abfließen soll oder Enduristen sich mit Schwung einige Meter weit durch die Luft katapultieren können. Dieses Stück gehört mit Sicherheit zu den am schönsten befahrbaren Naturstraßen der Alpen unbedingt ausprobieren! Von der höchsten Stelle der Punta Colomion kann man entweder über einen teils abgerutschten und unglaublich schwierigen Trail einen Abstecher zum Refugio Rey und weiter zum Passo della Mulattiera machen (wirklich nur für Könner!), oder man rollt über die steinige Schotterstraße bergab in Richtung Puys. Es folgen einige Kilometer Asphalt nach Beaulard und weiter bis Chateau Beaulard. Den Einstieg in die Naturstraße nach Hause kann man nicht verfehlen. Der breite Forstweg ist in gutem Zustand, nur einige hinterhältige Spurrillen können bei flotterer Gangart Unruhe ins Fahrwerk und in die Psyche des Piloten bringen. Nach einigen Kilometern mündet man in die Asphaltstraße hinauf zur Madonna di Cotolivier, die ich diesmal hinab bis nach Oulx rolle und dann das letzte Stück über die Bundesstraße nach Salbertrand. Total k.o. komme ich erst kurz nach Einbruch der Dunkelheit an. Mein ganzer Körper schmerzt von der ganztägigen Reiterei. Ich nehme mir vor die Runde nächstes Mal auf zwei Tage aufzuteilen wahrscheinlich hab ich bis dahin die Schmerzen aber schon wieder vergessen und mache denselben Fehler noch einmal. |
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In den nächsten Tagen ist
gemütlicheres Touren angesagt. Dafür drängt sich ein Klassiker geradezu
auf: Die 36km lange Assietta-Kammstraße. Einstiegspunkt ist der Skiort
Sauze dOulx. Immer der Hinweistafel Sportinia nach, komme ich bald auf
eine breite Schotterstraße und durchquere das ganze Skigebiet unterhalb
des Colle Basset. Der Weg mündet zirka in der Mitte der Kammstraße ein,
Rechts gehts nach Sestriere, links nach Fenestrelle. Mehr gibts
eigentlich nicht zu wissen, die Route ist extrem gut beschildert,
Abzweigungen sowieso mit Schranken abgesperrt. Die Höhenstraße ist
fahrtechnisch keine Herausforderung und kann sogar mit Dickschiffen wie
Varadero oder GS befahren werden, die Steigung beträgt nie über 15%. Das
Besondere an der Assietta ist zweifelsfrei der Ausblick. Egal wo man sich
befindet, man sieht immer hinunter in das Susatal, das Chisonetal oder auf
die Cottischen Alpen. |
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Für weniger geübte Enduristen oder Dickschiff-Reiter ist die Assietta-Kammstraße ein touristisches Highlight. Keine schwierigen oder steilen Passagen, dafür jede Menge Panorama. |
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Der kurvenreichste und steilste Teil der Assietta, und damit schon die Schlüsselstelle: Auffahrt von Fenestrelle hinauf zur Testa dellAssietta. |
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Geheimtip unter Endurofahrern: Das Skigebiet um den Colle Bercia. Trails für jede Könnensstufe. |
Ein Männlein steht im Walde… Ich stehe auf den Singletrails des Colle Bercia sicher nicht nur herum, sondern drehe fleißig am Gasgriff. |
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Vier Tage sind verdammt kurz, um sämtliche Pflichtpunkte um Bardonécchia zu absolvieren. Wer Gas gibt und auf Luxusgüter wie Essen, Waschen und Sightseeing verzichtet, kann es aber schaffen. Biker mit großzügigerer Zeitplanung sind da besser dran: Das Piemont hat genug Überraschungen parat, damit auch 14 Tage nicht langweilig werden. Dann hat man auch Zeit für das ein oder andere Mon Cherie. |
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Infobox - Piemont | |
Getestet und für gut befunden:
Kartenmaterial: Kümmerly + Frey: Aostatal Piemont, 1 :200.000 Istituto geographico centrale, Turino: Nr.1: Valle di Susa, Chisone 1:50.000 Tankstellen nur in größeren Orten (Bardonécchia, Oulx, Cesana Torinese) Preise ca. 15-20% über Österreich-Niveau Beste Reisezeit: Juli, August (sonst Schneerisiko) |
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Text&Fotos: Justin Case |
Bericht vom 29.11.2005 | 18.114 Aufrufe