Rennstreckenbericht Kawasaki Z900SE 2025
Z900SE - Rennstreckengeheimtipp oder fehl am Platz?
Vier Zylinder und 124 PS: Auf dem Papier vermögen die technischen Daten der Z900SE auf ein hervorragendes Rennstreckengefährt hinzudeuten, doch bestätigt die Praxis die Theorie? Die Z900 ist bekannt dafür ein fantastisches Landstraßenmotorrad zu sein, vor allem mit den Öhlins und Showa Fahrwerkskomponenten in der SE Version. Ich habe mir die Frage gestellt, ob das Konzept eines für die Landstraße ausgelegten, 948cc großen 4-Zylinder-Motors auf der Rennstrecke mithalten kann. Ein Glück, dass es die 1000PS Trackdays gibt, um genau diese Frage zu beantworten. Am Slovakiaring fuhr ich die Bestsellerin eineinhalb Tage lang; allein am ersten Tag startete ich acht Mal, um den Dunlop Sportmax, der serienmäßig an der Z900SE montiert ist, auf den Asphalt niederzubrennen.
Die wichtigsten technische Daten:
Der Hauptunterschied zwischen der Z900SE und der Z900 ist die Federung: die Z900SE besitzt nämlich eine 41mm Showa-USD-Gabel und ein S46 Öhlins Federbein, beide vollständig einstellbar. Des Weiteren besitzt sie Brembo Bremsen: eine 300mm, radial montierte, Monoblock mit Vierkolbensätteln versehene M4.32 Doppelscheibenbremse vorne und eine 250mm Einzelscheibenbremse hinten. Wie sich aus den technischen Daten herauslesen lässt, ist die Z900SE mit ihrem maximalen Drehmoment bei 7.700 U/min nicht der klassische 4-Zylinder, der sein Feuerwerk erst im hohen Drehzahlbereich freigibt. Ist sie also auf der Rennstrecke, und erst recht auf dem Slovakiaring, der für seine flüssigen Passagen bekannt ist, fehl am Platz?
Fahrverhalten
Wer den Slovakiaring kennt, weiß, dass die Rennstrecke sowohl sehr enge Passagen im Infield als auch sehr lange Geraden, wie auf der Start-Ziel-Geraden, enthält. Man benötigt also ein handliches Motorrad für die engen Passagen und ausreichend Topspeed, um auf der Geraden nicht zu viel Zeit zu verlieren. Nun ist die Z900SE fahrbereit aber 214 kg schwer und dreht nur bis etwas über 10.000 U/min. Ist das Schicksal der Z900SE also schon auf dem Papier besiegelt? Kurzgesagt: nein. Beleuchten wir das Thema aber etwas genauer. Beginnen wir mit der Leistung: mit ihren 124 PS ist die Z900SE auf demselben Leistungsniveau einer 600 Kubik Supersportler, die jedoch einige Kilos weniger auf die Waage bringen. Doch spürt man das Gewicht der Z900SE im Betrieb und in den engeren Passagen des Infields? Überraschenderweise nicht! Die Z900SE ist ein sehr handliches Motorrad, das dieses Gewicht nie vermuten ließe. Sie lässt sich sehr einfach in den Wechselkurven bewegen und hinterlässt beim Fahrer nicht den Wunsch, ein leichteres Motorrad zu haben.
Sehr verzeilich
Für einen nicht sonderlich erfahrenen Rennfahrer ist ein weiterer Pluspunkt der Z900SE tatsächlich das Drehmoment, das einem schon im mittleren Drehzahlbereich ordentlich nach vorne schiebt. Augenführung schlecht? Eine Kurve unkonzentriert genommen? Zu früh auf der Bremse? Egal, die Kawasaki schiebt immer nach vorn und verzeiht Anfängern oder unkonzentrierten Fahrern, wenn sie die Kurve im falschen Gang oder nicht auf perfekter Drehzahl nehmen. Somit hat man mit der Z900SE ein Motorrad, das es dem gelegentlichen Trackdaybesucher ermöglicht, viel Spaß ohne große Vorkenntnisse zu haben.
Wichtig: Hangoff!
Zu diesem Zeitpunkt ist erwähnenswert, dass die Z900SE im Vergleich zu ihren Supersportrivalen weniger körperlich anstrengend zu fahren ist, sofern man den Rennstreckenfahrstil noch nicht gewohnt ist. Das bedeutet allerdings keineswegs, dass man die Z900SE auf der Rennstrecke mit einem drückenden Fahrstil fahren soll, denn da stößt man rapide an die Limits des Bikes. Aufgrund der aufrechten, Naked-Bike-typischen Sitzposition sind die Fußrasten so angebracht, dass man diese in den Kurven sehr schnell auflegt, wenn man das Motorrad nicht im Hangoff fährt. Da sich die Z900SE allerdings sehr gut im Hangoff fahren lässt, verpufft dieses Problem nach einer kurzen Gewöhnungszeit sofort.
Ist die Sitzposition ein limitierender Faktor?
Was nicht verpufft, ist das weniger kommunikative Vorderrad, wenn man sie ans Extreme bringt. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass sich dieser Kommentar nicht so sehr an die Komponenten sondern die allgemeine Nakedbikegeometrie bezieht. Wie bereits genannt, besitzt die Z900SE hochwertige Fahrwerkskomponenten, welche eine gewisse Stabilität in den Kurven garantieren, jedoch sind der Lenker und die Geometrie der Sitzposition schlicht und ergreifend für die Landstraße ausgelegt. Ein Vorteil auf der Straße, ein kleiner Nachteil auf der Rennstrecke.
Bremsverhalten
Sehr positiv überrascht war ich von den Brembo Bremsen, die nach etlichen Turns nicht überhitzt sind, und auf die jederzeit Verlass war. Die Dosierbarkeit war sehr angenehm und der Druckpunkt transparent, insgesamt hat sich die Bremse sehr harmonisch verhalten. Auch wiederholtes und sehr ehrgeiziges Ankern steckte das Bremssystem gut weg und brachte mich voller Vertrauen durch die zwei Tage.
Getriebe, Quickshifter, Übersetzung
Die Übersetzung der Z900SE ist nicht sehr lange und in den Begrenzer fährt man aufgrund der frühen Redline sehr schnell. Diese Kombination führt dazu, dass man mit der Z900SE häufig schalten muss. Diese sehr involvierende Charakteristik sowie das Layout des Slovakiarings haben zur Folge, dass man alle Gänge von 1-5 auf der Strecke auskostet. Das Schalten der Japanerin ist sehr angenehm, da das Getriebe gut funktioniert und mich in zwei Tagen nicht ein einziges mal fälschlicherweise in den Leerlauf geschickt hat. Nicht 100%ig zufrieden bin ich mit dem Quickshifter, der auf sehr hohen Drehzahlen gewissermaßen seine Launen aufweist und nicht immer leichtgängig schaltet. Dieses Verhalten, gekoppelt mit dem mangelnden akustischen Feedback des Auspuffs, was der Euro 5+ Norm geschuldet ist, führt gelegentlich dazu, dass man meint geschaltet zu haben, wenn dem tatsächlich nicht so ist.
Fazit
Die Z900SE ist ein mehr als souveränes Naked-Bike, das auf der Strecke mit vielen anderen Motorrädern, unter anderem auch mit Supersportlern, mithalten kann.
Der frühe Begrenzer, die aufrechte Sitzposition, die kürzere Übersetzung, die Ergonomie, die Spitzenleistung: im Hinblick auf all ihren Rennstreckenschwächen, die sich auf der Landstraße in Stärken verwandeln, sind genau diese der Grund, weshalb die Z900SE ein mehr als würdiges Rennstreckengefährt ist. Wer die letzten Zehntel oder Tausendstel Rundenzeit jagt, fast ausschließllich auf der Rennstrecke fährt und gar nicht auf der Landstraße, der ist anderweitig besser bedient, aber für all jene, die hin und wieder einen Trackday besuchen, sich kein gesondertes Trackdaybike leisten wollen, und ihrer Motorradleidenschaft hauptsächlich auf der Landstraße nachgehen, die sind mit der Z900SE sehr gut bedient.
Vielleicht erklärt das einmal mehr, weshalb die Z900 unter den bestverkauften Motorrädern zählt.
P.S. vergesst auf der Rennstrecke nicht, den Luftdruck der Reifen abzusenken.