Royal Enfield Bullet 350 im Test

Es gibt Momente im Leben eines Motorradjournalisten, da steigt man von einem Testmotorrad ab und ist schlichtweg perplex. Nicht wegen überwältigender Leistung oder revolutionärer Technologie, sondern wegen einer völlig unerwarteten Erkenntnis: Ich bin gerade sportlich Motorrad gefahren mit einer Royal Enfield Bullet 350. Während meine Hand noch das warme Metall streichelt und der charakteristische Einzylinder-Sound in meinen Ohren nachklingt, frage ich mich ernsthaft: Wie um alles in der Welt hat es dieses unscheinbare Ding aus Indien geschafft, mich derart zu überraschen? Was gut genug ist für das Himalaya-Gebirge, sollte eigentlich auch unsere kompakte 1000PS Bestzeit-Teststrecke in Bad Fischau meistern können. Doch seien wir ehrlich: Klassische Motorräder sind auf engen Handlingparcours meist eine einzige Peinigung. Fahrender Metallschrott mit schwammigen Bremsen und unpräzisem Fahrwerk. Bei der Royal Enfield war das anders.

Die Bullet 350 ist ein Mischling, der sich jeder kategorischen Einordnung widersetzt. Weder reinrassiger Cruiser noch klassisches Naked Bike sie ist ein Retro-Cruiser mit eigenständigem Charakter. Die Sitzposition mutet entspannt an, der Oberkörper ruht gelassen, die Knie finden einen angenehmen Winkel. Die Füße positionieren sich aktiver als bei einem klassischen Cruiser, dennoch komfortabler als bei einem Nakedbike. Das sympathische Emblem am Tank lächelt mich geradezu an, während die Bedienelemente ehrlich offenbaren, in welcher Preisklasse wir uns bewegen. Hier wird Hausmannskost serviert, keine Haute Cuisine. Die Lackierung des Tanks und liebevolle Details bereiten durchaus Freude, der Motor mit seinen Lässigkeits-Elementen kommt authentisch cool rüber. Bei Bedienelementen und Schraubenqualität merkt man hingegen deutlich die günstigere Preisklasse.

Unter dem klassischen Tank arbeitet ein 349 Kubikzentimeter großer Einzylinder, der auf gut nutzbares Drehmoment im unteren Drehzahlbereich setzt. Kein Sprinter, sondern ein Gleiter. Nach den ersten Runden auf der Bestzeit-Strecke schoss sich der Motor ein und offenbarte seine wahre Natur: Ja, er braucht Eingewöhnungszeit. Ja, er dreht nicht giftig hoch. Aber er hat dieses gewisse Etwas, das direkt ins Herz poltert. Die feinen Vibrationen sind da, aber sie nerven nicht sie unterstreichen den Charakter. Die Geräuschkulisse, die Art wie er hochdreht, die gesamte Charakteristik dieses Aggregats vergebe ich einen echten Charisma-Bonus.

Meine größte Befürchtung vor der Testfahrt galt dem Handling. Klassische Motorräder sind auf engen Kursparcours meist eine Qual schwammige Bremsen, unpräzises Fahrwerk, eingeschränkte Schräglagenfreiheit. Die Royal Enfield überraschte mich. Zwar kratzten die Angstnippel an den Fußrasten relativ schnell, die eingeschränkte Schräglagenfreiheit ist typisch für diese Motorradkategorie. Aber ich fand schnell meine Linie und meinen Rhythmus. Es wurde zu einem entspannten Gleiten. Kein Schweißtropfen, niedriger Puls, kein Adrenalin. Die Bullet ist definitiv kein Adrenalinspender, aber sie servierte eine lässige, respektable Motorradfahrt. Das Ansprechverhalten vom Gasgriff erwies sich als gut, das Rausbeschleunigen aus den Kehren funktionierte ordentlich, wenn auch ohne Spritzigkeit.

Die Bremsen zeigen einen etwas indifferenten Druckpunkt als bei sportlichen Motorrädern. Bei sportlicher Fahrweise wird das lästig, weil man nicht exakt dosieren kann, wie viel Bremskraft gerade übertragen wird. Für den Alltagseinsatz reicht die Bremsleistung, für präzise Kurvenbremsung auf der Teststrecke hätte ich mir mehr Feedback gewünscht. Die moderne Bullet 350 verfügt über Zweikanal-ABS, USB-Anschluss und ein neues Kombiinstrument Ausstattungsmerkmale, die den Spagat zwischen Tradition und Moderne verdeutlichen. Die neu gestaltete Sitzbank bietet ausreichend Platz für guten Komfort.

Unsere 1000PS Bestzeit-Teststrecke in Bad Fischau simuliert mit ihren engen Kehren und kurzen Geraden realistische Fahrsituationen auf abwechslungsreichen Alpenstraßen. Anders als auf großen Rennstrecken zählen hier nicht Spitzenleistung und Topspeed, sondern Handling, Vertrauen zur Front, Ansprechverhalten und dosierbare Bremsen. Nach zehn Aufwärmrunden bekommt jedes Motorrad eine Chance für die Bestzeit. Alle Testmotorräder werden mit unterschiedlichen Reifen bei verschiedenen Temperaturen gefahren, vollgetankt gewogen und einer Verbrauchsmessung unterzogen. Die dabei entstehende Datenbank bietet praxisnahe Vergleichswerte für Motorräder und Reifen. Die Onboard-Aufnahmen entstehen mit der Insta360 Ace Pro 2, das Datarecording läuft über den Ridelink Wingman, befestigt wird alles mit SP Connect Halterungen fürs Motorrad. Die gemessenen Rundenzeiten findet man am Ende jedes Bestzeit Testvideos! Bisher wurden bereits über 120 Motorräder und Roller getestet und gemessen!

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• Onboardaufnahme: Insta360 Ace Pro 2
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• Alle Videos der 1000PS Bestzeit-Serie (Hier findest Du dann auch die erzielte Rundenzeit am Ende des Videos. Teilweise bringen wir die Videos aber erst einige Wochen nach der Veröffentlichung des Berichtes online!)
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Der neue 349 Kubikzentimeter Einzylinder der Bullet 350 fokussiert sich auf viel Drehmoment im unteren Drehzahlbereich und eignet sich damit gleichermaßen für Stadt und Landstraße. Das neu konstruierte Chassis trägt zur verbesserten Fahrdynamik bei, ohne den klassischen Charakter zu verwässern. Die Ausstattung umfasst Zweikanal-ABS für moderne Sicherheit, einen praktischen USB-Anschluss und neue Lenkerarmaturen mit zeitgemäßer Ergonomie. Der Motor leistet 20 PS und liefert 27Nm Drehmoment. Das Leergewicht beträgt 195kg. Seit 1932 prägt die Bullet das Motorraduniversum, revolutionierte früh durch die Einführung der Hinterradschwinge und erlangte durch militärischen Einsatz bei der indischen Armee Kultstatus. Die aktuelle Version bewahrt die Seele des Originals trotz technischer Modernisierung und spricht stilbewusste Fahrer mit Hang zur Tradition an.