Mit der Harley-Davidson Nightster unterwegs in Kalifornien

LA by Nightster

Um dem kalten Winter zu entfliehen, reist Juliane ins sonnige Kalifornien und schnappt sich für Ihren Urlaub die neue Harley-Davidson Nightster. Ziel: Auf dem "kleinen" Sportster-Modell das ultimative amerikanische Freiheitsgefühl einsaugen. Wie schlägt sich die moderne Harley auf den kurvigen Straßen der Malibu Canyons und des Palomar Mountain? Langzeit-Komfort? Handling im Alltag? Hier sind Julianes Fahreindrücke.

Zweieinhalb Jahre, nachdem ich aus Kalifornien zurück nach Deutschland gezogen bin, stehe ich wieder in Los Angeles und hole die Harley Davidson Nightster ab. Die neue kleine Schwester der Sportster S, die Fans der Marke schon in Deutschland und viel mehr noch hier in den USA in zwei Lager teilt: "Das ist keine echte Harley mehr!" und "Das ist eine moderne Harley!" Zu welchem Team ich gehöre, werden die kommenden Tage hier im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zeigen. Wir die Nightster mir das Freiheitsgefühl einhauchen, das man von ihren luftgekühlten Vorgängerinnen kennt? Oder ist es in der Moderne auch bei Harley vorbei mit derartigen Emotionen?

Ich bekomme vom Händler das Bike übergeben und ich falle in den Sattel. Ja, das Gefühl kenne ich. Die Arme weit nach vorne gestreckt, die Füße mittig entspannt positioniert. So lässt sich der vor mir liegende Großstadt-Dschungel lässig in Angriff nehmen. Dahinter wartet das Kurveneldorado der kalifornischen Bergstraßen mein erstes Ziel.

Herzstück der Nightster: der Revolution Max 975T V2-Motor

Der neue Revolution Max Motor (der in den USA ein anderes Mapping hat als in Europa) fällt bereits auf den ersten Kilometern mit sehr guten Manieren und kaum spürbaren Vibrationen auf. So Mancher wird dem flüssigkeitsgekühlten 60-Grad-V2 diese Eigenschaften als Charakterschwäche auslegen, nüchtern betrachtet rollt die Nightster deutlich komfortabler als ihre Vorgängerinnen durch die Stadt. 90 PS bei 7500/min und 95 Nm bei 5000/min können sich auf dem Papier außerdem trotz "nur" 975 Kubikzentimetern durchaus sehen lassen. Ab ca. 3500/min entfaltet der Motor seine Kraft so richtig und ich werde mit einem deutlichen Schub nach vorne gedrückt. Davor geht er etwas zaghaft zur Sache. Sehr schaltfaul darf man bei der Nightster nicht sein, sie fühlt sich in hochtourigen Bereichen am wohlsten. Probleme schnell an der Ampel vom Fleck zu kommen, habe ich allerdings nie. Ähnlich wie die Vibrationen wird auch der Sound einer Harley traditionell etwas anders bewertet als bei Motorrädern anderer Hersteller. Jener der Nightster ist dumpf und mit einem Standgeräusch von nur 90 dB(A) alles andere als traditionell. Auch wenn ich persönlich laut brüllende Milwaukee-Bikes besonders in den USA mit Freude höre, empfinde ich es spätestens nach der ersten Stunde im Sattel als sehr angenehm, dass mir die Ohren nicht abfallen und ich auch ohne Gehörschutz auskomme.

Bald liegt die Stadt hinter mir und Windgeräusche übertönen den Motor. Die Höchstgeschwindigkeit der Nightster liegt laut Harley bei 180 km/h - auf meiner Reise fahre ich allerdings nie schneller als 95 Meilen pro Stunde, was ca. 155 km/h entspricht. Diese Geschwindigkeit erreicht die Nightster ohne große Mühe und fühlt sich dabei stabil an.

Üppige Ausstattung der Nightster: Fahrmodi, Traktionskontrolle, Anti-Hopping-Kupplung und mehr

Um die geschwungenen Bergstraßen nahe der Pazifikküste dynamisch genießen zu können, wechsle ich vom Street- in den Sport-Modus. Dieser passt gut zur aggressiven Sitzposition geht spürbar direkter ans Gas. Den Regen-Modus nutze ich nur kurz, hier fehlt bei normalen Bedingungen spürbar Power (15 Prozent). Für die Landstraße entpuppt sich Sport als optimal, für die Stadt Street.

Neben diesen Fahrmodi, Traktionskontrolle und ABS sind serienmäßig auch eine Anti-Hopping-Kupplung und ein Keyless-Go-System vorhanden. Letzteres bedeutet, dass der Funkschlüssel zum Starten des Motors praktischerweise in der Tasche bleiben kann. Beim ersten Tankstopp brauche ich ihn aber, um den Sitz (unter dem sich der Tankdeckel befindet) zu entriegeln. Der Tank der Nightster fasst 11,2 Liter und der angegebene Verbrauch liegt bei 5,5 Liter / 100 km, was sich wirklich sehen lassen kann. Und er ist auch nicht bloß ein Fantasiewert. Bei meiner Tour kam ich auf eine Reichweite von 135 Meilen, also 215 Kilometer. Schön: Im digitalen Zusatzdisplay des analogen Tachos lässt sich unter anderem auch die Restreichweite anzeigen. Ein unumstrittener Vorteil der Nightster gegenüber ihren Vorfahren.

Handling der Nightster: Leicht & unkompliziert

So auch das Gewicht. Im Vergleich zur letzten luftgekühlten Sportster bringt die Nightster 35 Kilo weniger Gewicht auf die Waage. Sie wiegt vollgetankt 221 Kilogramm und hat, dank dem tiefliegenden, mittragenden V2-Motor, sowie dem Tank, der sich unter dem Sitz befindet, einen tiefen Schwerpunkt. Außerdem sind die Reifen (100/90-19 vorne und 150/80-16 hinten) recht schmal. Mir fällt das Handling des Bikes sowohl beim Rangieren (Sitzhöhe: 705 Millimeter) als auch beim Kurvenfahren dadurch sehr leicht. In sportlicher, aber zugleich bequemer Sitzposition schwinge ich von Kurve zu Kurve und das Stunde um Stunde. Mit ihrer Leichtigkeit und Unkompliziertheit hat sich die Nightster längst in mein Herz gefahren. Die Kehren am Palomar Mountain meistert sie ohne Krafteinsatz, Impulse auf den flachen und breiten Lenker setzt sie zielgenau um. Auch die Schräglagenfreiheit ist für die Motorradkategorie absolut in Ordnung und die meisten Kurven lassen sich auch ohne Fußrasten-Schleiferei dynamisch durchfahren.

Und auch die Bremsen spielen beim flotten Swing mit. Vorne beißt ein Vierkolben-Festsattel kräftig in eine 320er Scheibe, hinten haben wir eine 260mm Scheibe. Die Hebel sind fünffach einstellbar und die Kupplung ist leichtgängig. Ein weiterer Pluspunkt: Auch wenn ich mal in der Kurve in die Bremse lange, stellt es mich nicht auf.

Sportliches Cruiser-Fahrwerk

In Kalifornien wohnen die Reichen und Schönen, wie man sagt. Diese könnten aber ruhig mal etwas Geld in eine gute Infrastruktur stecken. Ich setze meine Reise auf Freeways fort, die von wechselnden Fahrbahnbelägen, Bitumenstreifen, Spurrillen und Rissen im Asphalt gezeichnet sind. So schön die Landschaft um diese Straßen herum auch sein mag, auf der Nightster verschwimmt sie ab und an, wenn gröbere Unebenheiten Schläge ins Steißbein schicken. Die zwei außenliegenden Federbeine hinten (in der Vorspannung einstellbar) bieten nur 76 mm Federweg und kommen auf Holperpisten entsprechend schnell an ihre Grenzen - endlich eine Tugend, die die Nightster von ihren Vorfahren übernimmt, wenn auch in abgeschwächter Form. Die 41 Millimeter Teleskopgabel von Showa mit 114 mm Federweg verrichtet allerdings gute Arbeit und schlägt nicht durch.

Day & Night: die Nightster im Alltag

Dass manche, oft kaum beachtete Eigenschaften im mehrtägigen Motorrad-Alltag eine große Rolle spielen können, stelle ich am Abend fest, als ich auf unbeleuchteter Straße durch die tiefdunkle Wüste (ja, die gibt's hier auch) zurückfahren muss. Hier lerne ich den sehr hellen Lichtkegel des Scheinwerfers zu schätzen. Die Nightster by Night: einwandfrei! Im Berufsverkehr aber aus einem ganz banalen Grund nicht: Die Rückspiegel and den Lenkerenden sehen zwar richtig stark aus und ich habe stets eine gute Sicht nach hinten. Allerdings machen sie die Nightster ein ganzes Stück breiter, was mir das "Durchschlängeln durch den Verkehr" (was in Kalifornien erlaubt ist) in vielen Situationen erschwert und ich durchaus hin und wieder abrupt in die Eisen gehen muss. Dann bin ich wieder froh über die starke (besonders im Vergleich zu anderen Cruisern, z.B. der letzten luftgekühlten Sportster) und gut dosierbare Bremse.

Farben, Preise und Zubehör der Nightster

Als ich die in "Gunship Grey" lackierte Nightster nach einigen Tagen wieder in Long Beach abgebe, nimmt sie wieder ihren Platz im Showroom zwischen den Varianten "Vivid Black" und "Redline Red" ein. Den Aufpreis von 280 Euro für die graue (und auch rote) Variante würde ich mir persönlich gönnen. Bei dem stolzen Preis eh keine große Sache mehr, in Deutschland ist die moderne Harley ab 14.990 Euro, und in Österreich ab 17.995 Euro erhältlich. Dann ist noch keines der 67 verschiedenen Originalzubehörteile montiert - eine Harley ist eben kein Schnäppchen, weder in der Vergangenheit noch in der Moderne.

Fazit: Harley-Davidson Nightster 2022

Komfort auf langen Fahrten, richtig viel Spaß auf kurvenreichen Strecken und einfaches Handling: auf der neuen Harley-Davidson Nightster habe ich mich von Anfang an wohl gefühlt. Mit ihr kann man sowohl richtig zügig um die Kurven jagen als auch entspannt cruisen - mit einem Motor, der stark aber nicht einschüchternd ist. An der modernen Sportster-Version schätze ich die Anwesenheit von Traktionskontrolle, Anti-Hoppingkupplung und verschiedene Fahrmodi. Die Nightster vermittelt mir echtes Harley-Feeling, nur etwas unaufgeregter im Vergleich zu ihren Vorgängerinnen. Für meinen Kalifornien-Trip war sie genau die richtige Wahl.


  • einfaches Handling
  • Komfort auf langen Strecken
  • umfangreiche Ausstattung mit Fahrmodi, Traktionskontrolle, Anti-Hoppingkupplung und mehr
  • schicker & moderner Sportster-Look
  • relativ kleiner Tank
  • Keyless-System nur für Zündung, nicht für Lenkerschloss und Tank
  • Fahrwerk hinten bei gröberen Straßen-Unebenheiten nicht sehr komfortabel

Bericht vom 22.12.2022 | 21.752 Aufrufe

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