Harley-Davidson Sportster S Test 2021

Die Sportster ist tot, es lebe die Sportster!

Harley-Davidson und Sport? Sind das nicht ausnahmslos dicke Cruiser? Keineswegs, vor allem die Sportster-Reihe hatte in ihren Anfangsdekaden vor nunmehr fast 65 (!) Jahren durchaus Sport im Sinne! Was im Laufe der Zeit zu Harleys Cruiser-Mittelklasse wurde, soll nun mit der Sportster S wieder mehr in Richtung Dynamik und Sportlichkeit gehen. Nur: Wie sportlich geht es mit einem 160er-Vorderreifen!?

Schon klar, dass dieser Spruch nun bereits zigfach in Zusammenhang mit der Harley-Davidson Sporster verwendet wurde, er passt aber einfach zu gut: Totgesagte leben länger! Und rückblickend war die Sportster ja auch nur ein knappes Jahr bei uns in Europa weg vom Fenster, die Amerikaner hatten sie ohnehin durchgehend. Doch gerade wenn man sich mit der Harley-Reihe etwas genauer beschäftigt, wird einem klar, wie wichtig die Sportster eigentlich für die Amerikaner ist - bereits 1957 wurde das erste Modell präsentiert und erlangte in den Jahrzehnten danach tatsächlich einen gewissen sportlichen Ruf, wie das der Name ja eigentlich auch vermuten ließe. Erst in den letzten Jahren wurde die Sportster zu einer Modellreihe, die zwar etwas leichter und handlicher war als die richtig dicken Cruiser der Amis, mit Sport hatten aber auch sie nicht allzu viel am Hut.

Die neue Harley Sportster S passt in kein Korsett!

Das soll mit der neuen Sportster S nun alles anders werden - oder zumindest teilweise anders. Denn auch die neue S ist in Wahrheit weit davon entfernt, die Motorrad-Kategorie, in der sie sitzt, durch Extrem-Sport zu revolutionieren - und das hat zwei Gründe. Zum Einen, weil sie nach wie vor ein Custom-Bike sein möchte, das durch sein Design und dessen Einzigartigkeit punkten will und nicht etwa durch funktionale Bauteile, die schnellere Rundenzeiten auf der Rennstrecke ermöglichen würden. Zum Anderen, weil es eigentlich keine Kategorie gibt, in die man die Sportster S exakt einordnen könnte - und damit findet man auch nicht wirklich eine direkte Konkurrentin, mit der sich die neue Sportster S messen müsste! Am ehesten fällt einem vielleicht noch eine Indian Scout ein, die ist aber doch etwas schwerer, schwächer und will auch in Sachen Design einfach nur ein klassischer Cruiser sein. Also doch eher die Indian FTR 1200? Nein, die ist ein echtes Naked Bike, was die Sportster S bestimmt nicht ist - denn dafür hat sie zu viele Eigenheiten, die sich tatsächlich mit nichts anderem so richtig vergleichen lassen. Triumph Bonneville Bobber? Die ist wiederum zu schwach…

Das Design der neuen Sportster S ist eine gelungene Mischung

Und damit bin ich auch schon bei den Problemzonen, die mir bereits vor der Testfahrt aufgefallen sind - und bei jenen, die überhaupt erst durch die Testfahrt aufgetaucht sind. Aber eines nach dem anderen, zwei vermeintliche Schwachstellen lösten sich nämlich bereits nach kurzer Zeit in Luft, also in Wohlgefallen auf. Die eine ist ohnehin eine sehr subjektive, nämlich das Design betreffende - der breite Scheinwerfer, der ganz einfach aus der Fat Bob entliehen scheint, wollte für mein Verständnis so gar nicht zu einer Sportster passen! Da gehört doch ein Rundscheinwerfer, dachte ich mir. Allerdings ist jenes LED-Licht auf der Sportster S einerseits so minimalistisch und klein gehalten, dass es ohnehin viel besser wirkt als auf der Fat Bob, andererseits passt dieses stylishe Element ausgezeichnet zu diesem extravaganten und am Ende eben doch sehr eigenständigen Look mit Bobber-Anleihen an der Front und dem gelungenen Heck im Flat Track-Stil.

Ist eine Einzelbremsscheibe an der Front wirklich eine zu wenig?

Die zweite Problemzone wäre hingegen eine tatsächliche, weil für die Fahrerei wichtige - eine Bremsscheibe an der Front ist nun mal eine zu wenig! Doch auch hier muss ich zugeben, dass es durchaus legitim ist, solch ein Motorrad nur mit einer Einzelscheibe auszustatten, denn die 320er-Anlage mit radial montierten Vierkolben-Monobloc-Zangen von Brembo ist wirklich bissig genug und dabei auch noch angenehm dosierbar. Ich vertrete zwar nach wie vor die Meinung, dass zwei Scheiben besser wären, aber in diesem (seltenen) Fall reicht tatsächlich eine einzelne. Der Grund dafür ist allerdings banal, es hat sich schlicht und ergreifend der Designer durchgesetzt, weil er unbedingt einen freien Blick auf die Felge wollte.

Der fette 160er-Vorderreifen wird ein Verkaufsargument!

Kommen wir also zur dritten Problemzone an der Front, die sich zwar auch sehr gut aber dann doch nicht ganz wegretuschieren lässt - der fette Vorderreifen. Wobei ich gleich vorab sagen muss, dass es bestimmt Interessenten geben wird, die eine Sportster S gerade WEGEN ihres Vorderreifens im ungewohnten Format 160/70-17 haben wollen! Normal, also 120 breit kann ja wohl jeder und ehrlich gesagt, geht auch dieser Reifen dank seiner spitzeren Kontur erstaunlich gut um diverse Radien. Einziges Problem ist klarerweise, dass es ein schmälerer Reifen noch besser könnte - aber das war wohl für die absolut designorientierte Sportster S keine Option. Es bleibt die erfreuliche Tatsache, dass die extra von Dunlop konzipierten GT503 ohnehin erstaunlich neutral um die Ecke zirkeln und sich weder zu sehr aufstellen, noch zu stark einknicken. Einzig Korrekturen wollen rechtzeitig eingeleitet werden, am besten bleibt man auf dem eingeschlagenen Kurs und genießt einfach die Stabilität, die man auf der Harley Sportster S hat.

Dunlop GT503 ab Werk auf der neuen Harley-Davidson Sportster S

Die Tatsache, dass die Sportster S also trotz der eigenwilligen Reifendimensionen erstaunlich souverän abbiegt, liegt natürlich auch daran, dass Dunlop für die neue Harley eigens den GT503 entwickelt hat. Die Reifenkontur ist so geformt, dass die Kontaktfläche zum Asphalt konstant groß bleibt, um ein hohes Maß an Haftung zu bieten - egal bei welcher Schräglage. Angenehm sportlich ist auch das Profildesign gelungen, das zum dynamischen Erscheinungsbild der Sportster S passt und auch unter der Lauffläche bietet der neue Harley-Reifen gewohnt innovative Technologien. So verfügt die Radialkonstruktion über die bewährte JointlessBelt-Technologie (endlos gewickelter Null-Grad-Gürtel), die auch bei Dunlops Hypersport- und Sporttouring-Reifen zum Einsatz kommt. Vorteile sind ein neutrales Handling über den gesamten Schräglagenverlauf, mehr Stabilität bei höheren Geschwindigkeiten sowie ein ordentliches Feedback.

Das Kreuz mit dem Kreuz – die Federwege der Harley Sportster S sind kurz!

Scheint sich also alles ganz gut aufgelöst zu haben, wäre da nicht noch ein Kritikpunkt, der mir nun am stärksten bitter aufstößt: Die kaum vorhandenen Federwege, die das Fahrwerk insgesamt äußerst straff machen. 92 Millimeter an der Front, hinten gar nur 51 (!) Millimeter machen dem Fahrer nicht immer das Leben einfacher. Zum Posen zwischen Konditorei und Eissalon könnte es durchaus reichen, bereits auf mittelmäßigen Schlaglochpisten wird man aber mit der Sportster S nicht wirklich glücklich werden - zum Glück hat Harley ja auch die Reiseenduro Pan America 1250 im Programm…

Das Elektronik-Package der Sportster S entspricht (fast) jenem der Pan America 1250

Die große Pan Am ist auch ein gutes Stichwort für die Elektronik-Ausstattung der Sportster S, denn wer den Umfang derer kennt, wird sich nicht mehr ganz so wundern, warum die neue Sportster dermaßen viel gutes Zeug serienmäßig mit an Bord hat! Kurven-ABS, schräglagenabhängige Traktionskontrolle, jeweils einstellbar und ganze fünf Riding Modes (Sport, Road, Rain und zwei frei konfigurierbar) sind schon eine Ansage! Hinzu kommt ein Tempomat in Serie, was will man mehr! Die drei vorgefertigten Modes sind im Übrigen wie auf der Pan America so abgestimmt, dass man tatsächlich Unterschiede in der Gasannahme merkt, die Leistung selbst wird aber nicht gekappt.

Der Revolution Max 1250 T-Motor leistet sich keine Fehler

Womit ich mal erst am Ende eines Tests zum Herzstück der Maschine komme, dem Motor. Allerdings keineswegs, weil er so unspektakulär wäre, sondern weil er sich keinen Fehler erlaubt. Der Revolution Max 1250 wird zwar aus der Pan America 1250 übernommen, nennt sich aber Revolution Max 1250 T, bekommt also ein T für Torque noch dazu. Resultat diverser Umbauten an Ventilen, Drosselklappen und sonstigen Teilen sind 122 PS bei 7500 Touren und 125 Newtonmeter Drehmoment bei 6000 Umdrehungen. Und Harley hat es tatsächlich geschafft, diesem Motor unten und in der Mitte so viel Schmalz einzuhauchen, dass man ihn de facto nicht in den Begrenzer jagen muss. Kraft ist also da, allerdings auch so gut kontrollierbar, dass ich es vorzog, im schärfsten S-Mode zu bleiben, weil mich schon der nicht überforderte - warum also mit weniger begnügen? Und selbst der Sound des V2 passt sehr gut, klarerweise dank Euro5 nicht mehr ganz so bullig wie früher, dafür mit 93 dB (A) auch in den lärmempfindlichsten Regionen Europas völlig legal nutzbar.

Die Sportster-Geschichte ist noch lange nicht zu Ende!

Die neue Sportster S ist somit eine gelungene Neuinterpretation dieser altehrwürdigen Modellreihe, die sich durchaus ihre Fangemeinde aufbauen wird. Es ist klar, dass ein 160er-Vorderreifen nicht abbiegen kann wie ein Moped, aber der einzigartige Look, der dadurch entsteht, ist es absolut wert. Laut Harley folgen noch weitere Sportster-Modelle mit diesem Motor, vielleicht kommt sogar wieder ein kleineres Triebwerk als Ersatz für die günstigere 883er-Sportster auf den Markt. Die Sportster-Geschichte ist jedenfalls noch lange nicht zu Ende!

Fazit: Harley-Davidson Sportster S RH1250S 2021

Die Sportster S besinnt sich wieder mehr auf die Tradition dieser Baureihe - ja, es ging tatsächlich mal um Sport! Daher will sich die neueste Kreation der Amerikaner mit ihren 122 PS und 125 Nm Drehmoment auch nicht in die Cruiser-Schiene lenken lassen sondern fast schon klassenlos auf Kundenfang gehen. Geboten wird ein herrliches Poser-Bike, das sich insgesamt erstaunlich einfach fahren lässt. Die Einzelscheibenbremse an der Front arbeitet gut und der fette 160er-Vorderreifen lenkt besser ein als man vermuten würde. Lediglich die harte Federung lässt den Fahrer auf längeren Strecken leiden - was vor dem Eissalon natürlich völlig egal ist. Elektronik und Sicherheit sind auf Top-Niveau, womit der ordentliche Preis für wahre Fans entschärft wird.


  • Kräftiger, kultivierter Motor
  • Bremse für eine Einzelscheibenanlage sehr gut
  • volles Elektronik-Package mit Kurven-ABS und schräglagenabhängiger Traktionskontrolle
  • Fahrwerk richtig hart
  • Einlenkverhalten wegen des breiten Vorderreifens etwas unwilling

Bericht vom 31.07.2021 | 53.043 Aufrufe

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