Kawasaki ZX-10 RR 2017 Test

WM Siegerbike als Test-Zugabe

Im Motorland Aragon testete NastyNils nicht nur die neue ZX-10RR 2017 sondern auch die WM Siegermaschine von Johnny Rea. 250.000 Euro!

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Soll ich Zyankali Kapseln mitnehmen? Für den Fall, dass ich die WM Maschine vom Superbike Weltmeister heute bei meiner Ausfahrt in Aragon ins Kies werfe, wird folgendes passieren: 8 Journalisten nach mir können nicht fahren. Johnny Rea kann morgen nicht testen. 250.000 Euro sind im Eimer. Alle werden mich hassen! Nicht so wie sonst auch - sondern richtig! Trotzdem vergas man nicht zu erwähnen, dass man bei den Sessions Data-Recording Aufzeichnungen aktiviert - inklusive Gasgriffstellung!

Kawasaki ZX-10 RR 2017 Test

Der Test der neuen ZX-10RR 2017 hat ganz besondere Rahmenbedingungen. Bloß 10 Journalisten sind hier eingeladen. Einer davon bin ich. Organisiert wird das Event vom Kawasaki Superbike WM Racing Team. Als Highlight des Tages darf jeder Journalist exakt jenes Bike fahren, mit dem Johnny heuer in Katar den WM Lauf bestritten hat und Weltmeister wurde.

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Unterschiede ZX-10RR und ZX-10R

Warum bringt Kawasaki eine ZX-10RR? Hier ist die Antwort denkbar einfach. Das Racing Team benötigt für die Verteidigung vom WM-Titel ein paar kleine aber feine Änderungen am Basismotorrad. Also Endkunden dürfen nun das von Kawasaki kaufen, was sich das Racing Team gewünscht hat. In erster Linie betrifft das Änderungen am Motorgehäuse und an den Zylinderkopfdeckeln. Das Motorrad erlaubt nun mehr Tuning-Maßnahmen und ist auch im Renntrimm standfester. Die Tassenstössel sind nun DLC beschichtet und auch die Nockenwelle ist auf die neue Beschichtung angepasst. Damit das Bike auch für Endkunden mehr Benefits mitbringt, hat Kawasaki aber noch weitere Goodies mit reingepackt:

  • Diverse RR Gravuren am Motorrad und am Schlüssel
  • Homologiert als Einsitzer - Dadurch kompromissloseres Setup von Werk aus möglich
  • Quick Shifter mit Blipper
  • Geschmiedete Aluminium Räder von Marchesini
  • 1 Kilo leichter

Der Aufpreis von der ZX-10R zur neuen ZX-10RR wurde uns noch nicht verraten. Meine persönliche Schätzung liegt bei 2.000 - 3.000 Euro / CHF Aufpreis.

Traumbike: ZX-10RR mit Kawasaki Kit-Teilen

Endlich mal hat man uns bei einem Sportmotorrad ein Testsetup hingestellt, welches wirklich realitätsnah ist. Wir fuhren die neue ZX-10RR nicht im Serienzustand mit dem unnützen Ballast welcher von allen Rennstreckenkunden ohnehin demontiert wird. Wir fuhren das Motorrad exakt so, wie man es in der Praxis auch fährt:

  • Kit ECU und Kabelbaum
  • ABS deaktiviert und Modulator ausgebaut
  • Mapping am Prüfstand angepasst
  • Stahlbremsschläuche
  • Akrapovic Komplettanlage
  • Angepasster Lenkkopfwinkel. 23.5 anstelle von 24 Grad. Wird über Distanzringe unterhalb der oberen Gabelbrücke umgesetzt.
  • Weicheres Setup an der Gabel (Zug von 2.25 auf 2.5, Druck von 2.75 auf 3.0)
  • Härteres Setup am Federbein (Zug von 2.25 auf 1.75, Druck bleibt bei 1.00)
  • Ein zusätzliches Shim im Federbein um das Heck etwas höher zu stellen
  • Pirelli Diablo Supercorsa SC1 Slicks
  • Lenkerstummel etwas nach vorne gedreht.

Die weitere Auswahl an Kitteilen ist übrigens gigantisch. Doch das Angebot richtet sich eher an erfahrene Rennfahrer und Rennteams.

Der Eindruck von der Testfahrt: Leider geil! Das Motorrad wurde richtig gut hingestellt. Ich hatte Angst hier eine unbezwingbare Waffe vorzufinden, aber dieses Motorrad fährt deutlich einfacher aber auch präziser wie die ZX-10R 2016. Warum?

Also auf der einen Seite hat man mal ein sauberes Mapping aufgespielt. Also eines welches den Motor richtig von der Leine lässt und auch makellos anspricht. Die 200PS schüttelt der Motor exakt, drehfreudig aber trotzdem beherrschbar aus den Ärmeln. Die Leistung wirkt nicht rausgekitzelt. Das nutzbare Drehzahlband ist vor allem für Hobbyracer richtig breit und ohne Homologationsbürden ist die Power auch im mittleren Drehzahlbereich phantastisch.

Die Überraschung: Sagenhafte Front!

Eine großartige Überraschung bot jedoch die Front. Die federleichten Schmiederäder in Kombination mit dem steileren Lenkkopfwinkel machen die neue ZX-10RR zu einer phantastischen Cornering-Rakete. Sie fährt am Kurveneingang nun für mich noch besser als eine Aprilia. Sie hält die Innenlinie nun viel besser als früher, ist aber trotzdem keinesfalls kippelig. Dieses Motorrad hier fühlt sich einfach fertig an! Das Upgrade zur ZX-10RR war quasi der letzte Feinschliff den die Ninja noch nötig hatte und die Endkunden bekommen nun jahrelange harte Arbeit von einer irre motivierten Truppe auf dem Silbertablet präsentiert. Kawasaki nutzte dieses Motorrad als unbezwingbares Basismotorrad für die Superbike WM und hat hier viel Know-How hineingesteckt. Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Einzelsitz-Homologation. Dadurch kann Kawasaki beim Setup präziser arbeiten und muss eben das Motorrad nicht so konfigurieren, dass sie auch zu zweit sicher fährt.

No Risk! Die Kawasaki ZX-10RR 2017

Ganz klar: Die ZX-10RR ist für 2017 ein absolut risikoloser Tipp für schnelle Rundenzeiten. Die neue Fireblade und auch die Gixxer sind faszinierende Bikes. Aber sie sind neu und müssen erst beweisen was sie mit Kit-Teilen am Kasten haben - sobald diese verfügbar sind. Die Kawasaki ist fertig und sie ist da. Ich bin sie mit allen Kit-Teilen selbst gefahren. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, bestellt die Kawasaki und fährt sie im März fertig aufgebaut auf die Rennstrecke.

Der Händler macht den Unterschied

Doch halt! Ein wenig wurde meine Euphorie gebremst. Nicht etwa durch das Produkt, sondern durch die Organisationsstruktur mit welcher Racing und Kit-Know-how an Endkunden weitergegeben wird oder eben nicht. Die ZX-10RR einfach beim Händler um die Ecke kaufen, Kit-Teile bestellen und tiefe Rundenzeiten genießen ist so nicht möglich. Nicht jeder Händler hat das nötige Know-How. Klar kann man das alles zusammenstecken und es wird auch gut laufen. Das volle Potential dieses Motorrad genießt man erst dann, wenn man einen kompetenten Partner zur Seite hat. Hier ist man auf einen engagierten Händler angewiesen, welcher einen guten Draht zu Rennteams hat oder selbst im Sport aktiv ist. Eine Kundensport-Struktur wie sie BMW installiert hat, hat Kawasaki noch nicht aufgesetzt.

Smalltalk mit der Kawasaki WM-Crew

Pere Riba fuhr selbst jahrelang Rennen für Kawasaki und ist nun Crew-Chief vom 2-fachen Superbike WM Weltmeister Jonathan Rea. Der Kreis der Journalisten hier ist relativ kompakt und so waren direkte Gespräche mit Pere möglich. Besonders interessant empfand ich die Tatsache, dass Johnny Rea und Tom Sykes sehr unterschiedliche Fahrstile pflegen. Das Team schafft es aber trotzdem beiden siegfähige Maschinen hinzustellen.

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15-20km/h schneller im Scheitel als der Weltmeister

Krasser Unterschied: Johnny Rea ist im Scheitel in manchen Kurven um ca. 15-20 km/h schneller als Tom Sykes. Denn während Rea einen sehr runden Fahrstil mit hohem Kurvenspeed pflegt, bremst Sykes sehr hart, fährt spitz in die Ecke und feuert schnell wieder raus. Stop-and-go wird sein Fahrstil auch genannt. Johnny Rea fährt daher vorne als einer der wenigen Piloten auch keinen weichen SC1 von Pirelli sondern den härteren SC2. Dieser bietet zwar eigentlich weniger Grip, ist dafür aber beim Anbremsen in Schräglage stabiler und vermittelt ein direkteres Gefühl für das Griplevel. Rea kann damit näher ans Limit gehen.

Was 0,5% ausmachen können

Riba berichtet aber auch von den Herausforderungen für die kommende Saison. Laut Reglement dürfen 2017 die Drosselklappen nicht mehr paarweise geöffnet und geschlossen werden. Für das nächste Rennjahr müssen alle 4 Zylinder gleich angesteuert werden. Klingt nicht besonders dramatisch, doch Riba erklärt den Unterschied:

Riba: In der Bremszone zum Beispiel haben wir die Wahl die Drosselklappen komplett zu schließen, oder einen Prozent zu öffnen. Und wir hatten die Möglichkeit bei zwei Zylindern die Drosselklappen um 1 % zu öffnen und bei den anderen beiden komplett zu schließen - im Durchschnitt also um 0,5%. Die Präzision in der Regelung war also schlicht und ergreifend größer. Egal ob es um das Thema Motorbremswirkung oder Ansprechverhalten geht - die Möglichkeiten sind nun eingeschränkt.

NastyNils: Werdet ihr deswegen 2017 langsamer sein?

Riba: Nein!

NastyNils: Warum dann das Gejammere ?

Riba: Lacht! Weil es eine Menge Arbeit für uns bedeutet. Im Ernst. Wir haben gesehen, dass Johnny das neue Ansprechverhalten vom Motor durchaus entgegen kommt. Er ist ein Fahrer der ein sehr klares Feedback vom Motorrad braucht. Durch die gleichmäßige Ansteuerung von allen 4 Drosselklappen ist das der Fall. Der Einfluss der Elektronik wird nun geringer, die Verbindung von Gasgriff zu Hinterrad wird direkter. Johnny könnte davon profitieren.

Auch Johnnys Mechaniker plauderte aus dem Nähkästchen. Die hinteren Bremsbeläge sind zum Beispiel auch am Saisonende noch so gut wie neu. Johnny Rea benutzt die hintere Bremse fast nie und regelt am Kurveneingang fast alles mit der Motorbremse. Die Hinterbremse benötigt er nur manchmal zur Feindosierung beim Wheely.

NastyNils fährt Superbike WM - für 15 Minuten

Es ist dann immer wieder erbärmlich und doch auch wieder richtig geil eine der besten Maschinen auf diesen Planeten zu pilotieren. Das ZX-10R Superbike von Johnny Rea hat eine unglaubliche Reife. Also die Maschine ist weit weg von einem zusammengebastelten Tuningbike. Das hier erweckt Vertrauen, fährt zuverlässig und macht keine merkwürdigen Dinge. Besonders erfreulich: Die erste Runde habe ich sie ganz gemütlich um die Ecke getragen und die WM-Rakete hat gut funktioniert. Der Motor hatte manchmal einen sehr bösen Sound. Wirklich räudig und geil. Dieses Sounderlebnis ist der paarweisen Ansteuerung der Drosselklappen geschuldet.

Am Kurvenausgang ist das Motorrad ebenfalls weit weg von 0 und 1. Sie beschleunigt heftig aber ist am Exit einfacher zu beherrschen als die meisten Tuningbikes welche ich von lokalen Rennfahrern in Österreich gefahren bin. Trotz deutlich mehr Leistung. Die Motorabstimmung ist grandios und auch in der Bremszone nutzt Rea jenes Maß an Motorbremse, welches auch ich gerne nutze.

ZX-10R WM Motorrad - Hetzhase am Kurveneingang

Erschreckend war dann jedoch das direkte Ansprechverhalten am Kurveneingang. Ich wollte etwas nachdrücken und hab einen deutlichen Impuls am Lenker gegeben. Doch durch den steilen Lenkkopfwinkel und die breiten Lenkerstummel bog die Maschine sofort wie ein Hase auf der Flucht nach innen ab. Glücklicherweise waren hier im Infield keine Zuseher mit dabei.

Kawasaki World SBK Motorrad - Ein unvergessliches Traummotorrad?

Offen gesagt strahlt die Faszination bei Rennmotorrädern für mich heutzutage weniger von der bloßen Hardware aus. Denn der Unterschied zu den käuflichen Motorrädern ist, vor allem was die Leistung betrifft, nicht mehr so dramatisch wie früher. Es ist sogar so, dass sich ein schlecht abgestimmtes Serienmotorrad mitunter brutaler anfühlt als die ZX-10R von Rea. Um die Faszination der Maschine erleben zu könnten, müsste ich schneller fahren können. Mir fehlen selbst auf bekannten Strecken gut 10 Sekunden auf die besten Piloten - pro Runde. Die Kawasaki Truppe optimiert ihr Motorrad aber in ganz anderen Größenordnungen. Sie möchten am Ende einer ganzen Renndistanz dann einen Vorsprung von einigen Sekunden haben.

Die Bremse kostet mehr als eine Serien-Tausender

Faszinierend ist das penible Zusammenspiel der Crewmitglieder und die wichtige Rolle des Crew-Chiefs. Seine Rolle muss ebenso wichtig eingeschätzt werden wie die des Piloten oder die der Motorradhardware. Bei der Hardware vom Motorrad fand ich offen gesagt jene Teile besonders geil, welche nicht unbedingt Einfluss auf die Rundenzeiten haben. Die Schnellwechsel-Achsaufnahmen zum Beispiel sind ein Traum. Ein Räderwechsel gelingt mit wenigen Handgriffen und ohne schmutzige Finger. Kostenpunkt: In Summe mit Schwinge usw. teurer als die Bremsanlage. Und die ist teurer wie eine Serien-Tausender. Ebenfalls beneidenswert ist die exakte Verarbeitung und die geringen Reibungs- und Rollverluste. Die Räder schweben förmlich auf den Achsen und die Kette gleitet quasi reibungslos über Ritzel und Zahnkranz. Der größte Kostenbrocken steckt dann aber leider relativ unsexy verpackt in den Laptops der Ingenieure.

Kawasaki ZX-10RR - ein guter Jahrgang mit guter Reife

Was mich dann insgesamt beeindruckte, war die Reife des Motorrades, die Reife des Teams und auch die Reife der Basismaschine. Kawasaki hat hier einfach eine richtig gute Position. Sie sind die dominierende Größe in der Superbike WM, haben funktionierende Teamstrukturen und 2 Topfahrer. Beim Basismotorrad hat man ein Paket, auf welches man seit Jahren verlässlich aufbauen kann. Die Maschine wurde mit dem letzten Modelljahr und nun auch mit der ZX-10RR im Detail weiter verbessert, kam aber niemals radikal neu. Kawasaki beweist auch eindrucksvoll, dass sie mit ein und derselben Basis zwei komplett verschiedene Fahrertypen aufs Siegertreppchen schicken kann. Egal ob in der Superbike WM oder auch in lokalen Hobby-Meisterschaften. Die Chancen stehen gut, dass die Ninjas vor allem zu Saisonbeginn die besten Rundenzeiten abliefern. Und beim Thema Rundenzeiten sind wir auch an einem guten Punkt angelangt, um die Story über die Fahrt mit der WM-Maschine elegant und diskret zu beenden.

Fazit: Kawasaki Ninja ZX-10RR 2016

Ganz klar: Die ZX-10RR ist für 2017 ein absolut risikoloser Tipp für schnelle Rundenzeiten. Die neue Fireblade und auch die Gixxer sind faszinierende Bikes. Aber sie sind neu und müssen erst beweisen was sie mit Kit-Teilen am Kasten haben - sobald diese verfügbar sind. Die Kawasaki ist fertig und sie ist da. Ich bin sie mit allen Kit-Teilen selbst gefahren. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, bestellt die Kawasaki und fährt sie im März fertig aufgebaut auf die Rennstrecke.


  • klarer Focus auf Rennstrecke
  • umfangreiche Kit-Teile vorhanden
  • ausgereiftes aber trotzdem topmodernes Gesamtpaket
  • Aktuelle Superbike WM Siegermaschine
  • Support bei Kit-Teilen komplex
  • Cockpit wirkt optisch nicht mehr ganz frisch

Bericht vom 17.11.2016 | 45.149 Aufrufe

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