Ducati 1299 Panigale S Test

Panik auf der Panigale? 205 PS bei 190 kg voll.

Mehr Leistung als jemals zuvor, mehr Elektronik auch. Ride-by-Wire, Traktionskontrolle, Wheeliekontrolle, Motorbremswirkungskontrolle, Kurven-ABS, Lenkungsdämpfer, Schaltautomat, elektronisches Fahrwerk - alles einstellbar. Den Gashahn aufdrehen und genießen? Wenn es nur so einfach wäre.

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Wer sich von 205 PS auf der vielleicht anspruchsvollsten, bestimmt aber spektakulärsten Rennstrecke des europäischen Festlandes aus dem Winterschlaf holen lässt, hat entweder kein Hirn, keine Lust mehr oder keine Wahl; alle drei Gründe treffen mehr oder weniger auf mich zu. Eine Verkettung zu erwartender wie unvorhersehbarer Ereignisse führte dazu, dass mir rein zufällig die Präsentation der Panigale in Portimao zugeteilt wurde. Zuvor musste ich mich schon ärgern, dass Vauli zur KTM 1290 Super Adventure nach Gran Canaria und NastyNils ohne mich zum BMW Motorrad Test-Camp Almeria fliegen würde. Wer zuletzt lacht… Obwohl es keinem der Herren schlecht gegangen sein dürfte (beim Verfassen dieser Zeilen liegen die Tests bereits hinter uns).

Prachtvoll und potent. Schlicht die Schönste.

Die Panigale ist seit ihrem Erscheinen im Jahr 2012 das mit Abstand schönste Straßenmotorrad. Das ist keine Meinung, das ist eine Feststellung. Es muss so sein, weil es die Bologneser geschafft haben, keine Generation ihres Superbike-Stammbaums schlecht aussehen zu lassen, was die verpönte 999er mit einschließt. Die Übertragung des Erbguts führte zu einer Evolution der Ästhetik, wie sie nur in Italien gedeihen kann.

Es ist schwer, mir das jetzt nochmal einzugestehen, aber viele saubere Runden konnte ich mit der Panigale nicht drehen. Sauber im Sinne von trocken. Ein Besuch in Portimao hat auch für mich Seltenheitswert, beim letzten Mal konnte ich hier gerade mal 2 und nicht 6 Turns fahren. Dementsprechend enttäuscht bin ich wieder von dannen gezogen, zumal sich das Wetter den ganzen Tag nicht zu blöd wurde, uns zu frotzeln und immer dann eine psychologische G'nackwatsch'n zu verarbreichen, wenn Hoffnung und Sonne wieder eine Chance zu haben schienen.

Feucht, aber nicht fröhlich.

Kraft im Elektronik-Korsett.

205 PS bei nur 190 kg vollgetankt soll die Panigale haben. Das möchte ich noch auf dem Prüfstand bzw. der Waage sehen, glauben kann ich es schon. Es fühlt sich einfach so fürchterlich stark an, wie ich mir nur ein sehr leichtes Auto mit 1000 PS vorstellen kann. Dass man einen so wütenden V2 in ein Elektronik-Korsett zwingt, ist keine Frage der Safety-First-Moral, sondern schlicht Notwendigkeit. Ich selbst wünschte mir keine Sekunde, ohne Ride-by-Wire, Traktionskontrolle, Wheeliekontrolle, Kurven-ABS, Lenkungsdämpfer und elektronisches Fahrwerk unterwegs zu sein, obwohl mir auch die Aufzählung der computergesteuerten Überwachungsorgane etwas Angst macht, Zukunftsszenario "Rise of the machines". Zu erwähnen wären noch die elektronisch einstellbare Motorbremswirkungskontrolle (wer kommt auf sowas?) und der ebenfalls einstellbare Schaltautomat.

Volle Elektronenkontrolle.

8-stufige Traktionskontrolle, 8-stufige Wheeliekontrolle, 3-stufiges ABS, Engine Break Control, die laufend Drosselklappenstellung, Gang und Kurbelwellenfliehkräfte überwacht und zusammen mit der Anti-Hopping-Kupplung für noch mehr Ruhe am Kurveneingang sorgt. Das Ride-by-Wire, das die oft allzu stürmischen Wünsche des Fahrers nach mehr Power auf eine erträgliche Dosis verdünnt, erlaubt das Anwählen verschiedener Fahrmodi und macht die rote Baronin erst zu einem täglich nutzbaren Arbeitsgerät. Verarbeitet wird dabei alles, was technisch last-season ist und nicht mindestens 200 PS hat (Auto = 600 PS).

On-the-fly: Playstation spielen während der Fahrt.

Bei der von uns getesteten S-Version, serienmäßig mit geschmiedeten Marchesini-Felgen, Carbon-Kotflügel vorne und LED-Licht, kann über zwei Schalter am linken Lenkergriff eine gewählte Funktion sogar während der Fahrt reguliert werden. (Die Buttons heißen lustigerweise "Remote Control Buttons".) Möchte ich zum Beispiel die Traktionskontrolle "on-the-fly" anpassen können, speichere ich das im Menü, das am farbigen LCD-Display erscheint, ab und habe dann die Möglichkeit, direkt auf der Strecke die DTC stärker oder schwächer regeln zu lassen. Auch die Wheelie- und Enginebreak-Control kann ich damit bedienen. Seltsamerweise nutzt Ducati die Infos der Inertial Measurement Unit nicht für die Traktionskontrolle, um die Daten zur (Schräg)-Lage des Motorrades miteinzuberechnen.

Wheelie-Control noch nicht perfekt?

Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste und auch aller sündteuren Motorräder, weshalb ich mich nicht selbst in die Verlegenheit brachte, die Fahrassistenzsysteme etwas zu reizen. Bevor die Wheelie-Control richtig eingreifen konnte, ging ich meist schon selbst vom Gas und auch beim Rausbeschleunigen vertraute ich lieber meinem eigenen biologischen Rechner. Andere Journalisten, die in der Gruppe vor uns bei perfekten Bedingungen starten konnten, berichteten von ungleichmäßigen Reaktionen der Ducati Wheelie-Control in den verschiedenen Regelstufen. In Stufe 8 stieg das Vorderrad mal höher, mal tiefer, dasselbe galt auch für andere Stufen. Hier fehlt womöglich die Feinabstimmung. Bestätigen kann ich das nicht, werde es beim nächsten Test bei der 1000PS Gripparty aber bestimmt austesten.

15% mehr Druck von 5.000 bis 8.000 Touren.

Durch die um 4 mm größere Bohrung des extremen Kurzhubers stieg das Drehmoment zwischen 5.000 und 8.000 Touren um durchschnittlich 15%. Das bedeutet satten Druck aus der Mitte, wenngleich sich eine Ducati im Drehzahlkeller wohl nie wohlfühlen wird. Oben heraus bricht dafür ein Orkan los, der so stark ist, dass du froh bist, wenn dich jemand am Hanterl hält und im Ernstfall - oder eigentlich immer - entscheidet, was gut für dich ist und was nicht. 'Wet' ist für Anfänger und Hosenscheisser (oder, wenn's halt einfach nass ist), 'Sport' für selbst- und fremdernannte Fortgeschrittene und der 'Race-Modus' für wirklich Fortgeschrittene und Rennfahrer. Obwohl im Sport- und Race-Modus die volle Leistung zur Verfügung steht, wirkt Race durch die schärfere Leistungskurve noch deutlich stärker und verlangt dem Fahrer einiges ab. Herausgefordert fühlt man sich zudem von der Anzeige der momentanen Schräglage, der erreichten Höchstgeschwindigkeit und der gefahrenen Rundenzeit - auf der Hausstrecke natürlich.

Raufschalten bei Vollgas, Runterschalten ohne Kupplung.

Viel schneller, als ich das selbst für möglich gehalten hätte, wird sich der Schaltautomat als Standardequipment etablieren. Der Ducati Quickshifter ermöglicht nicht nur den Gangwechsel bei Vollgas (rauf), sondern auch das Runterschalten ohne zu kuppeln. Der Automat läßt sich sogar ausschalten oder nur auf den "Upshift" beschränken. Eine Innovation, die ich uneingeschränkt gutheißen kann. Die elektronische Motorbremse, das semi-aktive Öhlins-Fahrwerk, die Anti-Hopping-Kupplung und der Schaltautomat, der beim Runterschalten kurz Zwischengas gibt, sorgen im Kurveneingang für stoische Ruhe auch bei härtesten Bremsmanövern. Sollte man die radialen brembo-Zangen einmal zu hart in die 330er Scheiben beißen lassen oder der Untergrund nicht halten, was man sich von ihm versprach, dient immer noch das Bosch 9.1MP Kurven-ABS-System als Sicherheitsnetz. Alles zusammen unfassbar, aber trotzdem Realität.

Ein Supersportler ist kein Stressless-Sessel.

Obwohl Verkleidung, Windschild und Sitz neu geformt wurden, spürt man als Fahrer nur wenig vom Komfortgewinn. Man sitzt zwar etwas besser, hat bei Highspeed aber mit starken Verwirbelungen am Helm zu kämpfen. Da man uns eine verbesserte Aerodynamik versprach, hat mich das schon ein bisschen enttäuscht. Deutlich besser war es mit der Racing-Scheibe aus dem Performance-Zubehör, das neben der Akrapovic-Komplettanlage noch weitere Leckerbissen zu bieten hat.

Noch ca. 20.000 Zeichen ab hier und ich hätte die Features und Funktionen der 1299 Panigale S so halbwegs beschrieben. Die spare ich mir aber wegen der dürftigen Erfahrungswerte und komme langsam zum Schluß. Was die elektronischen Einstellmöglichkeiten betrifft, so glaube ich, ist das Maximum des dem Kunden Zumutbaren bereits erreicht. Da muss man nicht einmal mit den fixen und dynamischen Fahrwerkseinstellungen der Öhlins-Komponenten beginnen, weil schon vorher die Sicherungen durchbrennen. Die Druckstufe der Gabel zum Beispiel hat 32 Werte. Während man früher einen Schraubenzieher in die Hand nehmen musste, reichen jetzt ein paar Klicks am Knöpfchen, um das Fahrwerk komplett zu verstellen. Und der Reiz, das zu versuchen, ist groß.

Doch obwohl die Panigale all diese Sicherheitsfeatures hat, bleibt sie ein ungemein aufregendes Motorrad, das niemanden kalt lassen kann, der noch nicht kalt ist. Beeindruckende Performance, monströser Motor und ein unverwechselbarer Charakter ergeben italienische Erotik auf die harte Tour. Man sollte sich ihr nicht unvorbereitet nähern. Beim nächsten Mal geht's dann wirklich ans Eingemachte.

Entdecke die Möglichkeiten? Unmöglich!

Fazit: Ducati 1299 Panigale S 2015

Man könnte die Ducati 1299 Panigale auch entspannt fahren. Man kann sie auch sicher fahren. Und man kann sie völlig angstfrei fahren. Denn Kurven-ABS, Traktionskontrolle und Wheelie-Control wirken im Notfall allen Blödeleien und Fahrfehlern des Fahrers entgegen. Wer aber die 205 Pferde von der Leine läßt, der sollte sich so fest er nur kann in die Zügel klemmen. Auf dem roten Stier zu reiten braucht jede Menge Kraft und Konzentration, selbst wenn es nicht leicht ist, einen (folgen)schweren Fehler zu machen. Verschiedene Fahrmodi, nicht nur bei Supersportlern bereits Standard, Schaltautomat, Lenkungsdämpfer und sämtliche anderen Fahrassistenzsysteme machen mich sicher: Es werden noch viele Motorräder mit mehr als 200 PS kommen.


  • wunderschön
  • charakterstark
  • extrem kräftig
  • hochmoderne Elektronik
  • starke Verwirbelungen am Helm
  • fordert den Fahrer
  • niedrige Drehzahlen meiden

Bericht vom 09.02.2015 | 43.826 Aufrufe

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