Transnistria Teil 2

Fortsetzung aus Osteuropa. Die Reise geht weiter.
REISE REPORTAGE -OSTEUROPA: RUMÄNIEN, UKRAINE, TRANSNISTRIEN, MOLDAWIEN
Ein Kurvenparadis am schwarzen Meer
Langsam wird es Zeit für den verdienten Badeurlaub. Nur der Weg dorthin hält weitere Herausforderungen an uns und unsere Maschinen bereit. Die vielen Speed-Traps sind dabei noch das geringste Problem, befinden sich diese doch, sehr vorhersehbar aber zuverlässig, an beinahe jeder Orts- Einfahrt und/oder Ausfahrt, sodass wir schnell Spaß daran gewinnen, die Uniformierten zu grüssen (selbstverständlich bei gedrosseltem Tempo). Unterhaltsam ist auch die Sitte, die wenigen entgegenkommenden Motorradfahrer durch mehrfaches Hupen zu grüssen. Eine Angewohnheit, die wir bis heute nicht ganz ablegen können.
oben ohne” (Helm) Fotos haben wir natürlich nur abseits der öffentlichen Straßen geschossen
Kurz vor Constanța verirren wir uns (bzw. unser Garmin sich, da dessen Osteuropa-Abdeckung leider immer wieder mal enttäuscht) auf einen Schotterweg mitten in ein Zigeunerdorf, das uns eine ganz andere Welt zeigt. Völlig abgeschieden von den umliegenden Städten leben die Menschen hier in Lehmhütten mit zerzausten Schilfdächern unter erbärmlichen Umständen. So ungefähr hatten wir uns Bangladesh oder vielleicht Aserbaidschan, aber keinen Ferienort am schwarzen Meer vorgestellt. Es ist ein mulmiges Gefühl, auf unseren luxuriösen High-Tech Bikes da durch zu fahren. Aber, so leid sie uns tun, eine Möglichkeit den Menschen dort zu helfen haben wir nicht. Unterwegs klammern sich Zigeunerkinder an unsere Motorradkoffer und lassen sich nur durch Hupen vertreiben, als könnten wir sie aus ihren Slums herausziehen. Und tatsächlich befinden sich die Urlaubshotels am Mamaia-Beach nur wenige Kilometer entfernt. Die Fahrt weiter nach Tulcea, und schließlich per Schiff über das Donaudelta weiter an die nächste Grenze, ist eine Wohltat danach. Auf fantastischen Kurven, bergauf und bergab über griffigen Asphalt, sind unsere Bikes in ihrem Element und wir machen über 200 wunderbare Kilometer nur einmal Halt um zwei leckere Wassermelonen zu verschlingen.
Leckere Wassermelonen
Die nächste Grenze ist die zu Moldawien. Dort kommen wir bei Sonnenuntergang an. Von Moldawien durchfahren wir auf der Anreise jedoch nur den südlichsten Zipfel (in der Nähe von Cahul), um über die M15 nach Odessa in der Ukraine zu gelangen. Dennoch bekommen wir gleich einen guten Eindruck davon, was auf uns zukommt. Zum einen sind die Grenzformalitäten um ein Vielfaches komplizierter als in der EU, zum anderen ist es mit dem schönen Asphalt ab hier vorbei.
Letztlich sind die ganzen Formalitäten nur Schikanen und man schickt uns von einer Bude zur anderen, wo wir meist irgendeinen Zettel, den wir an der vorigen Bude erhalten haben, abstempeln lassen müssen, um ihn an der nächsten Bude wieder abzugeben.
Konstantin mit unseren Bikes vor dem Unabhängigkeitsmonument in Tulcea
Dazu wiederholt die bekannten Fragen nach Sprengkörpern, Rauschmitteln oder sonstigem Schmuggelgut in unseren Koffern, die wir, so albern sie uns scheinen, mit tiefem Ernst verneinen, da die schwer bewaffneten Grenzer kaum Sinn für Humor ausstrahlen. Nicht weniger schroff empfangen uns die "Straßen" der GUS, wenn man diese Kraterlandschaften so nennen kann. Somit kostet uns bereits die Zufahrt auf die M15 mehrere Stunden und wir fahren erst bei völliger Dunkelheit in die Ukraine ein.
Von der M15 versprechen wir uns, da sie ein Teil der Europastraße 94 ist, bessere Befahrbarkeit. Diese Hoffnung wird jedoch bereits auf den ersten Kilometern zerstört. Die letzten 200 Kilometer bis ans östlichste Ziel unserer Tour, Odessa, kosten uns schließlich die ganze Nacht. Davon diese Strecke im Dunkeln zu fahren können wir übrigens nur abraten, aber wir konnten es einfach nicht erwarten, endlich am Ziel anzukommen. Immerhin ist die Strecke atmosphärisch recht eindrucksvoll, da sie durch ein nicht zu enden wollendes Ödland verläuft und dabei das Gefühl einer Motorradfahrt über den Mond vermittelt. Ein wenig verminderte Schwerkraft käme uns auch ganz recht, denn gerade die B-King, mit dem schöneren flachen, aber im Vergleich zur Ducati leider auch kleinerem Tank, ist oft dem letzten Tropfen nahe, und Tankstellen sind hier sehr rar. Außerdem hat man uns vor den (zumindest etwas häufigern) namenlosen Zapfstationen so eindringlich gewarnt, dass wir unsere Maschinen ausschließlich mit Lukoil oder OMV verköstigen wollen. Von der Fahrt ab Constanța bis in die Ukraine, einschließlich der Fährfahrt über das Donau-Delta, gibt es übrigens auch ein → Video.
In Constanța mussten erstmal neue Reifen drauf
Bei Sonnenaufgang erreichen wir Odessa, auch Die Schöne am Meer genannt. Und dieser Name bezeichnet die legendäre Hafenstadt, die 1794 auf Geheiß der Zarin Katharina der Großen erbaut wurde, sehr treffend. Nach den endlosen Wastelands scheint es uns fast schon grotesk eine so prachtvolle Stadt zu erreichen. Umso mehr freuen wir uns auch noch schnell eine komfortable und bezahlbare Unterkunft, inklusive Frühstück, WiFi und bewachtem Parkplatz für unsere Moppeds, finden (Hotel Uliss). Insgesamt verweilen wir dort für vier Nächte und amüsieren uns die meiste Zeit über am nahe gelegenen Arcadia Beach.
Ducati und Suzuki auf dem bewachten Hotelparkplatz
Der schöne Strand wurde nach der gleichnamigen Landschaft im griechischen Peloponnes benannt. Die Säulenbauten sowie das nachgebildete Amphitheater und der nach Odysseus' mythischer Heimatinsel benannte Club Itaka vermitteln jede Menge griechisches Flair. Befeuert wird die Feierlaune noch durch eine echte Pyroshow, Konfettikanonen, Stroboskopgewitter und äußerst ansehnliche Gogos, die dort an Pole-Dancing Stangen und am benachbarten Ibiza-Beach Club z. T. auch in Käfigen ihre Reize zur Schau tragen (→ Video
Mittlerweile sprechen wir ein paar Brocken Russisch und nach vier Nächten Amusement in Arcadia sind wir bereit das bizarrste Ziel unserer Reise anzusteuern: Transnistrien - die Eingangs schon erwähnte, und offiziell gar nicht existierende, Separatistenrepublik.
Enspannte Fahrtpause am Strand
Da wir nicht in politischer Gefangenschaft landen wollen, hatten wir uns vorab gründlich über die Region informiert. Allerdings wird man zu dem Thema kaum fündig, wenn man in der Reiseliteraturabteilung der nächsten Buchhandlung unter T nachsieht.
Unterwegs von der Ukraine in die PMR
Stattdessen hatten wir uns an der Universität erkundigt, und zwar an der kulturwissenschaftlichen Fakultät. Dort erhielten wir die Kontaktdaten der Europäischen Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) in Tiraspol (der "Hauptstadt" Transnistriens), sowie die Telefonnummer eines Ansprechpartners vor Ort mit dem wir noch vor der Abreise vereinbarten, seine Übersetzerdienste und eine private Unterkunft bei seiner Familie, in Anspruch zu nehmen. Der Professor, offensichtlich ein Osteuropa-Kenner, empfahl uns weiterhin die leckeren Cognacs von KVINT und einen sicheren Parkplatz (am Staatsministerium). Mit diesen Notizen in der Tasche fühlen wir uns bestens ausgerüstet, um die Grenze zu passieren (Wir haben auch ein → Video von der Fahrt von Odessa zum Strand).
Ein kleines Bierchen zwischendurch

Die Uno wünscht uns ”viel Glück
Auf der Ukrainischen Seite der Grenze haben wir vollen Empfang auf unseren Handys (und selbst in Tiraspol immer ein- bis zwei Balken). Berichte, denen zufolge man für Transnistrien Telefone Nordkoreanischer Provider braucht, da die Besatzer das GSM-Netz stören (→ lehermayr.com) können wir somit nicht bestätigen.
Unsere Reise bot uns nicht nur Herausforderungen sondern auch jede Menge Fahrspaß
Wir rufen noch aus der Ukraine unseren Kontaktmann an und verabreden uns am Transnistrischen Grenzerhäuschen. Kurz vor den üblichen Stempel-Schikanen hält uns noch ein Blauhelm-Trupp auf. Der Soldat, der uns anspricht hat die deutsche Flagge neben seinem Namensschild ("B. Müller") aufgenäht und informiert uns über Verhaltensregeln auf der anderen Seite der Grenze: "Wenn da drüben uniformierte Geld von Euch wollen, ist es am besten zu bezahlen". "Aha" - mit der Transnistrischen Miliz zu debattieren haben wir ja auch nicht vor, aber wir fragen doch nach, ob man uns dort nicht gleich unsere schönen Moppeds abnehmen wird. "Nein, Nein, so schlimm ist es dort auch nicht", antwortet uns Kommandant Müller und schmunzelt, "aber dubiose Sondersteuern kassieren sie gerne". Der Kontrollposten hat, unserem Anschein nach, vor allem den Zweck, zu verhindern, dass jemand "aus Versehen" nach Transnistrien einreist. Schließlich ist das "Land" und seine Grenzen in keiner gängigen Karte verzeichnet. Google-Maps und die üblichen Navigationssystem (einschließlich unser Garmin) lotsen jeden, der von Odessa nach Chişinău fährt da durch und die meisten Europäer haben noch nie von Transnistrien gehört. Wir klären den UN-Soldaten auf, dass wir uns Transnistrien bewusst als Reiseziel ausgesucht haben, woraufhin er uns noch einen respektvollen Blick schenkt und uns "viel Glück" wünscht, bevor er uns durchfahren lässt.
Anstelle blauer Helme tragen die transnistrischen Grenzer, die uns hinter einer etwas provisorisch mit Stacheldraht abgesicherten Zufahrt empfangen, Kalaschnikows. Bereits in der Warteschlange vor dem Grenzerhäuschen werden alle Fahrzeuge inspiziert und als ein Soldat vor unseren Bikes steht, schnauzt er uns an: "Give Passport!".
Da wir befürchten, dass wir unsere Pässe nur gegen eine "Gebühr" zurück bekämen, falls wir sie schon vor dem Passieren des Häuschens herausgäben, verweigern wir jedoch die Aufforderung und beharren darauf zunächt das Eintreffen unseres Übersetzers abzuwarten. Der kommt glücklicherweise wenige Minuten später und kann den Grenzer gerade noch beruhigen, nachdem unser Eintreffen auf nicht gerade alltäglichen Fahrzeugen schon drohte Tumulte auszulösen. Auf russisch erzählt er, wie er uns später erklärt, ein Märchen, denn man muss tatsächlich einen Grund für die Einreise angeben. Folglich sind wir ab sofort alte Freunde, kennen uns aus der Zeit unseres Studiums, und werden bei seiner Familie wohnen (was für die darauffolgende Nacht sogar zutraf).

Gehsteigparken war bei dieser Breite auch nebeneinander kein Problem
Bereits bei der Einreise eine Aufenthaltsadresse zu kennen, ist übrigens sehr hilfreich, denn diese ist in jedem der zahlreichen Einreiseformulare anzugeben, und was Formularkram angeht, sind die ehemaligen Sowjets sehr penibel. Ist nicht alles ausgefüllt, gibt's keinen Stempel und fehlt der Stempel, geht's nicht weiter. An der transnistrischen Grenze ist jedes Formular zudem mehrfach auszufüllen (mit Fotokopien läuft hier nichts), weshalb uns der Übergang, trotz Übersetzer, der zwischen uns und den Grenzern vermittelt, einige Stunden kostet. Am Ende mussten wir aber nicht mal "Sondersteuern" zahlen, sondern nur etwas Mühe und Zeit investieren.
Konstantin Vor der Flagge Transnistriens
Unsere Bemühungen haben sich allerdings gelohnt, denn das Land ist sehr sehenswert. Anstelle der heruntergekommenen Siedlungen Moldawiens finden wir im Zwergstaat Transnistrien geradezu perfekt asphaltierte Straßen und keine Spur von Armut und Bettelei (die dort offensichtlich verboten ist).
Panzer als Freiheitssymbol
 
Zwergenhaft wirken hier auch die vielen Soldaten, die im Gleichschritt mit ihren etwas albernen Phrygermützen von Stützpunkt zu Stützpunkt marschieren. Im Landesinneren tragen die Truppen auch keine Kalaschnikows mehr. An ihren Gurten hängen lediglich kleine Wasserflaschen, sodass sie eher den Eindruck einer Pfadfindergruppe erwecken und wir das Gefühl nicht los werden, nach Schlumpfhausen geraten zu sein.
Dass es sich hier tatsächlich um einen verwunschenen Ort handelt bestätigen die krassen Gegensätze: Anstelle der üblichen Plakatwerbungen finden sich am Straßenrand ausschließlich völlig überdimensionierte Transparente, die allesamt ähnliche Botschaften vermitteln. Die allgegenwärtige Hammer-und-Sichel-Symbolik bekundet die Nähe zur ehemaligen Sowjetunion; eine Leninstatue verkörpert den Glauben an die sozialistische Ideologie und Bilder von Staatsoberhaupt Smirnoff verdeutlichen dessen uneingeschränkte Autorität, wie das Bild desselben (vor dem Regierungsgebäude) beim Handschlag mit Medwedjew seine Bindung zum Kreml außer Zweifel stellt. An diesem Landstrich sind Glasnost und Perestroika komplett vorbei gegangen. Und das befremdlichste daran ist: Die Utopie einer kommunistischen Ordnung scheint hier sogar irgendwie zu funktionieren. Berichten der internationalen Zollfahndung zufolge (vgl. "Transnistriens unstillbarer Appetit" → FAZ, 16.08.2011) geht es dabei aber nicht ganz mit rechten Dingen zu: Riesige Mengen an (legalen und illegalen) Rauschmitteln und Lebensmitteln "verschwinden" an den undurchsichtigen Grenzen auf wundersame Weise, was den Rückschluß zulässt, dass dort Schmuggelei im großen Stil betrieben wird. Mit der Rückendeckung aus Russland ist das ein lukratives Geschäft, und es ermöglicht der Bevölkerung, trotz sozialistischer Gleichmacherei, einen gewissen Wohlstand. Die Anschuldigung, Smirnoff führe eine Gangsterrepublik, kommt also nicht ganz von ungefähr.

Fortsetzung folgt
Lenin Statue in Tiraspol

Text: Jan Dünnweber und Konstantin Kirsch
Fotos:Jan Dünnweber und Konstantin Kirsch

Autor

Bericht vom 09.12.2011 | 7.411 Aufrufe

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