1000 km Rennen mit der Harley-Davidson Pan America 1250 ST
Kann das eine Harley überhaupt?
Die neue Harley-Davidson Pan America 1250 ST - 1000 Kilometer Wahnsinn auf Renn-Asphalt und die Frage: Kann das eine Harley überhaupt?
Wenn man Harley-Davidson hört, dann denkt man automatisch an Sonnenuntergänge auf staubigen Highways, an breite Lenkstangen, entspannte V-Twin-Vibrationen und cruisende Chopper. Bis zu jenem Tag, als ich in der Boxengasse des Hockenheimrings stand, eine Pan America 1250 vor mir - und das Ziel klar war: 1000 Kilometer Vollgas, auf einer Rennstrecke, ohne Netz und doppelten Boden. Die passende Veranstaltung dazu lieferte die deutsche Langstreckenmeisterschaft mit ihrem Auftaktrennen in Hockenheim. Das bereits zur Tradition gewordene Langstreckenrennen ist dank des jahrzehntelangen Bestehens bereits eine feste Größe im deutschen Rennkalender. Jedes Jahr wird hier bereits im April nicht nur gegen Konkurrenten, sondern meist auch gegen Wind und Wetter gekämpft. Das Gebiet um Hockenheim ist gerade am Jahresanfang nicht unbedingt ein Garant für gutes Outdoor-Wetter. Und so haben die Veranstaltungen eigentlich schon alle Wettererscheinungen bis hin zum Schneefall gesehen. Dieses Jahr war aber das Timing ausgezeichnet und die noch am Vortag durchgezogene Kaltfront mit viel Regen verabschiedete sich zeitgerecht und hinterließ für den Renntag feinstes Frühsommerwetter.
Eine Harley auf der Rennstrecke. 1000 Kilometer. Ohne Schonung.
Es war eine Szene wie aus einem alternativen Motorraduniversum: Inmitten von Hightech-Superbikes, die mit Slicks und Winglets lauerten, rollten wir unsere Adventure-Harley an den Start. Ein Moment zwischen purer Verrücktheit und stiller Ehrfurcht und etwas Nachdenklichkeit. Sollte uns das Teil wirklich mit Vollgas über 1000km weit bringen und als zuverlässiges Langstreckengerät dienen, hm?
Zunächst sollte man auch darüber sprechen, warum gerade die Pan America ST das Mittel zum Zweck sein sollte.
Der Blick über den Atlantik verrät es: In den USA boomt die Szene der Bagger- und Super Hooligan-Rennen. Männer, die mit riesigen aufgemotzten Harleys auf Rennstrecken gegeneinander kämpfen, während bei den Zusehern Burger und Freedom durch die Luft fliegen. Harley-Davidson wollte beweisen: Auch auf europäischem Boden haben ihre Maschinen das Zeug, alles bisher Gedachte über den Haufen zu werfen. Und mit der neuen Ausbaustufe der Pan America ST hatte sich auch schon ein passender Bewerber gemeldet.
Die Pan America 1250 ist Harleys erster Adventure-Tourer - und was für einer:
Ein flüssiggekühlter V2 mit 152 PS. Adaptive Fahrwerke. Vollwertige Offroad- und Onroad-Modi. Ab 2025 in der ST-Ausführung mit 17-Zoll-Räder vorne wie hinten noch mehr auf Asphalt getrimmt, nahm Harley Deutschland zum Anlass dies auch unter Beweis zu stellen.
Kurzum: Ein Bike, das seine Wurzeln zwar im Abenteuer hat, aber nie verleugnet hat, dass Asphalt ein schöner Spielplatz sein kann.
Somit war auch die Idee geboren: Keine Spezialumbauten, kein Racing-Kit, ein Serienmotorrad, 1000 Kilometer und Rennpiste.
Produkttipps
Ein Härtetest ohne Ausreden.
Vorbereitung - das Setup für das Unmögliche
An meiner Seite: Andrè, seines Zeichen Harley-Davidson Außendienstler, Motorsportfanatiker und Mann fürs Grobe. Gemeinsam definierten wir unser Renn-Setup:
- Fahrwerk: Umgebaut auf Wilbers-Komponenten, vorne wie hinten, für strafferen Rennbetrieb.
- Fußrasten: Schmäler jede Schräglage zählt, jeder Millimeter Freiheit wurde gefeiert.
- Reifen: Metzeler Slicks K1 vorne und K2 hinten im Qualifying. Für die Renndistanz dann Metzeler K3 Grip und Haltbarkeit.
- Auspuff: Spezieller, renntauglicher Prototyp von Jekill & Hyde, der trotz Racing-Power die 98-dB-Schallgrenze respektierte.
- Tankverschluss: Modifikation für blitzschnelle Pitstops.
Was blieb? Alles Wesentliche serienmäßig:
Der Motor - unangetastet.
Die Bremsanlage - serienmäßige Brembo Monoblock-Zangen.
Das ABS - ab Werk, ohne Eingriffe.
Nur ein Ziel: Maximale Authentizität. Maximale Härte.
Der erste Schlagabtausch
Nach der ersten Stunde auf der Strecke war schnell klar: Das hier wird kein Spaziergang. Slicks auf kaltem Asphalt bei 8 Grad. Ein Speed-Limiter, der uns bei ca. 230 km/h auf der Parabolika gnadenlos stoppte. Ein Fahrwerk, das im Grundsetup vorne zu wenig und hinten zu viel Federweg nutzte und ein ABS das sehr auf der sicheren Seite arbeitete um ein Ausbrechen des Fahrzeuges immer zu verhindern. Wir versuchten die noch übrige Zeit bis zum Rennen dazu zu nutzen, diese Mankos noch beheben zu können. Teilweise gelang uns das auch, besonders beim Fahrwerk. Mit wenigen Änderungen arbeitete das Fahrwerk deutlich besser und ermöglichte somit auch eine flottere Gangart. Den Speed Limiter und das übervorsichtige ABS konnten wir in der kurzen Zeit leider nicht austrixen.
Trotzdem gelang uns aber mit etwas Reifenroulette ein respektabler 18. Platz von insgesamt 34 Teams, die aber Großteils mit gut aufgebauten Superbike bzw. Supersport Bikes an den Start gingen. Das bedeutete, in einer offenen Klasse, gegen Superbikes mit 70 PS mehr und 70 Kilo weniger auf den Rippen.
Le Mans-Start – Adrenalin pur im Fahrerlager
Der Langstrecken-Tradition folgend wurde mittels Le-Mans-Start das Rennen begonnen. Schon die erste Hürde, die gesamte Masse aus der Startposition in Fahrtrichtung zu bekommen. Der Start klappte gut, und ich konnte das Motorrad nach dem ersten Stint an meinen Teamkollegen Markus Barth auf einem soliden Platz 17 übergeben. Markus, ein ehemaliger IDM Kollege und erfahrener Racer alter Schule, machte ebenfalls einen guten Job und übernahm die Pan America für die nächsten 45 Minuten. So überstanden wir Runde um Runde und die Harley überzeugte mit ihrem Durchhaltevermögen in unserem überdurchschnittlichen Stresstest.
Technik im Stresstest - Die Pan America zeigt Zähne
Die wichtigsten Eindrücke:
- Bremsen: Die serienmäßigen Brembo-Monoblocks lieferten eine herausragende Performance. Auch nach vielen harten Runden kein Fading, kein Nachlassen - glasklarer Druckpunkt bis in die letzte Runde.
- Motor: Der Revolution Max V2 brüllte förmlich vor Energie. Trotz Serienzustand hielt er die Leistung konstant abrufbar, ohne Zicken, ohne Einbruch - eine beeindruckende Demonstration von Standfestigkeit und Thermomanagement, obwohl wir ihn permanent am Drehzahllimit fuhren.
- Fahrwerk: Die Wilbers-Komponenten arbeiteten nach der Optimierung wie ein Schweizer Uhrwerk. Aufgrund der kurzen zeitlichen Möglichkeiten noch nicht ganz auf Racing getrimmt, aber dennoch präzise und vertrauenserweckend.
- Reifen: Metzeler hatte mit dem K1 vorne und dem K3 hinten eine gute Wahl getroffen. Der Grip hielt auch unter Rennhärte erstaunlich lange, das Feedback über Vorder- und Hinterrad blieb auch nach vielen Runden sauber.
Elektronik - Fluch und Segen
Das größte Handicap war wie schon nach dem Zeittraining befürchtet, die Elektronik.
- Der Speed-Limiter bei 230 km/h kostete uns auf der langen Parabolika wertvolle Sekunden. Während Superbikes durchzogen, prallte die Pan America ST gegen eine unsichtbare Wand. Die Leistung hätte locker für deutlich mehr Topspeed gereicht.
- Auch das ABS zeigte seine Schattenseite: Es war für Sicherheitsreserven auf der Straße konzipiert, nicht für aggressives Rennbremsen. Oft griff es zu früh ein, verlängerte die Bremswege minimal, aber merkbar - Sekunden, die man im Rennen nicht zurückgewinnt.
Auch wenn diese Einschränkungen auf der Rennstrecke sich deutlich bemerkbar machten, sind diese für den normalen Straßeneinsatz zu relativieren. Zum Einen wird man damit wohl kaum über 230 km/h "dahin cruisen" und zum anderen werden sich die meisten Fahrer wohl über viel Stabilität bei starken Bremsmanövern durch das konservative ABS freuen.
Trotzdem wurde aber das oberste Ziel nicht aus den Augen gelassen, nämlich das Ziel zu erreichen und durchzuhalten. Nachdem auch genug Zeit war sich auf diese leichten Einschränkungen einstellen zu können, konnte man schlussendlich das Fahrzeug sicher und schnell bewegen. Man gewöhnt sich daran, dass das Limit bei Topspeed schnell erreicht war, passte die Bremspunkte an, bremste weniger aggressiv, ließ das Motorrad mehr laufen, setzte auf sauberes, rundes Fahren anstatt auf brutales Racing. Selbst das hohe Gewicht fällt dabei nicht so grob auf wie man das eventuell vermuten würde. Dank der sehr agilen Fahrwerksgeometrie lassen sich die gut 246 kg recht einfach in Schräglage bringen und auch auf Kurs halten. Trotz mancher Einschränkungen hatten wir aber beim Fahrkomfort eindeutig die Nase vorne. Mit sehr entspannter Sitzposition und guten Windschutz, ließen sich die 6h deutlich angenehmer abspulen als auf einem aggressiven Supersportler.
Die Messlatte - auch BMW war mit der 1300GS am Start
Ein ganz besonderer Benchmark war für uns die BMW R 1300 GS, die ebenfalls am Start war. Und das aus gutem Grund, ist sie doch die Ikone der Adventure-Szene, überlegen auf Reisen, überlegen im Gelände - und vermutlich auch überlegen auf der Rennstrecke? Zumindest hat die Vergangenheit schon oft gezeigt, dass man mit einer GS in Verbindung mit einem guten Fahrer sehr flott auf der Rennstrecke sein kann. Umso mehr hat uns die Tatsache gefreut, dass wir mit der Harley um 3 Sekunden pro Runde schneller waren. Selbst auf die schnellsten Superbikes fehlten "nur" 9 Sekunden. Ein Wert der unter Berücksichtigung der Einschränkungen recht beachtlich ist.
Aber nicht nur die Performance überzeugte sondern auch die Standfestigkeit, für die Harley besonders in der Anfangszeiten nicht unbedingt bekannt war. Sie hielt über die gesamte Distanz - in unserem Fall 180 Runden im Rennmodus. Nicht wirklich selbstverständlich, denn selbst dafür gebaute Supersportler mussten während der Tortour aufgrund technischer Probleme in die Box. Selbst die Verschleißteile zeigten sich von der standfesten Sorte. Trotz Serienbremsanlage mussten wir nicht einmal die Bremsbeläge wechseln. Bis auf Tanken und Reifenwechsel mussten von der Boxencrew also keine zusätzlichen Tätigkeiten erledigt werden.
Gerade bei den Metzeler Reifen gab es eine große Überraschung. Im Training noch auf K1 vorne und K2 hinten unterwegs und im Rennen dann auf K3 gewechselt, zeigten auch die Reifen Standfestigkeit. Trotz des hohen Fahrzeuggewichtes hielten die Reifen erstaunlich lange die Performance und wir tauschten eher aus Sicherheitsgründen die Reifen einmal öfters als eigentlich notwendig gewesen wäre. Auch das Abriebbild war tadellos und bestätigte das gute Arbeiten des Reifens.
Ziel erreicht - 180 Runden
Nach ca. 6h sah die Pan America tatsächlich die Zielflagge und verwunderte damit wahrscheinlich nicht nur die Nachbarsbox. 180 Runden stand unter dem Strich auf der Uhr und der 4. Platz in der Endurance Wertung, bei der man nur mit einem Motorrad die gesamte Distanz fahren muss. Gratulation an André und sein Team sowie natürlich an Harley Davidson, die mit ihrer neuen Pan America ST eine gute Grundlage dafür geliefert haben.
Was bleibt - Ein neuer Blick auf Harley-Davidson
Gerade in Europa ist Harley eigentlich ein Synonym für Easyrider Feeling und Chopper in Reinkultur. Nach diesem Auftritt verschiebt sich das Bild aber ein wenig. Das in den USA bereits sehr beliebte Bagger Race mit vielen prominenten Fahrern und einer mittlerweile großen Strahlkraft, wirft seine Schatten schön langsam aber sicher auch über den großen Teich bis zu uns. Dank des Engagements von Harley Deutschland, allen voran André Jäger, zeigt die Marke nun auch inmitten Europas Sportsgeist und zeigt uns, dass man selbst auf abgesperrten Rennstrecken nicht mehr die Augen vor Harley Davidson verschließen kann. Mit viel Enthusiasmus und Einsatz lieferten André und sein Team eine großartige Performance ab und halfen dabei wesentlich, diesen Härtetest ohne gröbere Hindernisse überstanden zu haben. Ob sich auch in unseren Gefilden eine Rennszene rund um Bagger Racing und Harley Davidson etablieren wird bleibt abzuwarten. Eine Bereicherung wäre es aber allemal und der Erfolg beim DLC 1000km Hockenheim legen schon den ersten Stein in diese Richtung. Für Spannung ist also gesorgt.
Bericht vom 30.04.2025 | 3.441 Aufrufe