Zero SR/S Test - Elektro-Sporttourer 2022 in der Praxis

Mehr als nur fulminante Beschleunigung?

Das Thema Elektroantrieb ist mittlerweile im Portfolio vieler Hersteller angekommen. Eine Vorreiterrolle nimmt dabei die US-amerikanische Marke Zero ein. So verwundert es wenig, dass es hier in Gegensatz zur Konkurrenz bereits einen Sporttourer im Programm gibt. Zeit für einen ausgiebigen Test!

Praxistest der Zero SR/S im Rahmen der MotoCon: Stadt, Landstraße, Autobahn

Normalerweise begnügen wir uns bei der MotoCon mit einer statischen Präsentation der Bikes und geben euch zwar in die Tiefe gehende Informationen, aber müssen die Fahreindrücke außen vor lassen. Doch dieses Mal ist es anders! Für ganze drei Wochen stellen die Zweiradhelden in Wien eine Zero SR/S zur Verfügung, so lasse ich es mir natürlich nicht nehmen ein paar Mal damit auszufahren und euch vom Erlebten zu berichten. Praxistest bedeutet in meinem Fall: Ein nicht unerheblicher Stadtanteil, flotte Feierabendrunden rund um Wien und hin und wieder rund 50 km großteils Autobahn, um ins Büro nach Wr. Neustadt zu pendeln.

Passende Ergonomie und intuitive Bedienung

Dass Zero im E-Motorradsektor ein alter Hase im positiven Sinn ist, merkt man gleich beim Aufsteigen und Schlüsseldrehen. Alles hat Hand und Fuß, die Ergonomie ist einem Sporttourer angemessen. Mit meinen 1,87 Metern finde ich gut Platz, Schalter und Hebel sind genau dort platziert, wo ich sie blind verorten würde. Der Kniewinkel ist nicht zu spitz und man ist nicht allzu sehr über den Tank gespannt, da der gerade Lenker (keine Stummel!) etwas in Richtung Fahrer gekröpft ist.

Die Bedienung der TFT-Einheit im Armaturenbrett gelingt auch rasch und gibt keine allzu großen Rätsel auf. Die Darstellung des Bildes ist gut und scharf, wie man es mittlerweile gewohnt ist, die wichtigsten Informationen sind gut im Blick, auch wenn die Schriftgröße etwas größer ausfallen dürfte. Ein kleiner Schönheitsfehler ist, dass man den frei konfigurierbaren Modus nicht direkt am Motorrad einstellen kann, sondern für diese Funktion auf eine aufrechte Verbindung mit der Zeromotorcycles App bestehen muss. Für detaillierte Ausführungen zur App verweise ich auf den Bericht zum nackten Schwestermodell der SR/S, der SR/F die der Horvath ausgiebig in Barcelona getestet hat.

Große Einstellmöglichkeiten und coole Features serienmäßig auf der Zero SR/S

Die Zero SR/S wartet mit einem hohen Grad an Individualisierungsmöglichkeiten auf. Neben den Spielereien im Cockpit mit verschiedenen Farben und Darstellungsvarianten, lässt sich die Traktionskontrolle auch in jedem der Standard-Fahrmodi - Sport, Rain, Standard, Eco in drei Stufen anpassen. Für die besonders mutigen unter euch lässt sie sich auch deaktivieren, dann quälen die 190 Nm Maximaldrehmoment über den Riemenantrieb den Hinterreifen. Auch das ABS lässt sich deaktivieren. Mangels verbauter IMU arbeiten beide Systeme jedoch nicht schräglagenabhängig. Dreistufig einstellbare Heizgriffe (gegen Aufpreis) und ein Tempomat (serienmäßig) komplettieren die beachtliche Ausstattung.

Fahrwerk, Bremsen, Reifen - Zero ist angekommen

Volle Einstellbarkeit kann sich auch das Fahrwerk an die Brust heften. Während Zero in den Anfängen bei den Komponenten notgedrungener Weise den Sparstift ansetzen musste, um den Endpreis der Modelle halbwegs sozialverträglich zu gestalten, wird mittlerweile auf hochwertige Komponenten aus dem Hause Showa gesetzt. Hier geht einem nichts ab. Die Federwege von 120 mm vorne und 140 mm hinten entsprechen dem Klassenschnitt.

Bei den Bremsen verrichten 320 mm Doppelscheiben vorne mit Vierkolben-Bremssätteln und eine 240 mm Einzelscheibe hinten der Brembotochter J.J. Juan zufriedenstellend den Dienst. Das ist insofern beachtlich, da die SR/S mit verbautem Schnellladegerät satte 249 kg auf unsere 1000PS Waage drückt, von der Herstellerangabe ist man also ganze 20 kg entfernt. Die Reifenwahl - Pirelli Diabolo Rosso III - unterstreichen den sportlichen Anspruch der Zero SR/S.

Zero SR/S Landstraße
Dynamisch kann sie die Zero SR/S

Ausgereifte Technik im Antrieb

Eines hat sich im letzten Jahrzehnt nicht geändert: Das Beschleunigungserlebnis auf einem Elektromotorrad ist immer noch unvergleichlich. Ich rate jedem noch so erbitterten Skeptiker allein aus diesem Grund zumindest einmal den Ritt auf so einer Kanonenkugel zu versuchen. In unserem Testfahrzeug, das aus Verfügbarkeitsgründen noch ein 2021er Modell war, ist ein 14,4 kWh starker Akku verbaut, ab dem Modelljahr 2022 wird dieser nur noch im Basismodell SR verbaut sein. In der SR/S kommt ein 15,6 kWh leistendes Kraftzentrum zum Einsatz. Auf die gesamte Antriebseinheit gibt Zero übrigens 5 Jahre Garantie. Konkret wird dabei garantiert, dass der Akku nach 5 Jahren noch mindestens 80% seiner Leistungsfähigkeit beibehält.

Das großartige am E-Antrieb ist die absolut lineare Leistungsentfaltung. In Ermangelung eines herkömmlichen Getriebe entfallen die Gangwechsel und on top gibt es mehr als genug Kraft in jeder (Drehzahl-)Lebenslage. Die volle Leistung wird nur im Sportmodus oder im frei konfigurierbaren Modus freigegeben. Zu guter Letzt ist der E-Motor mit 110 PS Maximalleistung und einer Dauerleistung von 54 PS eine wahre Augenweide.

Zero SR/S Motor
Der E-Motor mit 110 PS Maximalleistung ist eine wahre Augenweide.

Verarbeitung und Haptik Zero SR/S 2022

Auch im Bereich des Neudeutsch look&feel hat Zero große Schritte nach vorne gemacht. Die Verarbeitung wirkt großteils hochwertig und die Bauteile fühlen sich wertig an. Wer ganz genau schaut, wird jedoch entdecken, dass doch hie und da gespart wurde. Die Fußrastenanlage würde man etwa eher an einem 10.000, als an einem 20.000 Euro vermuten und die Blinker, die in herkömmlicher Bauweise ausgeführt sind wollen nicht so recht zur futuristischen Optik passen. Nichtsdestotrotz fühlt man sich im Sattel der SR/S wohl.

Reichweite Zero SR/S im Alltag

Das Wort Reichweitenangst entstand in den 90ern mit dem ersten Aufkommen der Elektroautos und definiert sich wie folgt: Die Angst, dass die Reichweite eines Elektrofahrzeugs zur Beendigung vieler Fahrten nicht ausreichend sein könnte und dadurch häufig zeitraubende Nachladevorgänge benötigt werden oder man gar wegen fehlender Ladeinfrastruktur mit leerer Antriebsbatterie liegenbleiben könnte.

Um die erste Sorge gleich einmal zu nehmen: Die Zero SR/S hat für die allermeisten Fahrten eine ausreichende Reichweite. Wie hoch diese Reichweite genau ist, kommt sehr stark auf die Fahrweise an. Dabei ist es im Stadtverkehr grundsätzlich so, dass man deutlich effizienter unterwegs ist als ein Verbrenner, Reichweiten deutlich jenseits der 200 km sind hier kein Problem. Bei der Landstraßenhatz reicht eine Ladung, je nach Außentemperatur, Beladungszustand, Modus und Fahrweise für 140 bis 180 km. Autobahnheizen ist der Tod für die Reichweite, schließlich steigt der Luftwiderstand exponentiell mit der Geschwindigkeit. Bei einem Tempo von 143 km/h - das ist die höchste Geschwindigkeit, die der Tempomat als Einstellung zulässt - kann man der Reichweitenanzeige beim Abnehmen zusehen - Faustregel hier lautet 1 km = 1% was zu einer Reichweite von 100 km führt. Nimmt man sich etwas zurück und setzt den Tempomat auf 120 km/h sind 150 km kein Problem. Anmerkung: Ich hatte das 2021er Modell im Test, beim 2022er Model mit dem 15,6 kWh Akku werden alle angegeben Werte werden etwas steigen, da sich die Akkukapazität um 10% erhöht.

Ladepunkte für Zero SR/S

Die Zero nutzt den Typ 2 Stecker und mit dem (optionalen) Schnellladegerät, dass leider das praktische Fach unter der Tankattrappe verkleinert, lässt sich ein leerer Akku an einem der über 14.000 Ladepunkte in Österreich in etwas über einer Stunde aufladen. Ein Wermutstropfen ist, dass man das Kabel dafür in der Regel selbst mitbringen muss. Dennoch gilt: Mittlerweile ist es, sofern man in einer Gegend mit gut ausgebauten Infrastruktur (z.B. Wien) lebt, kein Problem mehr ein Bike mit E-Antrieb zu fahren, auch wenn man privat keine Möglichkeit hat das Elektromotorrad an einer Steckdose bzw. Wallbox zu laden. Somit wäre auch die zweite Sorge relativiert. E-Motorradfahren hat also Vor- und Nachteile und ist immer noch ein kleines Abenteuer. Eine Tour will etwas vorsichtiger geplant sein und das Fahren erfolgt bewusster.

Typ 2 Stecker laden Zero
Mit dem Schnell-Ladegerät ist der Akku in rund 1 Stunde wieder voll

Reisetauglichkeit der Zero

Nicht erst mit den im Zubehör erhältlichen Seitenkoffern wird die Zero SR/S zum reisetauglichen Motorrad. Der Windschutz ist ausreichend, untenrum etwas besser als oben. Auch der Sozius findet auf der SR/S gut Platz, der Sitzpolster ist ausreichend dimensioniert, der Kniewinkel klassentypisch sportlich aber nicht unbequem. Die fehlenden Schaltvorgänge ermöglichen ruckfreies Fahren und das kommt dem Komfort in Reihe 2 natürlich zu Gute. Tempomat und Heizgriffe sind ebenfalls nützlich und mit an Board.

Preis Zero SR/S

Der Einstandspreis für die Zero SR/S liegt in allen deutschsprachigen Märkten bei ca. 20.000 Euro. Zubehör und über die App freischaltbare Features können den Preis dann noch deutlich in die Höhe treiben. Genaue Preise und alle Angebote für die Zero SR/S findet ihr natürlich am Marktplatz.

Fazit: Zero SR/S 2022

Die Zero SR/S ist eine spannende Alternative am Sporttourermarkt für all jene, die Begeisterung für neue Technologien haben. In der Praxis genießt man die unfassbare Beschleunigung und das mühelose Fahren mit der SR/S. Wer weitere Touren fahren will sollte den Routenverlauf gut planen und hohe Dauergeschwindigkeiten meiden. Dann steht langfristigem Spaß nichts im Wege.


  • irre Beschleunigung
  • viele Setup-Möglichkeiten
  • Fahrwerk voll einstellbar
  • Verarbeitung teils unter dem Niveau, das man für den Preis erwarten würde
  • Reichweite bei Autobahntempo begrenzt
  • Gewicht relativ hoch

Bericht vom 17.04.2022 | 24.681 Aufrufe