Test Zero Motorcycles DSR/X

Zero zeigt seine erste vollelektrische Reiseenduro

Die erste vollelektrische Reiseenduro aus dem Hause Zero zeigt, welch unglaubliches Potenzial in E-Motorrädern schlummert.

Wer abseits des Mainstreams nach Motorrädern sucht, wird Zero sicher schon kennen. Der kalifornische Motorradhersteller baut ausschließlich reine Elektromotorräder und hat mittlerweile eine breite Modellpalette im Angebot. Nun wird diese um die neue Zero DSR/X erweitert. Eine reinrassige Reiseenduro - nur eben vollelektrisch. Bei der Weltpremiere auf Sizilien konnten wir einen ersten Fahreindruck gewinnen und sind der Meinung: Das Motorrad könnte der zweirädrige E-Gamechanger sein.

Die neue Zero DSX/R
Die reinrassige E-Reiseenduro von Zero hat großes Potenzial

Was bedeutet DSR/X eigentlich?

Die Modellbezeichnungen bei Zero sind typischerweise verschiedene Buchstabenkombinationen, die einem beim Moderieren vor Herausforderungen stellen. Die Abkürzung steht für Dual Sport, das R steht für die hauseigenen Performancemodelle und das X soll die Geländetauglichkeit betonen. Denn diese Zero soll wirklich beides können: Straße und Offroad. Dafür hat man bei Zero keine Kosten und Mühen gescheut und das Motorrad komplett neu entwickelt. Hauptrahmen, Heckrahmen, Schwinge, Fahrwerk, Räder, Motor und Batterie, Verkleidungsteile - alles neu. Das Ziel ist klar: Auch die BMW GS-, KTM Adventure- und Triumph Tiger-Fahrer davon zu überzeugen, dass ein E-Motorrad anno 2022 eine echte Alternative sein kann. Und was wir vorab verraten können: Das Motorrad fährt sich ausgezeichnet.

Zero DSR/X - King of Bergstraßerl

Bei E-Motorrädern neigt man dazu Motor und Batterie in den Fokus zu stellen. In diesem Fall möchten wir aber zuerst das famose Handling der neuen Zero DSR/X ansprechen. Weil der Autor dieser Zeilen glaubt, dass das überzeugender ist als die Frage, ob es einen E- oder Verbrennungsmotor hat. Mit 247 Kilogramm fahrfertig spielt die Zero DSR/X in genau der gleichen Liga wie ihre Verbrenner-Konkurrenz. Ein Vorteil, denn die Zero hat: Das Batteriepaket liegt tief im Motorrad integriert und sorgt damit für einen niedrigen Schwerpunkt, was dem Handling zuträglich ist. Die sehr angenehme, leicht aktive Sitzposition (Sitzhöhe: 828 mm) sorgt dafür, dass man als Fahrer über den breiten Lenker und die aufrechte Haltung mit wenig Kraft präzise Lenkimpulse setzen kann. Dadurch fällt die Zero DSR/X unglaublich leicht, transparent und neutral in Schräglage, ohne jemals nervös, kippelig oder stur zu wirken. Selbst Linienkorrekturen in höherer Schräglage sind jederzeit mit minimalen Impulsen zu vollziehen. Das Handling der Zero ist so einfach und narrensicher, dass man bereits nach wenigen Kurven eins mit dem Motorrad wird. Sie spendet sofort Vertrauen und man wird das Gefühl nicht los, bereits tausende Kilometer mit ihr absolviert zu haben. Daher verwundert es kaum, dass man bald mal mit den Zehnspitzen über den Asphalt rubbelt. Zum einen sitzen die Fußrasten eher tief, was einen sehr entspannten Kniewinkel zur Folge hat, aber ihre berechenbare Leichtfüßigkeit kaschiert nicht nur ihr Gewicht, sondern verleitet unaufgeregt zu höherer Schräglage. Zack, schon radiert die Sohle über den Asphalt und man malt unfreiwillig einen schwarzen Gummistrich - aber mit einem Lächeln im Gesicht und ohne Panik zu bekommen.

Der E-Kurvenräuber
Das tolle Handling der Zero DSR/X macht sie zum Kurvenräuber auf Bergstraßen

Zero DSR/X - Tolle Fahrbarkeit

Damit man keine schwarzen Gummistriche mit dem Hinterrad zieht, sorgt ein breites Arsenal an Fahrassistenzsystemen und vor allem die perfekte Gasabstimmung. Fünf Fahrmodi stehen zur Auswahl für den Straßenbetrieb, weitere fünf für den Offroadbereich. Wobei die Menüführung und das Wechseln der Modi nicht unbedingt intuitiv ausgelegt ist. Das mag auch an den spärlichen Knöpfen und Schaltern auf den Lenkerarmaturen liegen. Aber das sind Kleinigkeiten, denn wer möchte, kann auch alle relevanten Parameter bequem per App steuern. Aber darum soll es gar nicht gehen, vielmehr muss man die Zero- und Bosch-Ingenieure ein dickes Lob aussprechen, wie unglaublich fahrbar sie den extrem drehmomentstarken Motor (225 Newtonmeter, 100 PS Spitzenleistung) via Gashahn hinbekommen haben. Bosch deswegen, weil Zero alle Komponenten der Bosch Motorrad-Stabilitätskontrolle mit Offroad-Features in der DSR/X verbaut hat. Damit lässt sich der extrem bullig anschiebende E-Motor äußerst präzise, fein dosieren und trotzdem hat man in jeder Lebenslange mehr als genug Punsch im rechten Handgelenk zur Verfügung. Wer es übertreibt, der wird butterweich von der Traktionskontrolle eingefangen. In Verbindung mit dem neutralen Handling hat man die DSR/X also so leicht und sicher unter Kontrolle, dass es man schnell vergisst, welche schiere E-Kraft man unter sich bändigt.

Motor und Akku der Zero DSR/X
Mit 17,3 kWh hat die Zero eine große Batterie für realistische Reichweiten bis ca. 180 km pro Ladung.

Zero DSR/X Motor, Batterie, Ladezeiten

In der DSR/X kommt - laut Zero - ein komplett neuer Motor mit der Bezeichnung Z-Force 75-10X zum Einsatz, der in vielen verschiedenen Bereichen verbessert wurde. Typisch Zero, ist der Motor luftgekühlt. Ebenso wie die Batterie, das Herzstück eines jeden E-Fahrzeugs. Bei Zero heißt diese Z-Force Power Pack und hat eine Kapazität von 17,3 kWh. Damit ist es die größte Batterie, die Zero je in ein Serienfahrzeug integriert hat. Mit dem optionalen Power Tank (vermutlich ab Frühjahr 2023 erhältlich), kann man die Kapazität auf 20,9 Kilowattstunden erhöhen. Damit soll die Reichweite im Stadtverkehr auf 350 Kilometer ansteigen. Für Pendler könnte das im Alltag bedeuten: Laden nur einmal die Woche - oder sogar weniger. Die Ladegeschwindigkeit des DSR/X liegt bei 6,6 kW. Optional lässt sich diese mit einem Schnelllademodul auf 12 kW erhöhen. Laut Zero liegt die Ladezeit an der Haushaltssteckdose mit 230 Volt bei ca. 8-10 Stunden. Lädt man mit den serienmäßig möglichen 6,6 kW über einen Typ 2-Stecker, benötigt die Vollladung rund zwei Stunden. Mit der optionalen Schnellladung ist die serienmäßigen 17,3 kW-Batterie in etwas mehr als einer Stunde voll. Im Rahmen der Vorstellung konnten wir mit einem Journalistenkollegen sprechen, der privat eine Zero besitzt und uns anvertraut hat: Im Alltag ist die Ladegeschwindigkeit fast wichtiger als die maximale Kapazität. Vor allem dann, wenn wie in Österreich derzeit weit verbreitet, bei öffentlichen Ladestationen nicht nach getankter Strommenge sondern nach Zeit abgerechnet wird. Lädt das Motorrad langsam, kostet es mehr und man wartet länger. Je nach eigenem Fahrprofil und der Infrastruktur rundum, kann die Schnellladeoption sinnvoller sein, als eine größere Batteriekapazität. Beides zugleich schadet natürlich auch nicht.

Die Zero DSR/X kann auch Gatsch
Durch rund 200 mm Federweg vorne und hinten, kann die Zero auch leise durchs Gelände hoppeln.

Die Reichweite der Zero DSR/X

Dann sind wir schon bei des Pudels Kern: Wie steht es um die Reichweite der neuen Zero DSR/X? Ehrlicherweise war das bei Pressevorstellung so nicht herausfahrbar. Unsere Testroute war nur 92 Kilometer lang, in dieser Zeit haben wir laut Bordcomputer von der zu 110 Prozent geladenen Batterie exakt 55 Prozent der Ladung verfahren - also rund die Hälfte. Da wir überwiegend auf sehr kurvigen Landstraßen unterwegs waren und ein paar Offroadsektionen mit niedrigen Geschwindigkeiten meistern mussten, scheint eine Landstraßenreichweite von ca. 160-180 Kilometer bei normaler, leicht sportiver Fahrweise realistisch. Zero gibt folgende Werte an (mit der Serienkapazität von 17,3 kWh): Stadtverkehr 290 Kilometer, Autobahn 137 Kilometer, kombiniert 185 Kilometer. Wie kann ein Akku 110 Prozent geladen sein? Zero hat uns erklärt, dass man kurzzeitig Die Batterie mit diesem Lademodus auf sein Maximum pushen kann, deswegen werden 110 Prozent angegeben. Es wird aber nicht empfohlen die Batterie mit dieser extremen Vollladung länger stehen zu lassen, da es offensichtlich auf die Lebensdauer der Zellen gehen könnte. Wenn man aber weiß, dass am nächsten Tag eine längere Etappe ansteht, so kann man ab und an die Batterie mit etwas Extrakapazität versorgen. Eine genaue Zahl zur Zyklenfestigkeit mit dieser Lademethode konnten wir nicht in Erfahrung bringen.

Zero DSR/X Fahrwerk und Bremsen

Für mehr Offroadtauglichkeit hat man bei Zero vorne ein 19-Zoll Vorderrad verbaut, hinten kommt ein klassisches 17-Zoll-Rad zum Einsatz. Die Gabel stammt von Showa und ist voll verstellbar. Am Heck werkt ebenfalls ein Federbein von Showa inklusive hydraulischer Federvorspannung, um die Heckhöhe mit wenigen Handgriffen an Sozius- oder Gepäckbetrieb anzupassen. Bei der Bremshardware vertraut Zero auf Anker aus dem Hause J.Juan - einem spanischen Bremsenhersteller, der mittlerweile zum Brembo-Konzern gehört. Hier sei erwähnt, dass die Bremse nicht den typischen brembo-artigen scharfen ersten Biss aufweist, sondern im ersten Bremseingriff deutlich sanfter zupackt. Was sich im ersten Moment etwas stumpf anfühlt, lässt sich aber mit etwas mehr Bremsdruck sofort in Richtung Sportlichkeit dosieren. Die reine Verzögerung ist in jeder Lebenslange absolut ausreichend, um die DSR/X fein dosierbar zum Stehen zu bringen. Auch in Schräglage ist das Aufstellmoment beim Bremsen kaum vorhanden. Die Hinterradbremse verhielt sich bei unserem Testmotorrad unauffällig solide. Das Fahrwerk muss einen Kompromiss zwischen Geländegängigkeit und Straßenperformance meistern und hat uns positiv überrascht. Lediglich das etwas starke erste Einknicken beim Bremsen an der Front könnte dezenter ausfallen. Hier müsste man schauen, ob man mit einer strammeren Druckstufeneinstellung Abhilfe schaffen könnte. Für uns war das im Rahmen der knappen Testfahrt leider nicht überprüfbar. Das Heck liegt satt, neigt aber bei sehr sportlicher Fahrweise auf leicht unebenen Straßen dazu etwas nachzuschwingen, wenn man engagiert die Richtung wechselt. Aber das ist bereits Kritisieren auf allerhöchstem Niveau. Witziges Feature: Um ein Wegrollen zu verhindert, gibt es die Funktion "Vehicle Hold", bei dem temporär das Wegrollen des Bikes (z.B. im abschüssigen Gelände) verhindert wird. Ein längerer, konstanter Zug der Vorderradbremse schaltet das System aktiv. Aber Achtung: Nach einer gewissen Zeit deaktiviert sich das System von selbst, um die Dichtungen im Bremssystem zu schützen. Im Display wird man aber darüber informiert.

Stealth-Modus an!
Selbst ein E-Bike fährt nicht lautlos, aber sehr leise. Daher immer mit dabei: Neuroth Earwear Gehörschutz

Leise, aber nicht lautlos

E-Motorräder eilt der Ruf voraus, lautlos zu sein. Nun, das stimmt so nicht. Natürlich gibt es keine klassische Verbrenner-Geräuschkulisse. Sehr wohl aber hört man ein futuristisch anmutendes Surren des E-Motors sowie den Riemenantrieb, der den E-Motor direkt und ohne Umlenkung oder Getriebe mit der Hinterradfelge verbindet. Auch die Reifenabrollgeräusch ist hörbar, das Pfeifen des Windes sowieso. Bei unserer Testfahrt kamen daher wie so oft der Gehörschutz von Neuroth zum Einsatz, genannt Earwear. Damit werden vor allem die Windgeräusche spürbar reduziert und das Fahrgefühl gerade auf der Zero DSR/X hat sich intensiviert, weil die Riemengeräusche spürbar gedämpft wurden. So stellt sich tatsächlich recht bald ein interessantes Fahrgefühl ein: Einerseits fährt man zügig und schräg durch das Kurvengeschlängel, anderseits fährt sehr leise und nimmt seine Umgebung anders wahr. Übrigens gibt es vom E-Motor auch keine spürbaren Vibrationen, dafür spürt man durchaus etwas die mechanische Einwirkung des Riemens. Natürlich nicht vergleichbar mit den Good Vibrations eines klassischen Motors, aber doch leicht wahrnehmbar. Der Riemenantrieb wurde bei der DSR/X übrigens verstärkt, um sowohl die Mehrleistung als auch die höheren Belastungen im Gelände wegstecken zu können. Praktisch: Der Riemen ist praktisch wartungsfrei und muss nur ab und an nachgespannt werden.

Reichhaltiges Zubehörprogramm und Ausstattung

Wer seine Zero DSR/X noch offroadtauglicher machen möchte, der kann sie optional mit Drahtspeichenfelgen und gröberen Stollenreifen versehen. Weitere Extras sind diverse Anbau- und Schutzteile, verschiedene Windschilder, ein Kofferset, Sitzbänke in verschiedenen Höhen und eben mehr Akkukapazität (Power Tank) bzw. auch eine schnellere Ladefunktion. Praktisches Ausstattungsdetail: Es gibt einen Parkmodus, der beim Rangieren via Gasgriff eine Kriechfunktion aktiviert, in dem in Schrittgeschwindigkeit aber mit Hilfe des E-Motors vorwärts und rückwärts manövriert werden kann. Eine nützliche Hilfe, wenn man im Gelände steckt oder bergauf retourschieben muss.

Farben, Preise, Verfügbarkeit

Die DSR/X ist in Sage Green und Pearl White erhältlich, steht ab sofort bei allen Zero Motorcycles-Händlern weltweit zur Verfügung und kostet in Deutschland 26.550 Euro, in Österreich 26.755 Euro und in der Schweiz 28.165 CHF - Herstellerangabe.

Fazit: Zero DSR/X 2022

Die Zero DSR/X hat das Potenzial, E-Motorräder für eine breitere Masse attraktiv zu machen. Ihre Fahreigenschaften verdienen großes Lob, die Power ist sensationell, die Reichweite absolut alltagstauglich. Gut vorstellbar, dass einige Reiseendurofahrer nach einer Probefahrt schwach werden könnten. Zero hat hier einen großen Wurf abgeliefert - man kann es nicht anders zusammenfassen.


  • extrem drehmomentstarker Motor (225 Nm)
  • sehr einfach zu fahren
  • tolles, neutrales Handling
  • gute Ausstattung
  • perfekte Gasannahme
  • alltagstaugliche Reichweite
  • noch hoher Einstiegspreis
  • nur zwei Farboptionen
  • etwas umständliche Menüführung

Bericht vom 13.09.2022 | 29.835 Aufrufe