Zero S Elektromotorrad Test

Stromschnelle. Wie spannend ist Spannung auf zwei Rädern?

92 Nm aus der Steckdose. 185 kg leicht, 150 km/h "schnell". Neugier und Skepsis im spannenden Wechselspiel. Wer gegen den Strom schwimmen will, der fährt mit Strom.

Ich glaube, wir werden uns in Zukunft - dass es uns erwartet, ist sicher, nur ist kaum vorauszusagen, wie bald - an drei Dinge gewöhnen werden müssen, um unseren Planeten nicht endgültig zur schwebenden Schmutzkugel im Weltall verkommen zu lassen: 1.) Wir werden uns (wieder) mehr aus eigener Kraft mobilisieren müssen, in Bewegungsarten, die einigen noch als Gehen, Laufen und Radfahren bekannt sein dürften. 2.) Wir werden mehr öffentliche Verkehrsmittel installieren und nutzen müssen. 3.) Motorisierte Fahrzeuge werden ihre Energie zunehmend, aber nicht ausschließlich, aus Stromquellen beziehen.

Elektromotorräder seit 2006

Für manche ist das eine Horrorvorstellung, für einen Visionär wie mich bereits Alltag. Das ist nicht ganz ernst zu nehmen, aber ich bewältige am Wochenende Wege in der beschaulichen wie überschaubaren Stadt Eisenstadt größtenteils zu Fuß, steige Stiegen statt auf Rolltreppen, meide Lifte und fürchte mich nicht vor Elektromobilität. Schon von Berufs wegen muss ich mich dafür interessieren. Deshalb suchten wir auf der Motorradmesse in Dortmund auch den Kontakt zu Zero, dem kalifornischen Hersteller von Elektromotorrädern seit 2006.

3 Akkus, 3 Gewichte, 3 Reichweiten

Gleich mal was Positives. Mit den Elektrofahrzeugen hört sich dann endlich die Trickserei mit Trockengewicht, Gewicht fahrfertig, Gewicht vollgetankt (90% voll), Gewicht unbeladen etc. auf. Die Zero S wiegt mit dem ZF 12.5 Akku 185 kg. Immer. Mit dem kleineren Akku nur 171 und mit dem zusätzlichen Power Tank schon 205 kg. Dafür kommt man mit Letzerem 298 km weit, mit den anderen 243 bzw. 182 km. Zero verwendet hier den Begriff Stadtreichweite, denn über Land geht sich das unserer Erfahrung nach nicht aus. Trotzdem kam ich locker zweimal von Eisenstadt nach Wiener Neustadt, insgesamt 145 km, das Meiste davon Autobahn und Schnellstraße. Es sollte also kein Problem sein, den Akku zu Hause über Nacht oder tagsüber im Büro aufzuladen. Zu bedenken ist nur, dass es 6 bis 8 Stunden dauert, bis der Akku voll aufgeladen ist. Die Büchse dazu befindet sich im Rahmen, das Kabel haben wir im praktikablen Stauraum unter der Tankattrappe versorgt.

2 und 5 Jahre Garantie auf Fahrzeug und Akku

Sorgen um die Haltbarkeit muss man sich scheinbar keine machen. 2 Jahre Garantie auf das Fahrzeug, 5 Jahre auf den Akku, die 3 verfügbaren Akkupacks sollen zwischen 409.000 und 668.000 km halten. Wahlweise stehen 3 Fahrmodi zur Verfügung, von sportlich bis sparsam, ansonsten ist das Fahrzeug aber etwas spartanisch ausgestattet. Vorne verzögern eine 2 Kolben-Bremszange und eine 320 mm Scheibe, erstaunlicherweise recht kräftig, aber nicht sonderlich gut dosierbar. Das Fahrwerk setzt sich aus einer 41 mm Upside-Down Showa-Gabel und einem Showa-Federbein zusammen, das insgesamt zu hart abgestimmt war. Am ungewöhnlichsten aber ist der 140er Hinterreifen und der schmale Zahnriemen auf einer riesigen Zahnriemenscheibe.

Einsteiger-Naked Bike

Mit einer Nennleistung von nur 53 PS muss man die Zero mit Naked Bikes der Einsteiger-Klasse vergleichen. Ihr Drehmoment von 92 Nm allerdings darf sich schon mit größeren Kalibern messen. Eigentlich. Denn Drehmoment ist nicht gleich Drehmoment, bis zum Hinterrad wird dieses durch Primärtrieb, Schaltgetriebe und Ketten- oder Riementrieb deutlich erhöht. Eine "Tausender" ist deshalb wesentlich stärker und schneller als dieses Elektromotorrad. Der Spurt von 0 auf 100 soll in 4.8, 5.2 und 5.8 Sekunden gelingen, je nach Akku-Pack und auch die Flexibilität entspricht nicht der eines 160 PS starken Motors.

Das Handling ist gewöhnungsbedürftig, wegen des schmalen Hinterreifens zwar recht agil, aber Gewichtsverteilung und Schwerpunkt unterscheiden sich von allen Motorrädern, die man sonst fährt, daher ist die Dynamik eine andere. Man muss erst ein Gefühl für die Kraft der Impulse entwickeln, die man setzen muss, um das Motorrad flott und harmonisch zu bewegen. Das Feedback der Reifens und des Fahrwerks könnte besser sein. Doch im Mittelpunkt steht ohnehin die Beschleunigung, begleitet nur von einem Summen, das sich zu einem Heulen aufbaut. Nur noch der sensibel ansprechende Gasgriff wird gebraucht, keine Kupplung, kein Schalthebel. Beim Bremsen wird Energie an den Speicher zurückgeführt, was am Display abzulesen ist. Ein ABS ist serienmäßig verbaut, auf eine Traktionskontrolle muss man aber seltsamerweise verzichten. Und leider auch auf ein futuristisches, eindrucksvolles Design. Trotzdem: Das ist ein Teil unserer Zukunft, und niemand muss Angst davor haben.

Vaulis Meinung zur Zero S:

Über Elektromobilität wird viel gesprochen und tatsächlich auch einiges gemacht - nur bei den Motorrädern verfällt das Gros der etablierten Hersteller in eine Starre und läßt andere die Pionier- oder besser Drecksarbeit erledigen. Der Schuss könnte aber nach hinten losgehen, der Test der Randerscheinung "Zero S" verlief nämlich weitaus besser und souveräner, als ich erwartet hätte. Zero hat das Thema Motorrad ziemlich gut im Griff, das Thema Elektroantrieb sowieso. Einfach herrlich, wie unkompliziert, geschmeidig und auf seine spezielle Weise auch kraftvoll der Elektromotor an die Arbeit geht. Die Fahrleistungen entsprechen dabei in etwa einem Mittelklasse-Bike zwischen 50 und 70 PS, der stufenlose Antrieb und vor allem die Geräuschkulisse sind aber einzigartig.

Erstaunt war ich auch von der Ausgereiftheit des Elektromotors und des Akkus: Da wird nicht übermäßig viel Hitze erzeugt, da kann man sich auf die genaue Reichweitenanzeige verlassen und da kommt man bei ziemlich dämlicher und nicht unbedingt praxisgerechter Fahrweise immer noch respektable 80 Kilometer weit. Einzig die Fahrwerks-Komponenten, die Zero für die S zukauft, könnten angesichts des relativ hohen Preises hochwertiger ausfallen, da sind wir von Showa besseres gewohnt. Und schließlich sollte sich Zero beim Design mehr trauen: Ein Motorrad, das (vielleicht) den Umbruch ins Elektroantrieb-Zeitalter einläutet, dürfte meiner Meinung nach schon selbstbewusster auftreten.

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Bericht vom 01.06.2015 | 21.658 Aufrufe