KTM 1290 Super Duke GT Test

Das Biest tut brav und tourt sportlich

Wer hätte gedacht, dass aus der ultraharten KTM 1290 Super Duke R einmal ein pflichtbewusster Sport Tourer wird, der sich zu benehmen weiß? Langstrecken-Streetfighter mit Kurven-ABS, Schaltautomat und Kurvenlicht.

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Die Freude über eine Überraschung hängt zweifelsohne mit der Erwartungshaltung des Überraschten wie mit dem unerwartet eingetretenen Ergebnis selbst zusammen. Erwartungshaltung und Ergebnis können negativ, neutral oder positiv sein, was je nach Paarung zu einer erfreulichen oder unerfreulichen Überraschung führt. Allerdings kann man bei +/+ und -/- von keinen Überraschungen sprechen, da ja nur eine Erwartungshaltung erfüllt wurde.

Keine Erwartungen

Meine Erwartungshaltung der Super Duke GT gegenüber war neutral, weil ich sie nicht erwartet hatte. Mit einem Sport Tourer auf Basis der R hatte ich nicht gerechnet, weil es sowas bisher von KTM nicht gegeben hat. Als ich schliesslich davon erfuhr, änderte sich meine Erwartungshaltung zu negativ. The Beast war optisch und technisch zu radikal, als dass ich es mir im Arbeitskleid eines Sport Tourers vorstellen konnte.

KTM ist KTM und nur KTM

Die ersten Bilder erstaunten und beruhigten mich. KTM hatte es geschafft, das Raubtier respektvoll einzuschalen, wie Battlecat von den Masters of the Universe. Kantig, aber geschmeidig, aggressiv, aber zivilisiert. Keine Frage, so ein spitzer Schnabel muss die Gemüter spalten, das ist bei KTM keine übermütige geschmackliche Entgleisung, sondern Kalkül. Also eine kalkulierte übermütige geschmackliche Entgleisung. Deshalb ist KTM ja auch KTM und nur KTM.

Leistung KTM 1290 Super Duke GT: 173 PS und 144 Nm

KTM ist auch deshalb KTM, weil man auf Leistung nicht gerne verzichtet. Performance ist oberstes Prinzip, Ready to Race der Imperativ. Die GT folgt diesem Leitsatz nicht mehr bedingungslos und mit letzter Konsequenz, eröffnet mit Sport Touring eine für die mad Mattighofener völlig neue Kategorie. Das motivierte das KTM-Personal sorgenvoll zu beteuern, dass die harten Kanten keinesfalls zu weichen Kompromissen verkommen würden. Bei 173 PS und 144 Nm aus einem 1301 Kubik grossen 75°-V2-Motor ein fast überflüssiger Hinweis.

Der Dampfhammer wurde dennoch neu abgestimmt und arbeitet nun angenehmer und umgänglicher. Man hat weniger das Gefühl, sich in einer brutalen, mittelalterlichen Schlacht zu befinden, als vielmehr Teil einer modernen, schnellen und friedlichen Welt zu sein. Die GT wird aufgrund ihrer Natur mehr Akzeptanz im breiteren Gesellschaftsfeld erfahren, als ihre furchteinflössende Schwester. Zumal sie sich mit Koffern beinahe unauffällig unters angepasste Arbeitsvolk mischen kann.

KTM mit Koffern und Heizgriffen

Erstmals bei KTM wurden alle Testfahrzeuge mit einem Seitenkofferset ausgestattet, was deutlich macht, wie sehr man das Ziel verfolgt, mit seinem GT-Konzept im Sport Touring-Segment ernst genommen zu werden. Das ist den Kostenrechnern einige Extras wert. Serienmässig an Bord sind das kombinierte Kurven-ABS MSC, eine Traktionskontrolle, 3 Fahrmodi, ein semi-aktives Fahrwerk, ein Schaltautomat, LED-Kurvenlicht, eine elektronische Geschwindigkeitsregelung, Heizgriffe und ein manuell verstellbares Windschild.

Schon das Wort Heizgriffe ist für viele aus der Sportabteilung ein Reizwort, aber es geht noch ein bisschen ärger. Auf Wunsch gibt es beheizte Sitze und eine Berganfahrhilfe. An dieser Stelle könnt ihr euch ruhig eine Minute zum Nachdenken nehmen. Alle anderen folgen mir auf meiner Testfahrt mit der Super Duke GT.

Sitzhöhe 835 mm, Gewicht 229 kg

Wie bei der R beträgt die Sitzhöhe 835 mm, was ganz ordentlich ist und unter 1.75 m mühsam wird. Die Geometrie wurde angepasst, man sitzt sportlich-entspannt im Sattel, wie man das von einem Sport Tourer erwarten würde. Die 205 kg trocken summieren sich mit allen Flüssigkeiten inklusive 23 Liter Tank auf 229 kg fahrfertig, ein für einen Sport Tourer angemessenes Gewicht.

Beim Fahrwerk setzt KTM wie immer auf die Expertise von WP Suspension. Über einen Schalter am Lenker kann der Fahrer zwischen drei verschiedenen Abstimmungen wählen, die sich Comfort, Street und Sport nennen. Die elektronische Dämpfungssteuerung SCU (Suspension Control Unit) sorgt dafür, dass die Dämpfungswerte während der Fahrt permanent und in Echtzeit an Fahrstil und Strassenbelag angepasst werden. Ausserdem ist das Anti-Dive in den Modi Comfort und Street aktiv.

Grosser Komfort - hohe Transparenz

Es ist immer wieder faszinierend, wie sanft das semi-aktive Fahrwerk seinen Reiter über Kopfsteinpflaster und andere Unebenheiten führt. Bei der GT ist bei allem Komfort aber immer genug Transparenz vorhanden, damit der Fahrer trotzdem noch über Asphaltbeschaffenheit und Gripniveau bescheid weiss. Reifen, Fahrwerk, Bremshebel und Gasgriff liefern dem Fahrer die wichtigsten Informationen, die kein Computer der Welt ersetzen kann. Dass man bei 173 PS mit einer Traktionskontrolle auf Nummer sicher geht, ist verständlich, aber die schier unendliche Kraft ist hervorragend dosierbar, was auch für die Verzögerung mit den 4-Kolben monoblocs von brembo mit zwei 320 mm Scheiben gilt.

Keine Supermoto mehr

Das radikale Handling der R hat die GT nicht übernommen, blitzschnelle Korrekturen im Radius über den Lenker lässt sie kaum noch zu, man muss sie stärker mit dem ganzen Körper fahren. Die Supermoto-Gene des Naked Bikes sind verschwunden. Das kann man ihr allerdings nicht zur Last legen, im Gegenteil, es bringt Ruhe ins Fahrzeug und schafft Vertrauen. Die GT soll schliesslich nicht nur für den Schnellschuss auf der Hausstrecke taugen, sondern ebenso gut ein bepacktes Paar ein paar Hundert Kilometer am Stück zum Traumziel tragen können, was mit den grossen Koffern, die sogar je einen Vollvisierhelm aufnehmen können, auch mit Schatzis Schuhauswahl fürs Wochenende problemlos gelingt. Die Ausnehmungen zur Koffermontage sind im Heck bereits integriert, es werden keine weiteren Teile für das original Kofferset benötigt. Leider hält bei dem relativ hohen Verbrauch selbst der 23 Liter Tank nicht ewig.

Manuelles Windschild

Der Windschutz ist hingegen nicht ihre stärkste Disziplin. In der obersten Stellung sorgte die Scheibe für Verwirbelungen am Helm, also liess ich das Schild gleich ganz unten. Die manuelle Bedienung wird dem leicht luxuriösen Charakter des Motorrades nicht gerecht und ist nicht immer ganz einfach. Grosszügig ist dafür die Schräglagenfreiheit, die selbst der motivierteste Redakteur unter uns an diesem Tag nicht ausreizen konnte. Das Gleiche gilt für Kurven-ABS und TC. In einem Fahrtechnikzentrum würde ich es gerne mal herausfordern, auf der Strasse ist es mir zu heikel, in Schräglage zu überbremsen oder voll ans Gas zu gehen, bitte um Verständnis.

Der Hauptdarsteller ist bei aller Fahrwerkstechnik nach wie vor der urgewaltige Motor mit seinem typisch schnarrenden Sound, der auf Wunsch durch einen Akrapovic-Topf verstärkt wird. Es macht mir etwas Sorgen, dass auf Präsentationen des Öfteren über die Notwendigkeit eines gewissen "Leistungsüberflusses" (was ist das?) diskutiert wird. Natürlich braucht niemand 173 PS in einem Motorrad, aber ist das nicht die Antwort auf die falsche Frage? 173 PS sind ebenso notwendig wie nicht notwendig. Ist ein bisschen so wie mit Schrödingers Katze. Was mich wieder Hoffnung schöpfen liess, war, dass wir uns am Ende des Tages wieder einig waren: Es ist gut und recht, wenn immer noch ein Quäntchen mehr Leistung im Motor lauert, als man momentan auf die Strasse loslassen kann. Das ist genau das Gefühl, das einem die Super Duke gibt, ein Gefühl unendlicher Kraft. Ob nun auch der Preis eine schöne, oder weniger schöne Überraschung ist, bleibt Ansichtssache. In Österreich 21.198 €, in Deutschland 17.995 €.

Fazit: KTM 1290 Super Duke GT 2016

Mit großzügiger Serienausstattung, einem neu abgestimmten Motor und unverkennbar kantigem KTM-Design will die 1290 Super Duke GT in das Sport Touring-Segment einsteigen. Mit fahrbarer Performance und der vollen Leistung des Naked Bikes im Geiste des "Ready-to-Race"-Credos hebt sie sich nicht nur optisch von den Mitbewerbern ab. Die mattighofener Sportfanatiker montieren sogar Heizgriffe und einen Tempomaten, um Vielfahrern ein schönes Plätzchen zu bieten. Irgendwie schaffen sie es trotzdem, glaubwürdig zu bleiben und beim Fahrer Begeisterungsstürme auszulösen.


  • umfangreiche Serienausstattung
  • sensationeller Motor
  • einzigartiges Design
  • unkompliziertes Koffersystem
  • Windschutz dürftig
  • manuelle Windschildverstellung
  • recht hoher Verbrauch

Bericht vom 08.03.2016 | 59.355 Aufrufe