Moto Guzzi Griso

Die Griso läßt sich in keine bekannte Schublade stecken. Was ist die Griso eigentlich? Und wieso ist kot immer noch gegen Navigationsgeräte?

Reise, Reise, so 'ne Scheisse, und der kot, der weint ganz leise (frei nach Rammstein)

Wieso? Wieso kann es nicht einmal glatt gehen? Wieso realisiert sich nicht einmal alles so, wie ich es mir in meinem Susi-Sorglos-Hans-Guck-In-Die-Luft-Gehirn ausdenke? Ja, ich habe Nils' Angebot, das GPS mitzunehmen, entschieden zurückgewiesen. Na und? Das muß doch auch mit dem ausgedruckten Anfahrtsplan von map24 gehen.

Nach monatelanger Zwangs-Abstinenz wurde ich wieder zu einer Präsentation geschickt- zu Moto Guzzi. Nils erinnerte sich also immer noch daran, daß ich (damals noch ohne A-Schein) ihm vor Jahren Moto Guzzi als meine Lieblingsmarke nannte. Anruf am Dienstag, Abreise am Freitag.

Als ich mich nach über 4 Stunden Fahrt kurz vor Bologna befand, war ich noch guter Dinge. Eine Wahnsinnszwischenzeit bis dahin, könnte die errechnete Fahrzeit des Routenplaners durchaus um 2 Stunden unterbieten.  Nur musste ich nicht nach Bologna, ich musste nach Bergamo. Irgendwann traf es mich dann wie der Blitz. Spaghetti Bolognese? Das ist Käse!

Ich fuhr zitternd an die nächste Raststation und erwarb eine Straßenkarte von Italien. Aha, so sieht das also aus. Umkehren hat keinen Sinn mehr. Wie bei Apollo 13. Am besten ich fahre weiter bis nach Bologna, nehme dann die Spitzkehre auf die Brennerautobahn Richtung Verona und wechsle dann auf die Normale Richtung Westen, dann bin ich in 1,5 Stunden dort, wo ich vor 30 Minuten gewesen wäre.

Um mich selbst zu motivieren dachte ich an die positiven Aspekte meiner ständigen Irrfahrten. Nach langem Grübeln fand ich tatsächlich einen. Sollte ich mal Kinder haben, kann ich Ihnen in hohem Alter mit krächzender Stimme im Schaukelstuhl mit wehmütigem Blick sagen: "Als ich jung war, Kinder, habe ich die Welt gesehen. Weil ich mich so oft verfahren habe."

Aber alles halb so schlimm. Trotz des Umwegs war ich nach nur 9 Stunden (berechnete Zeit von Map24 8:34 Stunden) in Lecco. Eineinhalb Stunden später hatte ich dann auch das Hotel gefunden. Ich war am Rande des Nervenzusammenbruchs. Und das meine ich jetzt wirklich ernst.
Resultat: Augen wie ein Hase im Versuchslabor für Wimperntusche, Kopfschmerzen, Tremor. Die Hasenaugen zwangen mich zu stundenlangem Sonnenbrillentragen.

Ankunft also 17:30. Shuttle zur Pressekonferenz: 18:00 Uhr. Nach einer erfrischenden Dusche legte ich mich kurz nieder. 5 Minuten später hielt ich vor dem Hoteleingang nach dem Shuttle Ausschau. Aber wo ist das Shuttle. Und wo ist die Journalistenmeute? Ah, genau hier. Das steht ja der Fiat Palio, und da stehen auch die anderen 3 Journalisten.

Der Hinterhof von Moto Guzzi

MGS 01

Auch das Siegermotorrad der Supertwin Meisterschaften von Gianfranco Guaresci vom Don Camillo und Peppone Team konnte man besichtigen. Alle wollten den Motor hören und in einer ruhigen Minute wagte es ein Journalist tatsächlich den Ofen anzureissen. Ich konnte den Klang kaum fassen. Dagegen hört sich alles andere wie ein Elektromoped an. Es gibt einfach nichts, das besser klingt als eine Guzzi. Man hätte übrigens spielend leicht auf nimmer-wiedersehen mit dem Eisen durch die Tür fahren können. Hier glaubt man anscheinend noch an das Gute im Menschen. 

Griso 1100/850

Beim Gespräch mit einem ungarischen Kollegen habe ich versucht, dem Wesen der Griso aufgrund ihrer äußerlichen Erscheinung und deren Basisdaten näher zu kommen. Was ist die Griso? Die größte Sorge des Ungarn galt der zu erwartenden Wheelieträgheit der langen Fuhre. Der Radstand von 1554 mm in Verbindung mit dem Trockengewicht von 227 kg dürfte dem Einradbetrieb nicht zuträglich sein. Er merkt an: "I'm afraid I can't wheel". Ich auch, dachte ich mir, aber das liegt nicht an der Griso. Das Äußerliche spricht mich jedenfalls sehr an, obgleich ich natürlich weiß, daß dieses Design mit seinen extremen Details, allen voran der Auspuff vom Durchmesser eines Alphorns, die Gemüter spalten wird wie Conan die Köpfe seiner Gegner. Unglaublich geil oder unglaublich hässlich. Andere Urteile läßt die Griso nicht zu. Und das ist gut so.

Das ist keine Massenware, sondern ein Bike für Individualisten, was nicht heißen soll, daß Guzzi nicht möglichst viele davon verkaufen will. Der Erfolg der letzten Zeit (Verkaufszahlen verdoppelt) soll mit den neuen Modellen weitergeführt werden, weshalb man jetzt auch einen 850er Motor für die Griso und die Breva anbietet. 

Es war schon ein besonderes Gefühl im vollbesetzten Hinterhof von Moto Guzzi in Mandello del Lario zwischen den gold gestrichenen Gebäuden zu stehen und ein beliebiges Modell aus der gesamten Modellpalette auszufassen. Natürlich griffen die meisten auf die neuen Modelle Griso 850/1100 und Breva 850 zurück. 

Ich zögerte nicht lange und holte mir den Schlüssel für eine 1100er Griso, leider das einzige Gerät in Baby-Blau, die einzige nicht empfehlenswerte Farbe, die dieser Urviech-Erscheinung einfach nicht gerecht wird. 

Angenehm fiel gleich der niedrige Sitz von 800 mm auf, unerwartet allerdings die hoch montierten Fußrasten, wodurch sich eine sehr sportliche Sitzposition ergbit.

Beim Einholen des Seitenständers stößt man auf ein Problem. Dieser ist nämlich so weit vorne angebracht, daß man ihn nur mit der Ferse des komplett ausgestreckten Beins einholen kann. Deshalb gibt es wahrscheinlich sogar ein Warnlicht für den ausgeklappten Ständer. 

Auch das Anfahren stellt eine nicht minder schwierige Aufgabe dar. Eingekuppelt wird erst bei fast vollständiger Öffnung des Kupplungshebels, gleichzeitig muss man viel Gas geben, hier wirkt der erste Gang eigentlich so, als wäre er der Zweite. Sicher nichts für Anfänger. Auch die langsame Fahrt, wie zum Beispiel in Spitzkehren, liegt der Griso gar nicht. Das Motorrad scheint überhaupt erst ab Tempo 30 zu funktionieren.

Die neuen 850er Modelle: Breva 850 und Griso 850

 

Erst einmal in Fahrt tut sie das allerdings bestens. Mit 89 Nm Drehmoment in Verbindung mit dem breiten Lenker erlebt man auf sehr kurvigen Strecken, wie wir sie gefahren sind, irrsinnigen Spaß, vorausgesetzt, man packt den Stier auch ordentlich bei den Hörnern. Eine Supermoto um die Ecke zu werfen ist eine Sache, mit so einem Gerät im Winkelwerk zu regieren hat schon was Majestätisches. Der lange Radstand verliert wirklich seinen Schrecken, die Griso läßt sich bestens durch die Kurven treiben. Wichtig für solche Aktionen ist auch die tadellose Funktion der Bremsen, in der Gestalt von zwei 320 mm Scheiben und zwei 4-Kolben-Zangen vorne, sowie einer 282 mm Scheibe hinten.

Der Motor wurde völlig neu entwicket, ist kompakter und kürzer als das Vorgängermodell. Die Lichtmaschine ist zwischen die Zylinder gewandert, die Pleuel wurden um 10% leichter gemacht, auch die Kolben haben an Gewicht verloren und sind jetzt kürzer. 

Das Fahrwerk arbeitet hervorragend. Das Set-Up ist sportlich wie die Sitzposition, für den persönlichen Fahrstil und individuelle Einsatzzwecke können bei Federbein und Gabel Federvorspannung, Druck- und Zugstufe angepaßt werden.

Ein Traum ist auch das 6 Gang Getriebe und der Kardanantrieb, der komplett überarbeitet wurde. Die Gänge rasten präzise ein, besonders der Leerlauf läßt sich so problemlos einlegen, wie ich das selten zuvor erlebt habe. Die Kraft wird direkt und doch geschmeidig auf das Hinterrad übertragen.Der ebenfalls neu entwickelte Motorblock wurde kürzer und kompakter. Die Pleuel wurden um 10% leichter um die bewegten Massen zu reduzieren.

 

Die Armaturen sind tadellos zu bedienen, das großzügige Display informiert den Fahrer nicht nur über den Namen des Motorrads. Nur mit dem Hupeknopf hatte ich meine Probleme, der dort Platz gefunden hat, wo man normalerweise den Blinkerschalter erwarten würde. Dieser ist genau darunter platziert. Da ich aber der einzige war, der seine Absicht, den Blinker zu betätigen, mit einem kurzen Hupton ankündigte, wird das schon so seine Richtigkeit haben.

Nach unserer Fotosession tauschten wir untereinander die Motorräder und ich stieg auf die Griso 850 um. Sofort fiel mir der rassigere Klang auf. Der 850er geht etwas ruppiger zu Werke, sicher aufgrund der fehlenden Doppelzündung. Im Stand wirkt sie also potenter als die 1100er, in der Fahrt vermißt man allerdings die fehlenden PS- das ist natürlich immer ein Problem beim Umstieg von einem stärkeren auf ein schwächeres Motorrad.

 

Für diesen Motor hätte man den Radstand sicher verkürzen müssen, um der 'kleinen' Griso einen Vorteil im Winkelwerk zu verschaffen, oder zumindest das Gewicht etwas reduzieren. Auch die Höchstgeschwindigkeit von 180 wirkt für eine 850er etwas verhungert, andererseits geht auch die 1100er nicht schneller als 200. 

Wozu auch? Große Emotionen bilden hier einen Dauerzustand und entstehen nicht erst beim Durchbrechen der Schallmauer. Das Motorrad ist nicht Mittel zum Zweck, es ist der Zweck. Man spürt jede Sekunde, daß man auf einer Guzzi sitzt. 

Am Schluss der Testfahrt war mir persönlich die 850er lieber als die 1100er. Wenn schon Guzzi, dann richtig und da wirkt für mich die 850er einfach echter, roher, auch wenn der 1100er kräftiger ist und auch so aussieht und besser in das mächtige Chassis paßt.

Zum Streitfall Auspuff gibt es schon nette Alternativen, dies sollte also kein Hindernis für einen Kauf darstellen. Auf einigen Bikes konnte man zudem schon einige Teile aus dem Zubehörangebot für die Griso entdecken. So kann man auch noch unter Individualisten einzigartig bleiben.

Als würdiger Abschluss und gleichsam als 'Gegrüßet seist du Maria' nach dem 'Vater Unser' erwies sich die HighSpeed Tunnelfetzerei am Ende der Präsentation. So müssen sich Atome in einem Teilchenbeschleuniger fühlen. Am Ufer des Comer-Sees führt eine Autobahn entlang, die fast ständig durch in Fels gebohrte Tunnels führt. Entweder wurde der Beton an den Wänden schwarz gestrichen, oder es war die blanke Felswand, ich konnte nur erkennen, daß es sehr dunkel war und ich dort nicht hinwollte. Lieber den Lichtern da vorne folgen. Nach kurzer Zeit trennte sich die Spreu vom Weizen und von der 15 Mann Gruppe hatte sich ein Drittel aufgrund dauerhafter Volllast abgesetzt.

Endlicher Raum, unendliche Angst. Den Kollegen mit den getönten Visieren ging es da nicht besser. Wie gut, daß ich auf diese modische Spielerei bis heute verzichtet habe. Die Systemleistung fuhr dauerhaft auf 110 Prozent. Ich konzentrierte mich auf 3 wesentliche Dinge: Nur keinen Fehler, nur keine Panikreaktionen bei unerwartetem Straßenverlauf oder Ereignissen und nur nicht vom Gas gehen. Durchdrungen wurde diese extreme Konzentrationsphase nur von dem Gedanken an die Jeans, die ich trug. Wie gut, daß die 850er Griso nicht schneller als 180 geht. Ein Hoch auf den Geradeauslauf der Griso.

Sie mögen nicht die schnellsten sein, aber eines kann man den Guzzis nun wirklich nicht absprechen: Charakter. Und genau darum geht's. Das Klirren der Trockenkupplung, die Vibrationen, der Klang und natürlich das einzigartige Aussehen. Das ist was für Individualisten, für Leute, die zum Lotus statt zum Ferrari greifen.

Bleibt die Frage, was ist die Griso eigentlich? Etwas Einzigartiges, etwas Neues. Eine echte Guzzi.

 
  Griso 1100 Griso 850
     
Motor luftgekühlter 90° Viertakt Twin luftgekühlter 90° Viertakt Twin
Hubraum 1064 ccm 877 ccm
Bohrung/Hub 92x80 mm 92x66 mm
Leistung 86 PS / 65 KW bei 7600 U/min. 56 KW bei 7800 U/min.
Drehmoment 89 Nm bei 6400 U/min. 70 Nm bei 6800 U/min.
Radstand 1554 mm 1554 mm
Länge 2260 mm 2260 mm
Sitzhöhe 800 mm 800 mm
Trockengewicht 227 kg 227 kg
Tankinhalt 17 l 17 l
V-Max 200 km/h 180 km/h
Griso 1100: guzzi black Griso 1100: pearly blue Griso 1100: sport yellow

Griso 1100: corsa red

Griso 850: corsa red Griso 850: guzzi black
 

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Bericht vom 26.04.2006 | 31.682 Aufrufe

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