Semiaktives Fahrwerk

Workshop zum Thema semiaktives Fahrwerk. Die Systeme von Aprilia, BMW und Ducati im Vergleich.
 BMW HP4 auf Handling Kurs

CDC im Motorrad

Die Firma ZF liefert als OEM Ausrüster ein "Continuous Damping Control" System an Motorradhersteller. Im Moment sind HP4, R 1200 GS, Multristrada und Caponord damit am Markt. 1000PS war beim Systemlieferanten zu Gast.


Wie sich die Dinge so ändern. Auf der einene Seite das Unternehmen ZF. Früher mal baute die Zahnradfabrik Zahnräder und Getriebe. Im Jahr 2013 ist der Konzern mit 75.000 Mitarbeitern ein Anbieter von kompletten Getrieben, Achseinheiten, Assistenzsystemen und Lösungen für neue Fahrzeugkonzepte. Seit 1994 hat das Unternehmen auch 14 Millionen CDC Systeme an Automobilhersteller verkauft und seit heuer könen auch Motorradfahrer vom Know-How des Technologiekonzerns profitieren. Hier tritt man mit der bekannten Marke SACHS auf, welche im Konzernverbund beheimatet ist. Mit BMW, Ducati und Aprilia vertrauen 3 europäische Hersteller auf den Konzern aus Friedrichshafen und statten ihre Bikes HP4, R 1200 GS, Dorsoduro und Multistrada mit Komponenten von ZF aus. Wobei ZF jeweils ein mudulares Baukasten System zur Verfügung hat, aus dem der Fahrzeughersteller eben eine eher "Race-orientierte" Anwendung wie in der HP4 bauen kann oder eben eine Anwendung für Reiseenduros.

Auf der anderen Seiten ändern sich auch die Dinge beim Fortschritt in der Motorradtechnik. In der Vergangenheit präsentierte man uns ständig neue Legierungen, Werkstoffe, den intensiven Einsatz von Titan, Alu und Carbon. Geht es nach Hrn. Dr. Andreas Fink (Leiter Produktlinie aktive Dämpfer bei ZF), kommt der Fortschritt in Zukunft eher von Seiten der Software. Großes Thema wird der Bereich "Sensordatenfusion". Einfach erklärt: Sämtliche Sensordaten welche im Fahrzeug zur Verfügung stehen, stehen auch sämtlichen unterschiedlichen Systemen zur Verfügung. Klingt am ersten Blick logisch, doch bei genauerem Hinsehen wird es komplex. Die Einspritzanlage kommt möglicherweise von Keihin, das ABS von Bosch und das aktive Fahrwerk eben von ZF. All diese Anbieter müssten ihre Sensordaten in einen gemeinsamen Pool werfen um damit arbeiten zu können.

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Was ist CDC (continuous damping control)?

  • Eine stufenlos verstellbare elektronische Dämpfung

  • Sensoren ermitteln aktuelle Fahrsituation

  • Aktoren in den Dämpferkomponenten ändern Dämpferkennlinie während der Fahrt

Die CDC ist ein elektronisches Fahrwerk, welches die Dämpfung der Zug- und Druckstufe in Millisekunden dynamisch an die jeweilige Fahrsituation anpassen kann, zum Beispiel in schnellen Wechselkurven, Schikanen oder bei Fahrbahnunebenheiten. Das semiaktive Fahrwerkssystem reagiert automatisch auf Manöver wie Bremsen, Beschleunigen oder Kurvenfahren sowie auf die Fahrbahnbeschaffenheit und stellt die Dämpfung über elektrisch angesteuerte Dämpferventile in jeder Situation optimal ein. Aber auch Preload-Adjuster können vollautomatisch angesteuert werden.

ZF Sachs Workshop im Hangar bei Tuttlingen

Die Vorzüge von CDC im Motorrad

  • Höhere Spreizung möglich. Also Fahrkomfort UND sportliches Fahrwerk sind möglich, daher schafft man über einen sehr breiten Einsatzbereich eine effektivere Schwingungsdämpfung, einen besseren Ausgleich von Bodenunebenheiten und mehr Fahrstabiltiät beim Bremsen, Beschleunigen und bei der Kurvenfahrt.

  • Einen wahnsinnig großen Einfluß hat ein CDC vor allem beim Thema Zuladung. Während beim Auto die Zuladung durch Fahrer, Beifahrer und Gepäck das Gesamtgewicht nur mit wenigen Prozentpunkten belastet, kann sich beim Motorrad das Gesamtgewicht der Einheit durch Fahrer und Beifahrer problemlos verdoppeln. Früher mal hat man da eben den Hakenschlüssel ausgepackt und die Feder hinten vorgespannt, bei Motorrädern wie der R 1200 GS geschieht dies nun automatisch.

  • Beim Bremsen weniger Eintauchen über die Vordergabel. Die Druckstufe wird zugemacht, sobald die Bremse betätigt wird.

  • In Zukunft weitere Vorzüge durch Interaktion mit anderen elektronischen Fahrerassistenzsystemen wie ABS, TC aber auch Automatikgetriebe usw.


Insgesamt ist eine CDC Applikation im Motorrad ein Feature für Komfort, Sicherheit und Speed. Je nachdem um welches Motorrad es sich handelt oder welches Image der jeweilige Hersteller vertritt, kann ZF ein System in passender Konfiguration liefern. NOCH nicht verfügbar sind solche Fahrwerkssysteme von ZF / Sachs für den Zubehörmarkt. In der ZF Entwicklungsabteilung ist zwar die vermutlich weltweit einzige Suzuki GSX-R 1000 mit aktivem Fahrwerk unterwegs, diese diente allerdings nur als Entwicklungsbasis für das S 1000 RR / HP4 Fahrwerk. Andere Hersteller wie z.B. Öhlins bieten heute schon Zubehörteile an welche eine ähnliche Wirkungsweise haben. (=> Testbericht Öhlins Kawasaki ZX-10R mit elektronischem Fahrwerk)



HP4 vs. S 1000 RR


BMW HP4 auf Handling Kurs
Um Moralapostel unter unseren Lesern zu beruhigen. Selbstverständlich hat unser Redakteur NastyNils beim Test auf dem Handling-Kurs KEINE normale Jean getragen sondern eine hochwertige Motorradjean mit CE Protektoren und Aramid Verstärkungen an allen wesentlichen Stellen. Die Hose (X-Jeans Dalton) von IXS bietet für uns den optimalen Schnittpunkt von Komfort, Sicherheit und Packmaß. Bei dem Trip musste aus logistischen Gründen das gesamte Motorradgepäck ins Flugzeug-Handgepäck - daher kein Ledereinteiler sondern die Kombination aus IXS-Lederjacke und Protektor-Jean.

Beim Praxistest konnten wir die komplette Palette "CDC" Motorräder testen. Klarerweise nenne die Hersteller die Wunderwaffe von ZF / Sachs jeweils anders, vom Prinzip her sind es aber ähnliche Systeme vom gleichen Anbieter. Ducati nennt es "Skyhook", bei BMW heißt es "DDC" und bei Aprilia "ADD". Als Referenzbike stand jeweils ein Fahrzeug mit herkömmlichen Fahrwerk zur Verfügung.
Die Sportmotorräder HP4 / S 1000 RR schickten wir über einen Handlingkurs am Flugfeld bei Tuttlingen (Baden-Württemberg). Der Kurs bot alles was man sich als Motorradfahrer wünscht (Kurven) und nicht wünscht (Bodenwellen, Unebenheiten, teilweise schlechten Asphalt). Offen gesagt würde ich jetzt nicht behaupten ich wäre mit der HP4 schneller unterwegs, aber ich war sicherer und komfortabler unterwegs. Das Bike lag dort straffer wo sie straff sein musste (in den Wechselkurven und beim Rausbeschleunigen) und schluckte die Bodenwellen etwas besser als die ohnehin auch gut abgestimmte S 1000 RR. Insgesamt wirkt das Motorrad mit dem semi-aktiven Fahrwerk in jeder Fahrsituation besser abgestimmt. Ich wähle bewusst die Formulierung "besser" und nicht "perfekt", da einen auch die HP4 Bodenwellen immer noch spüren lässt. Hier ist definitiv noch Luft nach oben und ich bin mir sicher wir erleben in 4-5 Jahren Fahrzeuge wie ine HP4 welche auf der Rennstrecke brettharte Speedraketen sind aber gleichzeitig auf der Landstraße Bodenwellen einfach komplett wegzaubern. Aber die Richtung der Entwicklung passt in jedem Fall.

Ducati Multistrada vs. Aprilia Caponord vs. BMW GS


BMW R 1200 GS mit semiaktivem Fahrwerk in der Kurve
Noch größer ist der Nutzen aber auf den Reiseenduros. Dort ändern sich Zuladung, Fahrweise und Bodenbelag wirklich dramatisch und man stellt sich die Frage warum dieses Elektronikfeature nicht schon seit Jahren integraler Bestandteil SÄMTLICHER Modelle ist. Den derzeit reifsten Enticklungsstand macht das System im Sattel der BMW R 1200 GS. Im Sattel der BMW wird eine wirklich üble Buckelbiste tatsächlich durch die Kombination Fahrwerk und Elektronik so gut wie glattgebügelt. Ein echtes Komfort- und Sicherheitsfeature welches man, einmal probiert, nicht mehr missen möchte. Im Sattel der Ducati war es offen gesagt so, dass das Serienfahrwerk richtig gut abgestimmt war und ganz toll funktioniert. Das Skyhook Fahrwerk wird hier zum luxeriösem Add-on welches ganz nett ist aber ganz sicher nicht obligatorisch. Im Sattel der Aprilia wurde jedoch klar, dass die Dorsoduro ausnahmslos mit semi-aktivem Fahrwerk gekauft werden sollte. Erst so kann sie ihren universellen Charakter zum Einsatz bringen. Mit dem herkömmlichen Fahrwerk ist sie in keiner Situation richtig gut und verschenkt viel Potential.
   

Fazit: CDC ist anders als ABS / TC kein System welches uns bevormundet oder mit mahnendem Zeigefinger zur Seite geht. Es sollte daher auch die Kritiker solche Fahrerassistenzsystem rasch überzeugen. Es ersetzt eine gut sortierte Werkzeugkiste, vermeidet schmutzige Finger vor jeder Ausfahrt und sorgt einfach für mehr Fahrfreude und Sicherheit. Man darf davon ausgehen, dass in diesem Bereich in den nächsten Jahren die meisten Fortschritte in der Motorradtechnik gemacht werden. Wir freuen uns darauf.

 
 

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Text: NastyNils
Fotos:

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Bericht vom 09.09.2013 | 21.220 Aufrufe

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