Mehr als nur Oel

Werksbesuch bei Motorex. Spannender Einblick in die Welt des Motoröls.

Was steckt hinter Motorrad - Motoröl?

MOTOREX Werksbesuch in Langenthal (Schweiz)

Einladungen zu Werksbesichtigungen werden in der 1000PS Redaktion immer wie eine heiße Kartoffel weitergereicht. Denn so ein Werksbesuch riecht oft nach unendlich langen Powerpoint Orgien und dementsprechend passenden Abdrücken von Tischkanten auf der Stirn. Doch wenn die Werksbesichtigung mit einer zünftigen Essenseinladung kombiniert wird, dann lässt sich Edelschnorrer NastyNils die Gelegenheit nicht entgehen. Am Ende des Tages wurde er nicht enttäuscht. Weltklasse Futter und ein tiefer und beeindruckender Einblick in ein bemerkenswertes Unternehmen.

Rund 250 Mitarbeiter arbeiten beim Schweizer Schmierstoff Spezialisten Motorex (genauer gesagt bei der Firma Bucher AG, benannt nach der Familie Bucher) in Langenthal. Das erste Aha-Erlebnis für Besucher gibt es beim Besteigen des Fahrstuhls. Die Geschäftswelt der Schmierstoffe ist eigentlich leicht erklärt. Es gibt Schmierstoffe von internationalen Ölmultis, wo das Schmierstoffgeschäft neben dem Tankstellengeschäft und der Ölförderung eine Stelle hinterm Komma einnimmt. Der Bereich Motorrad-Schmierstoffe verkommt innerhalb dieses Geschäftsfeldes neben LKW und PKW-Geschäft dann beinahe schon zur Bedeutungslosigkeit. Das ist die Chance für mittelständische Familienbetriebe wie MOTOREX. Die Schweizer besetzen jene Nischen wo High-Tech und Passion gefragt sind und punkten international natürlich mit dem Slogan "Oil of Switzerland" samt Schweizer Qualität.
Robert Konvalina erklärt die Welt von Motorex. Am Heimmarkt in der Schweiz gibt es vermutlich nichts, was nicht mit MOTOREX-Produkten geschmiert wird. PKWs, LKWs, Motorräder, Industrieproduktionsmaschinen, Tunnelbohrer, Agrarfahrzeuge und Seilbahnen finden im 2.500 Produkte umfassenden Sortiment für jedes Problem eine Lösung. Beim Export konzentriert man sich neben einigen Nischenanwendungen jedoch voll und ganz auf das Thema Motorrad.  Exportmanager Konvalina: "Bei Thema Motorrad können sich unsere Chemiker und Entwicklungsingenieure richtig austoben. Wir bringen Neuerungen im Gleichtakt mit der Weiterentwicklung der Motorradtechnik. Nur in solchen Nischen können wir zum Einen unsere Flexibilität und zum Anderen unser Know-How international gewinnbringend zum Einsatz bringen."
Stolz präsentiert der Familienbetrieb mit 90 jähriger Tradition die imageträchtigsten Firmen im Schauraum. Bei der Produktion von OMEGA Uhren werden zum Beispiel Schmierstoffe von MOTOREX eingesetzt. Ganz groß: Auch Zulieferbetriebe von Airbus verwenden bei der Produkten Schmier- und Kühlmittel der Langenthaler. Ganz klein: Für Fahrradfreaks hat man das Produkt "Carbon Grease" im Programm. Damit kann man zum Beispiel Carbonsattelstützen an der Klemmung fachgerecht schmieren. Preis: siehe Carbon...
Beim Firmenrundgang lässt ein altes Superbike auf Honda SP-2 Basis die Herzen der Motorradfreaks höher schlagen. Die Chemiker holen sich ihren visuellen Orgasmus beim "Atomemissionsspektromer" im Labor. Kostet mehr als ein Superbike und macht nichts weiter als Atome zählen.

Hier wird für den Rennsport geforscht! Eine Art Stabmixer und Glaskugel ermitteln den Reibwert einer neuen Hexenmischung von MOTOREX für den Rennsport. Die Schweizer beschränken sich bei der Kooperation mit Teams nicht bloß auf ein paar "Franken" sondern möchten von den Teams aktive Rückmeldung zu Prototypen Ölen. Diese Öle finden sich dann möglicherweise schon in der nächsten Saison in den Fässern in der Auslieferungshalle an die Fachhändler.

Wie b(r)aut man Motorrad-Motoröl?

Grundsätzlich ist die Herstellung von Motoröl keine große Sache. Alles was man braucht sind ein paar Rohstoffe und eine Mischmaschine. Doch wie immer liegt die Tücke im Detail.

Woraus besteht Motoröl?

Zum Einen besteht Motoröl aus jenen Elementen welche für die Namensgebung relevant sind: Aus Basisfluids: Also entweder mineralischem oder synthetischem Öl aus der Ölraffinerie. Für den Feinschliff sorgen Additive, welche manchmal für 10.000-de Euro pro Fass bei den besten Labors der Welt bestellt werden. Irre: Es stehen bis zu 50 verschiedene Basisfluids und mehrere hundert verschiedene Rohstoffe, Additive und Chemikalien zur Auswahl. Das fertige Motoröl besteht aus 2-3 Basisfluids und einem Duzend verschiedener Additive.

Die Herausforderung Motorrad-Motoröl!

Es gibt eine Reihe von Herausforderungen, welche für Überstunden bei den Motorex-Labormitarbeitern sorgen. Die Chemiker werden es den Motorenentwicklern wohl nie verzeihen, dass sie bei den meisten Motorrädern Motor, Kupplung und Getriebe mit dem gleichem Öl versorgen müssen. Denn die Anforderungen sind paradoxerweise bei jeder Baugruppe komplett verschieden. Zwischen Kolben und Zylinder soll das Öl vor allem die Reibung minimieren, kühlen und Verschleiß verhindern. An der Kupplung jedoch sollte sich das Öl auf seine Kühlaufgaben beschränken und die Reibung keineswegs minimieren.

Auch die hohen Drehzahlen und damit die hohen Geschwindigkeiten bei den bewegten Teilen im Motor sorgen für wesentlich härtere Anforderungen als bei einem 08/15 Motoröl für Muttis Ford Fiesta. Dementsprechend müssen Motorradöle dann auch bei sehr hohen Temperaturen noch eine Viskosität bieten, welche für einen tragfähigen Ölfilm zwischen den bewegten Teilen sorgen kann.

Klarerweise muss das Motoröl in verschiedensten Motorkonzepten von verschiedenen Herstellern funktionieren. Die Chemiker ächzen: "Ein Teil der Additive zieht Moleküle aus den Dichtungen, andere Additive jedoch lassen diese aufquellen. Wir müssen also Mischungen entwickeln, welche eine exakte Balance herstellen und den Elastomeren in den Dichtungen keinen Schaden zufügen."

Last but not least sind dann auch noch die hohen Ansprüche der Motorradfahrer zu berücksichtigen. Bei PKWs und LKWs zählt oft nur der Preis vom Öl, bei den Motorrädern bietet man zum Beispiel auch eine Produktlinie welche messbar die Leistung steigert: Motorex 4T Racing Pro 0W/40. (Test demnächst auf 1000PS)

Schon beim Einkauf der Rohstoffe lassen die Schweizer den Schweizer raushängen. Bei jeder einzelnen Öl-Lieferung holt man sich 2 Proben vom Tank-Laster oder Tank-Waggon. Eine halbe Stunde später geben die Weißkittel aus dem Labor ihren Segen und das Öl wird in die Tanks gepumpt. Insgesamt lagern ständig rund 7,5 Millionen Liter Basisöl in Langenthal. Warum die strenge Kontrolle? Laut Dr. Kurzwart vom Motorex Labor unterscheiden sich Öle sogar von ein und derselben Ölquelle in den einzelnen Bohrlöchern. Die Öl-Chemiker unterhalten sich also scheinbar über Bohrlöcher und Ölquellen wie Weinkenner über Jahrgänge und Rebsorten. Am Ende profitiert der Endkunde von der überexakten Arbeitsauffassung der Schweizer.
Im Labor müssen Rohstoffe und fertige Mischungen umfangreiche Tests über sich ergehen lassen. Strategische Partnerschaften wie zum Beispiel mit KTM beeinflussen bereits hier die Arbeit der Motorex-Crew. Anders als vermutet handelt es sich bei dem Deal KTM / MOTOREX nicht nur um ein Tauschgeschäft "Scheck" gegen "Aufkleber auf Werksmaschinen" sondern da steckt wesentlich mehr dahinter. Eingeschickte Ölproben können unter anderem in der oben erwähnten Atomzählmaschine untersucht werden. Finden sich in der Probe zu viele Aluminium und Silizium Atome, darf man von überhöhten Verschleiß des Kolbens ausgehen. So können KTM Techniker und MOTOREX Laborgurus Neuentwicklung und Racingaktivitäten gemeinsam begleiten und laufend optimieren.
Die Auswahl der passenden Additive (im Bild oben das Additiv-Lager der Firma Motorex) ist die eigentliche Kernkompetenz eines Ölherstellers. Es gibt Additive welche die Oxidation des Öls verhindern, andere verhindern Rost an metallischen Oberflächen, einige Additive müssen hinzugefügt werden um das Öl  vor Zersetzungsreaktionen mit Kupfer zu schützen, andere erhöhen die Viskosität. Die Liste ist lang und manche Öle bestehen zu 30% aus Additiven. Dementsprechend hoch ist der Preisunterschied bei Motorölen. Einfache Motoröle aus dem Supermarkt oder an der Tankstelle beinhalten weniger hochwertige und teure Additive als die feine Wahre vom Motorex-Fachhändler.
Der Rest ist dann eigentlich ganz einfach. Die richtigen Zutaten werden in der richtigen Reihenfolge und in der richtigen Temperaturumgebung in riesigen Rührwerken gemischt.
Am Ende des Produktionsvorganges wird das Öl in die verschiedenen Gebinde abgefüllt. Bei Motorex kennt man als Motorradfahrer vor allem die praktischen 1-Liter Behälter mit dem integrierten Einfüllschlauch. Korrekt wie die Schweizer sind, werden von allen produzierten Chargen Proben gezogen und im Labor geprüft. Im Bild sehen sie die Proben der letzten 5 Tage. Alle Proben werden 2 Jahre lang aufgehoben.
   

Tipps für Motorradfahrer zum Thema Motoröl

Warum Ölwechseln? Trotz allen technischen Fortschritts und laufend längerer Ölwechselintervalle ist ein sorgsamer Umgang mit dem Motoröl immer noch notwendig. 2 Faktoren sorgen für "Verschleiss" beim Verschleissschutz Motoröl: Zum Einen ist es der Faktor Zeit. Selbst wenn das Motorrad das ganze Jahr über in der Garage steht, nimmt das Motoröl Feuchtigkeit aus der Umgebungsluft auf und wird ab einem gewissen Punkt unbrauchbar. Zusätzlich dazu verwandelt sich Öl im Laufe der Zeit durch Oxidation mehr und mehr zu einer sauren Flüssigkeit. "Die chemischen Alterungsprozesse machen auch in der Garage keine Pause", erklärt Dr. Kurzwart aus dem MOTOREX Labor. Ein jährlicher Ölwechsel ist beim derzeitigen Stand der Technik immer noch nötig und ratsam.

Zum Anderen werden im Betrieb die Molekülketten der Ölbestandteile "abgeschert". Das darf man sich tatsächlich bildlich so vorstellen, dass die Bestandteile des Öls von den metallischen Kanten an den Berührungspunkten immer weiter zerkleinert werden. Damit sinkt die Viskosität und irgendwann schafft es das Öl nicht mehr einen tragfähigen Schmierfilm zwischen den bewegten Teilen zu bilden. Die Folge: Stärkerer Verschleiss an den Motorteilen. Klarerweise ist das kein plötzlich auftretender Vorgang sondern ein stetig fortlaufender Prozess. Je höher die Belastungen für das Motoröl sind, desto kürzer sollte man die Wechselintervalle ansetzen. Rennfahrer wechseln ihr Öl deshalb nach jedem Rennen.

Wundermittel ins Motoröl? Immer wieder tauchen Wundermittel in Form von kleinen, meist sündhaft teuren, Fläschchen auf den Motorrad-Stammtischen auf. Dabei handelt es sich meist um bestimmte Additiv-Pakete welche zum Beispiel die Reibung minimieren. Dr. Kurzwart: "Diese Wundermittel können in 80-90% der Fälle tatsächlich den gewünschten Verbesserungseffekt hervorrufen. Bei den restlichen 10-20% kann es jedoch sein, dass sich die Additive nicht mit den anderen Bestandteilen des Motoröls oder sogar mit den Materialien des Motors vertragen." Klare Empfehlung vom Experten. Finger weg!

Ist das teuerste Öl immer das beste Öl? Kann sein, muss aber nicht so sein. Beim Einfahren zum Beispiel, macht es durchaus Sinn günstigeres Mineralöl zu verwenden. Damit erhöht man bewusst den Verschleiß während der ersten (mild gefahrenen) Kilometer. Die bewegten Teile schleifen sich so schneller aufeinander ein und die Einfahrphase wird somit verkürzt und intensiviert.

   

Ölmulti oder Familienbetrieb?

Beim nächsten Ölwechsel sprechen also nicht nur reine Sympathiegründe für den Schweizer Familienbetrieb. Mit gerade mal 250 Mitarbeiter schaffen es die Schweizer in einer Nische gegen die Multis nicht nur zu bestehen, sondern legen mit Innovationsgeist und Schweizer Präzision eine überlegene Produktpalette hin. Liegt möglicherweise daran, dass Sie den ganzen Tag nichts anderes machen als Schmierstoffentwicklung.

Demnächst auf 1000PS:

  • Bringt das neue 0W40 Öl von Motorex tatsächlich mehr Leistung für die S 1000 RR von NastyNils?

  • Optimale Motorradpflege. Der Mann aus dem Motorex Labor zeigt wie es richtig geht.

Bericht vom 11.06.2010 | 16.477 Aufrufe

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